Ein kleiner Kirchhof im Hochgebirge. Es ist Mitternacht und heller Vollmondschein breitet sich vom gestirnten Himmel über das einsame Tal, welches in der ungeheuren Stille der Sommernacht liegt. Um den Kirchhof, der auf einer buschigen Anhöhe gebaut ist, dehnen sich abwärts hügelige Alpweiden, teilweise mit niedern Lärchen und Föhren bewaldet. Von dort her vernimmt man das eintönige schwüle Zirpen der Grillen und Heuschrecken. Oftmals stockt es in geheimnisvollen Pausen, und dann hört die schlummernde Natur den Gesang der Nacht So liegt denn alles in der großen Ruh, Und meines Sternenmantels schwere Falten Sie ruhen auch und decken alles zu. Die Erde liegt in sanften Nachtgewalten Schlaft gut In Traumes Hut In nächtiger Ruh Schlaft immer zu! Gesang des Mondscheines Milchweißes Traum-Meer! Gen meine ruhenden Wogen Nahen Düfte gezogen. Mit stillem Glanz Trink' ich sie ganz Und lege sie wieder Zur Erde nieder: Auf allen Wegen Milchweißer Segen. Ein kleines Schlafwölklein (allein am klaren Himmel schwebend) Wer schenkte mir den wundersamen Traum? Ich ruhe still im hohen kühlen Raum. All meine Schwestern sind hinabgeglitten; Ich aber bin noch in der Sterne Mitten Und gleite kaum. Aus dunkler Ferne naht ein altes Rauschen. Das ist mein Tod. In ihm muß ich verwehn. Kann nimmer seinem Atemhauch entgehn. Muß stille stehn Und lauschen. (zerfließt in Nebelflocken) Der Nachtwind (kommt kalt und schwermütig von den Bergen gefahren. Sein Gesang ist tief und dunkel. Er rauscht durch die Wipfel der alten Wettertannen, die den Friedhof bewachen.) Ahnen im Geschehen Erkennen im Ahnen Das ist der Sinn des Seins Ist das Leben im All Ist Gott. (rauscht talwärts vorüber) Gesang der alten Wettertannen Da kommst du gefahren Und rauschest dahin Seit vieltausend Jahren Ohne Ziel, ohne Sinn. Du kennst keine Güter Schwermütiger Bote. Wir uralten Hüter Bewachen das Tote. Ein kleiner lahmer Vogel (im Wipfel der einen Tanne schlafend, zwitschert im Traum) Ziwitt! Ziwitt! Nehmt mit! Nehmt mit! Ihr lieben Brüder! Mein Herz ist müder Als meine Schwingen. Kann nicht mehr singen. Bin klein und schwach. Ziwitt!! -- Ach . . . ! Ach . . . ! Ziwitt! Ziwitt! -- Der Zug entschwand -- Und ich sterbe allein im einsamen Land! Eine Fledermaus (vom Dorfe her über die Gräber flatternd) Ich hing schlaftot im hohen Kirchensaal, Da traf mich sacht des Mondes Silberstrahl. Nun flieg' ich weit durch mitternächtige Lüfte, Hoch überm Taumel-Meer der Blumendüfte. Von allen Wesen scheu und fremd gemieden, Hinflieg' ich durch den weiten weißen Frieden. Eine Eidechse (aus einem Erikastrauche schlüpfend) Husch -- Husch! Eidechse! Aus Gras und Busch Und Schlinggewächse! Hier riecht's nach frischer Leiche! Blitz! Daß ich sie erreiche! Wie ruht sich's so kühl Auf seidenem Pfühl! Hinab! Hinab! Ins frische Grab! (verschwindet unter dem Hügel) (Aus einem Doppelgrabe in der Mitte des Kirchhofes hebt sich der Gesang zweier Liebenden. (Er steigt im Dufte der Blumen zur Nacht empor und sinkt wieder verhallend in die ruhenden Hügel hinab.) Die eine Stimme Geliebte! Auf deinem Grabe Die Lilien, Was weinen sie so still und einsam? Was sind ihre Wangen so fahl und feucht Von Traurigkeit und Tränen? Die andere Stimme Da ich all dein Leid Und all mein namenloses Weh Mit hinunter nahm ins Grab, Weinen meine Lilien, Und sind ihre Wangen So fahl und so feucht Von Traurigkeit und Tränen. Geliebter! Die eine Stimme Geliebte! Auf deinem Grabe Die Rosen, Wie sind sie so rot? Was glühn sie so stumm und heiß? Was bluten sie so leise? Die andere Stimme Da ich all deine Liebe Und all meine Liebe Mit hinunter nahm ins Grab, Glühen sie so heiß, Bluten sie so leise Auf meinem Grabe die Rosen. Geliebter! Ein alter Grabstein (auf dem Hügel eines Unbekannten in der Kirchhofsecke) Seit man mich aus des Meisters Haus getragen, Steh' ich allhier in Erde halb versunken. Als Dach auf einem Haus voll trüber Fragen Rag' ich empor, verweint und todestrunken. Am Morgen wird man mich beiseite bringen. Die öde Wohnung fordert neuen Gast. Ich weiche gern. -- Ich lasse mich nicht zwingen. Ich bin mir selber eine alte Last. Leb' wohl du fremder Leichnam, unerkannter! Ich habe lang genug auf dir gesessen. Nun bin ich auch ein ewig Welt-Verbannter, Obgleich mich nicht die Würmer aufgefressen. Du bist verwest und ich bin arg verwittert, Wie dort der Mond mit seinem morschen Glanz. Sieh', wie sein altes Licht herniederzittert! Er naht -- und bringt -- den letzten Silberkranz -- (Er versinkt in tiefes Träumen. Im Ost dämmert der Tag über die Berge) Die Blumen (auf den Gräbern, taugeschmückt, im Halbschlafe) Welch' Leuchten dämmert aus den nächtigen Tiefen? Wie? -- Oder hält uns noch der Traum umfangen? Noch eben lagen wir vereint und schliefen, Da küßt uns feuchter Wind die weichen Wangen. Der Tag! -- der goldne Tag!! -- Erwacht, ihr Geister!!! Schon liegt ihm unser stilles Tal zu Füßen! So laßt auch uns den starken Herrn und Meister Im Taue erster Morgentränen grüßen! Gesang des Tages (über den Berghöhen erstrahlend) Schwele, schwele, ewige Seele, Durch das schöpferprächtige All! Trinke, lebensdurstige Kehle Flammenglut vom Sonnenball. Wirf den Staub zum Staube nieder. Was verblühte, mag vergehn. Neue Weisen, neue Lieder Laß' aus deinem Grab erstehn. Stark aus Schmerzen, Leid und Sehnen Schmiede dir ein Flügelpaar. Ein Geschmeid aus frühen Tränen Schmücke dein ergrautes Haar. Also schwing' dich auf und fliege Welthoch über Tod und Sein. Und zuhöchst in Gottes Wiege Schlafe sternumfriedet ein.
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Confirmed with Frührot -- Der Tag: Gedichte, Stuttgart: Axel Junckers Verlag, 1906. Appears inDer Tag, in Die Nacht, pages 202 - 209, titled "Ein Nachtspiel"; also confirmed with Gesammelte Dichtungen, erster Band, Erlenbach-Zürich und Leipzig: Rotapfel-Verlag, 1921. Appears in Gesammelte Gedichte aus den Jahren 1900 - 1920, in Das Jahr des Jüngers, in Postludium, pages 200 - 205, titled "Notturno Sinfonico". Another source lists the title as "Nächtlicher Zwiegesang".
Note beneath poem: (Dem Gesange, der im Aufgang der Sonne zu einem gewaltigen Hymnus anschwoll, eint sich nun das festlich-feierliche Geläute der Morgenglocken aus allen Höhen und Tälern.)
Authorship:
- by Hans Reinhart (1880 - 1963), appears in Frührot -- Der Tag: Gedichte, in Die Nacht, first published 1906 [author's text checked 2 times against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by (Carl Theodor) Oskar Ulmer (1883 - 1966), "Notturno sinfonico", op. 53 [ duet for tenor and alto with small orchestra ] [sung text not yet checked]
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