by Henry Samson
Der einzige Sohn
Language: German (Deutsch)
Die Mutter sitzt im Kämmerlein, da tritt ihr kleiner Sohn herein; der Rock beschmutzt, die Schuh' zerfetzt, mit frechem Blicke er sich setzt! Mit sanftem Vorwurf sie ihm sagt: „Die Nachbarn haben sich beklagt, weil du manch tollen Streich gemacht!“ Das Söhnchen aber spöttisch lacht, geht aus der Stube schnell heraus und höhnt die alte Mutter aus! Es ist ihr Sohn, ihr einz'ges Kind, für seine Fehler ist sie blind! Was man von ihm auch Böses spricht, das Mutterherz, es glaubt es nicht! Zum Jüngling wächst der Sohn heran, und aus dem Jüngling wird ein Mann, doch sein Gemüt bleibt kalt und seicht und sein Charakter schlecht und leicht. Die Mutter meint, dass jeder log; es heißt, ihr Sohn stahl und betrog. Man sperrt ihn im Gefängnis ein: Sie meint, er kann nicht schuldig sein. Die Zeitung bringt die Schuld d'rauf klar, doch sie, sie denkt, es ist nicht wahr! Es ist ihr Sohn, ihr einz'ges Kind, für seine Fehler ist sie blind! Was man von ihm auch Böses spricht, das Mutterherz, es glaubt es nicht! Sie wartet seiner Wiederkehr, sie altert, kränkelt immer mehr, sie grämt sich, weint in herber Not, und eines Tags fand man sie tot! Am selber Tage kehrt zurück ihr Sohn und fand mit trübem Blick die Mutter auf der Bahre schon. Da regt das Herz sich in dem Sohn! Er weint, wirft zu der Bahre sich und klagt zum Him mel bitterlich: „Ich bin dein Sohn, dein einz'ges Kind, für deine Liebe war ich blind! Was nützt mir jetzt mein fromm' Gebet? O Mutterherz, zu spät, zu spät!
Authorship:
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Paul Lincke (1866 - 1946), "Der einzige Sohn" [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Johann Winkler
This text was added to the website: 2021-08-20
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