by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Dann sah ich auch Paläste, welche leben
Language: German (Deutsch)
Dann sah ich auch Paläste, welche leben; sie brüsten sich den schönen Vögeln gleich, die eine schlechte Stimme von sich geben. Viele sind reich und wollen sich erheben, – aber die Reichen sind nicht reich. Nicht wie die Herren deiner Hirtenvölker, der klaren, grünen Ebenen Bewölker, wenn sie mit schummerigem Schafgewimmel darüber zogen wie ein Morgenhimmel. Und wenn sie lagerten und die Befehle verklungen waren in der neuen Nacht, dann wars, als sei jetzt eine andre Seele in ihrem flachen Wanderland erwacht –: Die dunklen Höhenzüge der Kamele umgaben es mit der Gebirge Pracht. Und der Geruch der Rinderherden lag dem Zuge nach bis in den zehnten Tag, war warm und schwer und wich dem Wind nicht aus. Und wie in einem hellen Hochzeitshaus die ganze Nacht die reichen Weine rinnen: so kam die Milch aus ihren Eselinnen. Und nicht wie jene Scheichs der Wüstenstämme, die nächtens auf verwelktem Teppich ruhten, aber Rubinen ihren Lieblingsstuten einsetzen ließen in die Silberkämme. Und nicht wie jene Fürsten, die des Golds nicht achteten, das keinen Duft erfand, und deren stolzes Leben sich verband mit Ambra, Mandelöl und Sandelholz. Nicht wie des Ostens weißer Gossudar, dem Reiche eines Gottes Recht erwiesen; er aber lag mit abgehärmtem Haar, die alte Stirne auf des Fußes Fliesen, und weinte, – weil aus allen Paradiesen nicht eine Stunde seine war. Nicht wie die Ersten alter Handelshäfen, die sorgten, wie sie ihre Wirklichkeit mit Bildern ohnegleichen überträfen und ihre Bilder wieder mit der Zeit; und die in ihres goldnen Mantels Stadt zusammgefaltet waren wie ein Blatt, nur leise atmend mit den weißen Schläfen ... Das waren Reiche, die das Leben zwangen unendlich weit zu sein und schwer und warm. Aber der Reichen Tage sind vergangen, und keiner wird sie dir zurückverlangen, nur mach die Armen endlich wieder arm.
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Stundenbuch, Leipzig: Insel-Verlag, 1918, pages 91-94.
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 3. Das Buch von der Armut und dem Tode, no. 15 [author's text checked 1 time against a primary source]
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