by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
HERR: wir sind ärmer denn die armen...
Language: German (Deutsch)
HERR: wir sind ärmer denn die armen Tiere, die ihres Todes enden, wenn auch blind, weil wir noch alle ungestorben sind. Den gib uns, der die Wissenschaft gewinnt, das Leben aufzubinden in Spaliere, um welche zeitiger der Mai beginnt. Denn dieses macht das Sterben fremd und schwer, daß es nicht unser Tod ist; einer, der uns endlich nimmt, nur weil wir keinen reifen; drum geht ein Sturm, uns alle abzustreifen. Wir stehn in deinem Garten Jahr und Jahr und sind die Bäume, süßen Tod zu tragen; aber wir altern in den Erntetagen, und so wie Frauen, welche du geschlagen, sind wir verschlossen, schlecht und unfruchtbar. Oder ist meine Hoffart ungerecht: sind Bäume besser? Sind wir nur Geschlecht und Schoß von Frauen, welche viel gewähren? – Wir haben mit der Ewigkeit gehurt, und wenn das Kreißbett da ist, so gebären wir unsres Todes tote Fehlgeburt; den krummen, kummervollen Embryo, der sich (als ob ihn Schreckliches erschreckte) die Augenkeime mit den Händen deckte und dem schon auf der ausgebauten Stirne die Angst von allem steht, was er nicht litt, – und alle schließen so wie eine Dirne in Kindbettkrämpfen und am Kaiserschnitt.
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Stundenbuch, Leipzig: Insel-Verlag, 1918, pages 87-88.
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 3. Das Buch von der Armut und dem Tode, no. 8 [author's text checked 1 time against a primary source]
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
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