by (Karl) Wolfgang Müller von Königswinter (1816 - 1873)
Lorelei
Language: German (Deutsch)
Die Nixen: Die Woge ist hell und das Wasser ist lau, es glänzt durch des Schlosses kristallenen Bau. Hervor, hervor auf grünlicher Welle zu Tanz und Gesängen in sonniger Helle! Der Mai ist gekommen, der liebliche Mai, er bringt uns das Opfer der Lorelei. Die Geister der Reben: Auf der Woge mag die Nixe sich ergeh'n; lasst uns eilen, nach der Rebe seh'n. Bald muss sie glüh'n, bald muss sie blüh'n, lasst uns bereiten die köstlichen Säfte, lasset uns weben die göttlichen Kräfte, auf dass die Kinder der Menschen uns preisen und uns erfreuen mit lieblichen Weisen. Die Nixen: Rebengeister auf den Höh'n, horcht, o horchet uns'rem Fleh'n. Suchet uns die schöne Fei, bringt herbei die Lorelei, dass mit süßer Melodei sie verschöne uns den Mai. Die Geister der Reben: Wir gehorchen eu'rem Wort, suchen hier und suchen dort. Seht sie schlafend unterm Dach neu begrünter Bäume! Wunderbare Fee, erwach', scheuche fort die Träume! Aus den Tiefen, wo sie schliefen, rufen dich mit langen Tönen all' die wunderschönen Wasserfrauen, hell zu schauen; komm herbei, Lorelei, heute ist der junge Mai! Lorelei: Lasset, lasset mich in Frieden! Abgeschieden von der Welt, die mein Dasein mir vergällt, lasst mich träumen, lasst mich schweigen zwischen schlanken Bäumen, überwölbt von lichten Zweigen. Die Nixen: Die Woge ist hell und das Wasser ist lau, es glänzt durch des Schlosses kristallenen Bau. Die Rosen und Lilien erblühen im Grund, nun öffne den Lieder sprühenden Mund! Du süße Lorelei, singe! Wir wollen jetzt halten den Maientanz, auf blonden Locken den schilfigen Kranz. O bring' in den Fluss den Gespielen geschwind, o sing' uns hernieder ein Menschenkind! Du süße Lorelei, singe! Lorelei: Ach, sie fordern meine Lieder und des neuen Opfers Gabe! Fänd' ich doch die Töne wieder, die ich sonst gesungen habe! Doch seit Liebe ich gefunden, seit der Liebste mich betrogen, ist mir Gift ins Herz gegossen, Tod mir in die Brust gezogen. In das Auge drang mir der böse Blick, und mein wilder Sang bringet das Geschick! Nein, ich singe sie nicht wieder, denn es töten meine Lieder. Die Nixen: O süße Lorelei, singe! O sing' uns hernieder ein Menschenkind und send' in den Fluss Gespielen geschwind! Fischerknabe: Es strahlt die Welt so hell und licht wie sel'ge Blüten im Mai; die Welt hat gar ein hold Gesicht, wie sel'ge Blüten im Mai. So friedenselig schaut mich an der Fels, der Wald, die Wasserbahn. Gleite, mein segelnd Schifflein! Die Nixen: O holder Knabe, o süße Lieder! Lorelei, sing' ihn zu uns hernieder! Fischerknabe: Es strahlt mein Herz so hell und licht wie sel'ge Blüten im Mai; mein Herz hat gar ein froh Gesicht wie sel'ge Blüten im Mai! Nicht Wunsch und Sehnen ficht mich an, klar seh' ich Erd' und Himmel an. Gleite, mein segelnd Schifflein! Die Nixen: O holder Knabe, o süße Lieder! Lorelei, sing' ihn zu uns hernieder! Lorelei: Welch' unschuldsvolles Lied aus reinem Herzen, wie er zur Klippe zieht! Mir macht es Schmerzen. O dieser Seelenfrieden, o dieses Menschenglück, mir ruft's zurück den Schlimmen, der mit Trug von mir geschieden. Die Pein erglüht, der Grimm entsprüht; mein heimlich Wühlen, ich muss es kühlen, ich muss es singen, Verderben bringen! Fischerknabe: O Himmel! Welch' ein mächtig Bild hoch auf dem Felsenkamme! Sie singt und schlägt die Harfe wild. Ha! Ihr Haar weht wie 'ne Flamme! Lorelei: O Knabe jung und hold, dein harret Minnesold. O komm, hier auf steiler Felsenhöh' sing' ich dir mein Lied, sing' in tiefem Liebesweh', das zu dir mich zieht! Frische Lüfte wehen oben, rauschen kühlend um die Brust, und du fühlest dich gehoben, atmest schauernd Liebeslust! Es glänzt in Herrlichkeit der Himmel, der so weit; im Schönheitskleid prangt alles heut', allwärts Seligkeit. Komm herauf zu mir! Ach, deiner wart' ich hier, heißer Liebesschmerz lodert durch mein Herz. Fischerknabe: O schrecklich Aug', o süßer Sang! Mir wird so heiß, so froh, so bang! Lorelei: Wag' es, der Schönheit ins Auge zu seh'n, horche ihrem Wort, in tiefe Liebesflut tauch' unter fort und fort. Schmerzliche Wonne, süße Pein wird dir bei mir! Die ganze Welt, das Himmelszelt versinkt vor dir. Fischerknabe: O schöne Fee, zu dir hinan! Lorelei: Schon fasst die Brust Todeslust; ich muss verderben, der Jüngling muss sterben! Fischerknabe: Ha, weh' mir, es schwankt der Kahn, das Ruder ist zerbrochen! Lorelei: Wag' es, der Schönheit ins Auge zu seh'n, horche ihrem Wort, in tiefe Liebesflut tauch' unter fort und fort. Wag' es, sonst ewig ungestillt glühende Sehnsucht den Busen füllt! Fischerknabe: Mein Herz, mein Herz, o wildes Pochen! Sah Schönheit und hab' Lieb' gefühlt! Ach, von Feuer ist mein Herz durchwühlt! O Lust, o Pein! O junger Mai, das war der Sang der Lorelei! Die Geister der Reben: Jetzt sinket der Kahn, es fasst ihn der Schlund, jetzt zieh'n sie den schönen Knaben zum Grund. Ihn tragen die Nixen zum Schlosse hinab ins schaurig süße, ins feuchte Grab. O Lorelei, du schlimme Fei! Lorelei: Ich bin nicht schlimm, ich bin nicht gut; fast dauert mich das junge Blut. ich singe meine Melodei nicht frei. Ich muss, ich muss! Weh' dem, der hört die Lorelei! Die Nixen: Komm mit uns, du süßer, du holder Genoss, ins ewige Reich, ins kristallene Schloss; du lebest aufs Neue, du lebest im Glanz der schmeichelnden Wellen und tanzest den Tanz der wonnigsten Freude in leuchtender Kühle, entfernt von der Menschen wirrem Gewühle. Entfernet von ird'schem Getriebe dir leuchtet die Schönheit und Liebe. Lorelei: O Knabe, fahr' wohl, fahr' wohl!
Authorship:
- by (Karl) Wolfgang Müller von Königswinter (1816 - 1873) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Ferdinand von Hiller (1811 - 1885), "Lorelei", op. 70, published 1874 [ voice, chorus, and orchestra (or piano) ], Leipzig, Kistner [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Johann Winkler
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