Wie soll ich meine Seele halten, daß sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie hinheben über dich zu andern Dingen? Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkel unterbringen an einer fremden stillen Stelle, die nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen. Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher [Geiger]1 hat uns in der Hand? O süßes Lied.
Sechs Rilke-Lieder
Song Cycle by Theodorus (Theo) Cornelis Maria Verbey (1959 - 2019)
1. Liebes‑Lied  [sung text not yet checked]
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Liebeslied", appears in Neue Gedichte, first published 1892
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , "Cançó d'amor", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Ruth Schonthal) , "Love song", copyright ©
- ENG English (Elisabeth Siekhaus) , "Love song", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Chant d'amour", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
- ITA Italian (Italiano) (Ferdinando Albeggiani) , "Canto d'amore", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
1 Martinsson: "Spieler"
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
2. Grabmal eines jungen Mädchens  [sung text not yet checked]
Wir gedenken’s noch. Das ist als müßte alles dieses einmal wieder sein. Wie ein Baum an der Limonenküste trugst du deine kleinen leichten Brüste in das Rauschen seines Bluts hinein: — jenes Gottes. Und es war der schlanke Flüchtling, der Verwöhnende der Fraun. Süß und glühend, warm wie dein Gedanke, überschattend deine frühe Flanke und geneigt wie deine Augenbraun.
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Grabmal eines jungen Mädchens", appears in Neue Gedichte, first published 1907
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Leipzig: Insel-Verlag, p.7
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
3. Geburt der Venus  [sung text not yet checked]
An diesem Morgen nach der Nacht, die bang vergangen war mit Rufen , Unruh, Aufruhr, -- brach alles Meer noch einmal auf und schrie. Und als der Schrei sich langsam wieder schloß und von der Himmel blassem Tag und Anfang herabfiel in der stummen Fische Abgrund -: gebar das Meer. Von erster Sonne schimmerte der Haarschaum der weiten Wogenscham, an deren Rand das Mädchen aufstand, weiß, verwirrt und feucht. So wie ein junges grünes Blatt sich rührt, sich reckt und Eingerolltes langsam aufschlägt, entfaltete ihr Leib sich in die Kühle hinein und in den unberührten Frühwind. Wie Monde stiegen klar die Kniee auf und tauchten in der Schenkel Wolkenränder; der Waden schmaler Schatten wich zurück, die Füße spannten sich und wurden licht, und die Gelenke lebten wie die Kehlen von Trinkenden . Und in dem Kelch des Beckens lag der Leib wie eine junge Frucht in eines Kindes Hand. In seines Nabels engem Becher war das ganze Dunkel dieses hellen Lebens. Darunter hob sich licht die kleine Welle und floß beständig über nach den Lenden, wo dann und wann ein stilles Rieseln war . Durchschienen aber und noch ohne Schatten, wie ein Bestand von Birken im April, warm, leer und unverborgen lag die Scham. Jetzt stand der Schultern rege Wage schon im Gleichgewichte auf dem graden Körper, der aus dem Becken wie ein Springbrunn aufstieg und zögernd in den langen Armen abfiel und rascher in dem vollen Fall des Haars. Dann ging sehr langsam das Gesicht vorbei : aus dem verkürzten Dunkel seiner Neigung in klares, wagrechtes Erhobensein. Und hinter ihm verschloß sich steil das Kinn. Jetzt, da der Hals gestreckt war wie ein Strahl und wie ein Blumenstiel, darin der Saft steigt, streckten sich auch die Arme aus wie Hälse von Schwänen, wenn sie nach dem Ufer suchen. Dann kam in dieses Leibes dunkle Frühe wie Morgenwind der erste Atemzug. Im zartesten Geäst der Aderbäume entstand ein Flüstern, und das Blut begann zu rauschen über seinen tiefen Stellen. Und dieser Wind wuchs an : nun warf er sich mit allem Atem in die neuen Brüste und füllte sie und drückte sich in sie, - daß sie wie Segel, von der Ferne voll, das leichte Mädchen nach dem Strande drängten. So landete die Göttin . Hinter ihr, die rasch dahinschritt durch die jungen Ufer, erhoben sich den ganzen Vormittag die Blumen und die Halme, warm, verwirrt wie aus Umarmung. Und sie ging und lief. Am Mittag aber, in der schwersten Stunde, hob sich das Meer noch einmal auf und warf einen Delphin an jene selbe Stelle. Tot, rot und offen .
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Geburt der Venus", appears in Neue Gedichte
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Band 1, Leipzig: Insel-Verlag, 1922, p.97
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
4. Jugend‑Bildnis meines Vaters  [sung text not yet checked]
Im Auge Traum. Die Stirn wie in Berührung mit etwas Fernem. Um den Mund enorm viel Jugend, ungelächelte Verführung, und vor der vollen schmückenden Verschnürung der schlanken adeligen Uniform der Säbelkorb und beide Hände , die abwarten , ruhig, zu nichts hingedrängt. Und nun fast nicht mehr sichtbar : als ob sie zuerst, die Fernes greifenden , verschwänden. Und alles andre mit sich selbst verhängt und ausgelöscht, als ob wirs nicht verständen , und tief aus seiner eignen Tiefe trüb --. Du schnell vergehendes Daguerreotyp in meinen langsamer vergehenden Händen.
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Jugenddbildnis meines Vaters", appears in Neue Gedichte
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Band 1, Leipzig: Insel-Verlag, 1922, p.61
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
5. Morgue  [sung text not yet checked]
Da liegen sie bereit, als ob es gälte, nachträglich eine Handlung zu erfinden , die miteinander und mit dieser Kälte sie zu versöhnen weiß und zu verbinden ; denn das ist alles noch wie ohne Schluß. Was für ein Name hätte in den Taschen sich finden sollen ? An dem Überdruß um ihren Mund hat man herumgewaschen ; er ging nicht ab ; er wurde nur ganz rein. Die Bärte stehen, noch ein wenig härter, doch ordentlicher im Geschmack der Wärter, nur um die Gaffenden nicht anzuwidern. Die Augen haben hinter ihren Lidern sich umgewandt und schauen jetzt hinein .
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Morgue", appears in Neue Gedichte
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Band 1, Leipzig: Insel-Verlag, 1922, p.34
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
6. Todes‑Erfahrung  [sung text not yet checked]
Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund, Bewunderung und Liebe oder Haß dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund tragischer Klage wunderlich entstellt. Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen. Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen, spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt. Doch als du gingst, da brach in diese Bühne ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt, durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne, wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald. Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes hersagend und Gebärden dann und wann aufhebend; aber dein von uns entferntes, aus unserm Stück entrücktes Dasein kann uns manchmal überkommen, wie ein Wissen von jener Wirklichkeit sich niedersenkend, so daß wir eine Weile hingerissen das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Todeserfahrung", appears in Neue Gedichte
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Leipzig: Insel-Verlag, 1920
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