by Kurt Tucholsky (1890 - 1935)
In Weißensee
Language: German (Deutsch)
Da, wo Chamottfabriken stehn - Motorgebrumm - da kannst du einen Friedhof sehn, mit Mauern drum. Jedweder hat hier seine Welt: ein Feld. Und so ein Feld heißt irgendwie: O oder I. Sie kamen hierher aus den Betten, aus Kellern, Wagen und Toiletten, und manche aus der Charité nach Weißensee, nach Weißensee, nach Weißensee, nach Weißensee. Wird einer frisch dort eingepflanz nach frommen Brauch, dann kommen viele angetanzt - das muß man auch. Harmonium singt Adagio - Feld O - das Auto wartet Taxe drei - Feld Ei. Ein Geistlicher kann seins nicht lesen. Und was er für ein Herz gewesen, hört stolz im Sarge der Bankier in Weißensee, in Weißensee, in Weißensee, in Weißensee. Da, wo ich oft gewesen bin, zwecks Trauerei, da bringt man dich und mich dann hin, wenns mal vorbei. Du liebst. Du reist. Du freust dich, du - Feld U - Es wartet in absentia Feld A. Es tickt die Uhr. Dein Grab hat Zeit, drei Meter lang, ein Meter breit. Du siehst noch drei, vier fremde Städte, du siehst noch eine nackte Grete, noch zwanzig-, dreißigmal den Schnee - Und dann: Feld P - in Weißensee, und dann: Feld P - in Weißensee.
Authorship:
- by Kurt Tucholsky (1890 - 1935) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Hanns Eisler (1898 - 1962), "In Weißensee" [text verified 1 time]
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
This text was added to the website between May 1995 and September 2003.
Line count: 41
Word count: 199