by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
An Clara Rilke ‑ Westhoff
Language: German (Deutsch)
An Clara Rilke Westhoff Meine liebe Clara, Rodin, der immer noch angegriffen ist (Madame ist sehr böser Laune), vermeidet's möglichst nach Paris zu gehen, und hat hier draussen im grossen Atelier im Hause (wo die Bücher sind) ein sehr schönes Porträt von Bernhard Shaw begonnen. Der Meister arbeitet rasch, Stun den, wie mir scheint, in Minsten zusammenpressend. Man fühlt gleichsam, wie sein rascher, raubvogelartiger Griff immer nur eines von den Gesichten ausführt, die in ihn einströmen, und man begreift sein Arbeiten aus Erinnerung nach Ablauf der Séance. Capri, Montag den siebzehnten Dezember Wüste Lou, wieviel solche Briefe ich in Gedanken an mich selber schreibe. Lange Briefe mit solchen Einwürfen. Sie sind mir alle ganz vertraut. Ist dann nicht doch ein Haus un uns, ein wirkliches, für welches nur das sichtbare Zeichen fehlt, so dass es die anderen nicht seh'n? Paris, Donnerstag abends, neunzehnhundertsieben Küss unser kleines herzliches Mädchen, das Dich gut aufnehmen wird, und sag ihr, dass Väterchen an sie denkt. Ich muss sie bald seh'n. Aber ich muss vorher etwas fertiggebrachthab'n und ein bisschen weiter sein... Ach, man müsste arbeiten. - man kann ja auch nur das, in allem and’ren ist man zehnten Ranges... Vierten November, vormittag. Im Zug’ Prag-Breslau Die schöne Baronesse kan mir mit ihren sehr sympathischen jungen Brüdern auf der Schlossbrücke entgegen. So blieben wir ganz unter uns and tranken schliesslich Tee (wozu es Ananasscheiben gab) und waren gern' beisamen, jeder des anderen froh. Es war ein bisschen wie eine Kindergesellschaft, nur dass es kein Grossen gab und man die Spielzeugschachteln innerlich aus- und einpackte. Prag selbst war konfus. Alle wollten mich haben, als ob ich essbar wäre, - hatten sie mich aber, so fand ich sie nicht hungrig und als müssten sie Diät halten. Meine Mutter herzlich bemüht, alles mögliche zu tun–. Aber… Paris, rue de Varenne am dritten September neunzehnhundertacht Ich sprech' Rodin von nordischen Menschen, von Frauen, die nicht den Mann festhallen vollen, von Liebes Möglichkeiten ohne Betrug: er hört und hört und kann nicht glauben, dass es das gibt, und wünscht doch es zu erfahren. Dass die Fray das Vorstell’ ist die Halle Fussangel das scheint imh verhängt Tunesia Man müsste viel länger hier sein. Diese unbegreifliche Tempelwelt, die ich im eben erst abnehmenden Monde sah, sah, sah, - mein Gott, man nimmt sich zusammen, sieht mit allem Glaubenwollen beider eingestellter Augen - und doch beginnts über ihnen, reicht überall über sie fort (nur ein Gott kann ein solches Sehfeld bestellen) Muzot, am dreiundzwanzigten April neunzehnhundertdreiundzwanzig aber jetzt, wo es still und fruchtbar zu regnen begehrt, lange Briefe, die der Himmel der Erde zu schreiben wünschte, verzweifelt man fast über die täglichen Zörne des Sturms, die das gute. Gewölk mit unbe- schreiblicher Virtuosität über die Berge schleudern. Das zerrt oft an den Nerven und, mehr noch, an den armen Blumen in den Beeten, die, sinnlos gepeitscht und gezüchtigt, den Kopf verlieren. Und ich, persönlich, hab' auch allerhand körperliche Übelstände, Meine Feder war ganz eingespannt, diese Wochen, die ziemlich zahlreichen Übertragungen abzuschreiben, herrliche Gedichte von Paul Valéry, und nie, scheint mir, war ich im Übersetzen genauer und glücklicher. - Sei auch Du mir, liebe Clara von Herzen gegrüsst. Dein alter Rainer Maria
Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Caroline Ansink (b. 1959), "An Clara Rilke - Westhoff", 1992, copyright © 1992 [ soprano, mezzo-soprano and instrumental ensemble ], from Liebe Freundinnen, chères amies, no. 3, Amsterdam : Donemus [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
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