Es sey gegrüßt das Inselland der Stille, Die Einsamkeit, die große Stunden krönt, Wo die Betrachtung wohnt, und aus der tiefen Fülle Der Seel' ein Wiederhall aus fernen Welten tönt! Fleug hin mit deinem Geist zu jenem Wunderthale, Dem Thal, um welches kühn empor die Tempelhöhn Der Felsen, wie Erinnrungsmahle Von grauen Ewigkeiten, stehn! Laß noch einmal den Tag vorüberziehen, Der, wie ein schöner Wandel, unterging, Und mit dem Nachklang seiner Harmonieen Schon zwischen zweien Welten hing, Als uns dieß Gotteshaus umfing, Dieß Felsenthal, voll großer Phantasieen! Wir schauten nach der Rosenwand, Wohinter mit den letzten Spuren Das schöne Licht hinunter schwand, Als hinter uns der Mond, voll Silberfluren, Wie eine aufgeblühte Hoffnung, stand; Und, wie ein dunkles Leben, wand Der Strom des Waldes sich durch seine Wasserfälle, Hinab, wohin die Zeit ihn reißt: Da schlug, wie eine leise Welle, Der Sinn des Lebens auf in unserm Geist. Es war so still um ihn, wie nach verstummten Flöten, So still, als ob durch die verhüllte Flur Des Friedens Athemzüge wehten; Nichts war um uns, als Gott und die Natur. Da schauderte durchs Herz die Kraft, sich aufzuringen, Sich los zu retten von den Dingen; Und freier sah der Geist ins Ewige hinaus; Und Leben, Lebenswonn' und Licht und Wahrheit gingen Vom hohen Unsichtbaren aus. Doch fragt der Zweifel: warf die Gottheit mit Verachtung So viel erhabnen Lebenssinn Und so viel Gottheit zur Verschmachtung Ans große Weltenufer hin? Tilgt er ihn zürnend weg aus seinem Angesichte, Den Menschengeist, den er so tief Und inniger hervor aus seinem Gotteslichte, Als alle seine Sonnen rief? -- Sieh doch! ein liebliches Geflimmer Wird freundlich dort in Osten wach; Schon tritt ein rother Morgenschimmer Ins einsam traurende Gemach, Wo jetzt dein Freund zu deiner düstern Stille, Zu deinem Gram von Seyn und Werden spricht, Daß er sich selbst den Strahl aus dem Gewölk enthülle Das einen dunkeln Streif in seine Tage flicht. -- Willkommen, Morgenblick! wie lieblich wallt der Schleier, Der dich umflattert! duftet nicht Aus ihm die Ahnung jener Feier, Die einst aus meinem Grabe bricht? Wird einst das tiefre Dunkel schwinden, Das noch dies Wort, noch diesen Traum umgiebt? Du Herold Gottes, hast du nichts mir zu verkünden? -- Du sagst mir freundlich zu: Gott liebt! -- Er liebt! in diesem Strahl der in die finstre Höhle So hold, wie durch das Thor der weiten Halle blickt, Liegt eine Farbenwelt, die blühend uns entzückt; In diesem Hauch der Luft ruht eine zarte Seele, Der Geist der Töne ruht darin. Die Aeolsharfe bebt, wir werden fortgezogen; Wie schweben auf den sanften Wogen Zur Welt der Harmonien hin! Wie unsichtbare Geister, streuten Verborgne Hände Blumen auf die Welt, Durch welche Engel uns begleiten, Von einer höhern Huld uns freundlich zugesellt. Die Huld hat an die Rasensitze Der Freude hingestellt den Schmerz, Daß, gegen unser eignes Herz, Er unsre Lebensfreundin schütze: Verdamme nicht den weisen Schmerz! Er steht im Bunde mit dem Lebenstriebe. Er heilet durch die Wunden, die er schlägt: So waltet eine große Liebe, Die mütterlich an ihrer Brust uns trägt. Die Liebe nur hat eine Welt geboren, Die Freude nahm sie auf den Schooß; Und beide haben einen Bund beschworen, Zu weihen, zu beseligen das Loos, Womit das Daseyn uns begrüßte. Ja schafft der Mensch sich selbst nicht um zur Wüste: So ist kein Thal so wüst und wild, Wo nicht ein Blumenodem mild, Wie durch ein holdes Wort den Hingang uns versüßte. Halb fliehend, und nur darum schön, Wirft uns die Freud' auf allen Wegen Die Blumen ihrer Kron' entgegen. Die Freude schwebt im leisen Wehn Der Waldluft hin, und schlägt um jeden Zweig die Flügel; Wenn Taumelwellen auf des Baches Spiegel, Gleich kindlichen Umarmungen, sich drehn: Dann schüttelt sie vom nächsten Hügel Die bräutliche Bekränzung drauf; Sie führt den Tanz des jungen Lebens auf, Beglückt den Wurm und hebt die Schwinge Dem Adler, wie dem Schmetterlinge; Sie füllt den Frühgesang im Lerchenbusen auf, Daß er die Zeit der Lust den Wolkenhallen singe; Sie zieht, als Dyras, ein, wo du die Laube wölbst; Sie färbt die Blüte roth, wie eine Mädchenwange; Sie folgt, als Grazie, von fern dem Tugendgange: Denn werth des Himmels seyn, ist halb der Himmel selbst. So war es dort im Thal, das deine Trauer feiert, Wo, durch die grüne Tempeldämmerung Hinleuchtend, wie mit Glanz umschleiert, Die hohe Seel ging, voll Lieb' und Heiligung, Die sanft ihr schönes Herz hinauf zum Himmel trugen: Es feierte der ganze Hain, Und alle Nachtigallen schlugen In Hehra's Seelenfest hinein. Sie blickt' empor, und sah den Schein Der Abendfackel durch das Grauen Der Dämmerung am Saum der Nacht herüberschauen. Da rief sie: "schön ist doch das dunkle Menschenloos! Die Erde nimmt uns sanft auf ihren Blumenschooß, Und zeigt von fern uns neue Erden, Für die sie uns erzieht; und schauerlich und groß Liegt vor uns da das dunkle Seyn und Werden. Wie eine Zukunft schaut die Abendwelt, Sie schaut uns an aus ihren tiefen Hallen, Voll Sterne, die das weite Schlummerzelt Des eingeschlafnen Tags, wie goldne Träum', umwallen. Da sieh das Zweigestirn, wie schön Die beiden Sterne dort zusammen Am Himmel auf und nieder gehn, Und ewig sich einander hold umflammen! Ob wir uns dort wohl wiedersehn? Die große Liebe strahlt da droben ja so schön So sanft, wie sie hier unten waltet, Die unsre Seelen trägt, und Seel' an Seele schmiegt, Und tausendfach geliebt und tausendfach gestaltet Aus einer Seligkeit uns in die andre wiegt. Die sichre Bürgschaft für den Himmel Ist doch der Himmel hier in unsrer Brust! -- " O Freund, ein großes Wort! Es heiligt im Getümmel Des Lebens den Gewinn und tröstet den Verlust! Du sah'st die Zukunft sich in Hehra's Thräne spiegeln: Da fiel in deine Seel' ein feierliches Licht: Da legt mit der Liebe Flügeln Sich um dein Herz die schöne Zuversicht; Die Zuversicht umfing mit einem Bunde Der Huld dies Klippenthal und jenes hohe Seyn. Begegnen wird dir einst mit dieser reichen Stunde Die Ewigkeit noch am Zypresenhain [sic]. Sey Friede denn mit dieser Welt der Mängel! Dem Himmel ist sie ja so nah' verwandt; Und Huld und Freundschaft weihn in ihr ein stilles Land, Und bau'n darin sich an, wie zwey erhabne Engel, Aus einer schönen Welt herab gesandt. Wo eine Tugend an die Brust der andern Und wo der Gram ans Herz der Liebe sinkt: Da laß uns heiliger vorüber wandern; Da ist ein Gott, der uns bedeutend winkt. Das Heilige, was edle Menschen geben, Ist ein geweihtes Pfand, das nicht der Zeit gehört, Es ist die Bürgschaft für ein Leben, Das große Opferungen ehrt. Lieb' und Freundschaft wandeln unter guten, Frommen Menschen tröstend auf und ab; Treten weinend an ein [Blumengrab]1, Wo die Brust versank, an der sie ruhten. Sind wir würdig seufzen sie hinauf Zu der hohen Welt, voll Sternenschimmer Fortzudauern über diese Trümmer: Dann, du stille Lichtflor, nimm uns auf. Nimm uns auf und heile diese Schmerzen, Und vergüte, was dein Pilger litt! Ach, wir bringen tiefzerrißne Herzen, Bringen thränenvolle Wangen mit! Unsre Herzen sind voll Todtenmahle, Wie der Rasen im Zypressenthale. Zwischen Gräbern seufzen wir hinauf: Stille Lichtflur, nimm uns rettend auf; Ach, Freund, wenn nichts von allem bliebe, Was nur begann, so schön, so feierlich begann! Die Sonne droben ist ein großer Blick der Liebe: Gott schaut mit diesem Blick uns an, Ihn frag, ob Gott den Keim vernichten kann? Nicht immer schwebt im sanften Blütenregen Die große Lieb' um unser Herz; Das Schicksal klopft mit harten Schlägen An unsre Brust, und draußen steht der Schmerz. Wir schrecken auf, und zitternd sinkt das Herz Auf Trümmer seines Friedens nieder; Trit [sic] näher hin, und er erhebt dich wieder; Ein Bote Gottes ist der Schmerz. Er spricht: "verlaß dieß Wogen und dieß Fluten, Das Leben heißt, den Traum, der nach Gestalten greift; Es ist der Geist des Schönen und des Guten, Der hinter diesen Hüllen reift.--" Ja, Freund, Gestaltung ists, worein das Große, Das Hohe; nur die Wurzel schlägt, Das sein bestrahltes Haupt im Schooße Des reinen Aethers blühend trägt! Oft fällt ein Nachtorkan in unsre stillste Feier Und jagt ein Wolkenheer herauf; Doch eben dieser Sturm zerreißt den Wolkenschleier: Und lichte Stellen blicken freundlich auf. Schwarz war die Flur, zerrißne Wolken flogen; Sie hingen grau vom Horizont herab; Die Sterne hinter Wolkengittern zogen, Wie stille Geister, auf und ab. Und Lykophron saß in der finstern Höhle Mit seinem Gram in sich versenkt und stumm; Kalt legte sich die Nacht um seine Seele, Wie eine schwarze Schlang', herum. Doch tiefer hüllt in ihre Schattenflügel Die Dunkelheit sein ödes Leben ein; Nur wie ein Mond, sah über ferne Hügel Noch die Erinnerung herein. Der Dulder schaut' empor zur düstern Ferne; Laut weinend fragt' er dort die Wüstenei Der stillen Nacht: auf welchem Morgensterne Melida's lichte Wohnung sey? -- "Ach! oder ist es Staub, wovon ich wähne; Da droben sey für seinen Blick ein Ziel? Verrann der edle Sinn zu einer Thrane, Die auf den Sand der Erde fiel? Aus Blumenstaub erstand Melida's Jugend; Die Rose fiel; ich sah ihr Laub verwehn; Aus welchem Staub' erstand Melida's Tugend, Um in den Staub zurück zu gehn? --" Und sieh ein Strahl, ein Leuchten, das die Trümmer Des Lebens sanft und heilig übersonnt', Umzitterte, wie leiser Morgenschimmer, Des Dulders finstern Horizont. Der Wolkenvorhang war hinweggezogen; Wie eine junge blühende Natur, Umarmte sanft ein schöner Friedensbogen Die Stille seiner Lebensflur. Da wars, als spräch ein Geist zu ihm die Worte: "Kein Funken einer Göttlichkeit verglüht! Zu höherm Glanz führt diese Blumenpforte; Sie ist aus Thränen aufgeblüht! --" So, Freund, so waltet still um das Getriebe Des Lebens eine große Liebe. Sie führt uns in den Hain der Lust; Um unsern Frühlingstraum webt sie die Blüthendecken; Sie wirft den Sturm an unsre Brust, Um tief in uns den Ernst der Zukunft aufzuwecken. Sie gab die Tugend uns, als eine sichre Spur Und als ein Unterpfand der höheren Natur; Sie strahlte, daß der Mensch sich selbst getreuer bliebe, Der Tugend sanften Wiederschein In sein Gefühl[,] in seine dunkeln Triebe, Wie eine Nebensonn', hinein. Und diese Liebe stürzt, ach! wie von einer Klippe, Vom Daseyn kalt ein Menschenherz herab? Sie reißt den Kelch von seiner Lippe, Für den sie so viel Durst ihm gab? Sie pflanzte tief in ihn ein foderndes Bedürfen, Wofür auf keiner Flur ein Lebensborn entquoll? Warf ihm ein Daseyn zu, von hoffenden Entwürfen Zu einem Bau, der nie gelingen soll? Wie? hat sie darum, nur in dieser Stufenhalle, Den Menschengeist so hoch hinauf gestellt, Daß er vom Gipfel seiner Welt Mit desto tieferm Sturze falle? Und hat sie darum ihn so klein gemacht, Daß er in einem Traum von Größe sich verschmähe? Daß er hinweg von sich nach einem Bilde sehe, Das vor ihm selbst ihn nur erröthen macht? Sie zeigt ihm dort ein Licht auf einer Götterhöhe, Und seine Heimath ist die Nacht? Sie hat den Traum von Freiheit in die Seele, Des Menschen selbst hinein gelegt, Und baut um ihm die Kerkerhöhle, Worin er fühlt, daß er noch Fesseln trägt? Sie ruft durch die Natur zur seligsten Vermuthung Der Dauer Geist und Herz hinauf, Und baut zur gräßlichen Verblutung Den Altar der Natur doch auf? Und bringt das Heilige, was Menschen opfernd geben, Die Zeit dem Morde der Vernichtung dar? So mag das Laster nicht, so laß die Tugend beben? Für sie errichtet sich der Blutaltar! Verloren sind die großen Weihesstunden! Mit Erdenfreuden ist das Laster abgefunden: Der Tugend grauser Fluch ist, daß sie Tugend war! So quillt das Böseste des Bösen Denn aus dem Quell des höchsten Guts? -- Kann Glaub' an Tugend nicht die Widersprüche lösen: Dann geb' ich hin die Veste meines Muths; Dann kehr' ich weg den Blick vom großen Weltenbuche; Hohn lacht mir die Natur in ihrem Morgenroth; Dann wird das Leben mir zum Fluche; Das Leben ist ein langer Tod. -- So stehen Glaub' und Zweifel auf und kämpfen; Und welchem Kämpfer spricht Vernunft die Krönung zu? Dem göttlichern! der weht den Krämpfen Des letzten Hauches eine Ruh, Wie Abendluft, mit seinen Palmen zu. In diese Friedenspalmen rette Dein Glaube sich, wenn er, verjagt Von Zweifeln, nach der Ruhestätte Der angefochtnen Hoffnung fragt! Wenn er umherwankt und den Sternen Den Harm vertraut, der seinen Frieden drängt. Was wäre dieses Seyn, worin wir eingeengt So eben nur die Tugend lieben lernen, Und fort sind, eh' sie uns umfängt: Wenns todte Nächte kalt auf ewig überdeckten; Wenn wir aus diesem Urnenthal Umsonst hinauf die Hände streckten Nach jenem hohen Ideal. Laß einen Edlen sich vom Erdenstaub erheben; Mit einem Seufzer geht der Weiseste dahin. Las Casas stirbt -- o sieh! der ganze Sinn Des Lebens drückt sich aus in einem solchen Leben. Wie unbefriedigt schaut er auf den Baum zurück, Wo seine Tag' ihr kurzes Daseyn hatten: Das ist der letzte dunkle Blick; Es ist, als würf er nur noch einen leisen Schatten Aus einer höhern Welt zurück. Er sieht die Zeit, wie sie mit aufgerißnem Flügel Dahin mit unsern Thaten flieht: So tritt er auf den letzten Hügel, Um den ein Abendtraum vom langen Tage zieht. Da, wo er rettete, schwebt ein erhabner Engel; Und wo sein Muth der Tyrannei erlag, Bedeckt die Stell' ein dunkler Tag, Es ist der Schatten seiner Mängel, Er kennt ihn wohl und büßt ihn seufzend ab. Ein Himmelsahnen schwebt nun sanft, wie eine helle, Versöhnende Gestalt, auf seinen Geißt herab. Das reinste Leben gleicht der Quelle; Auf ihren Spiegel fällt des Sonnengottes Blick; Doch die, vom Schlamm des Ufers trübe, Welle Strahlt ihn mit Zittern nur dem hehren Gott zurück. Sprich! sinkt das Göttliche des Menschen unvollendet Dahin, wie ein Phantom, ein Luftbild, welches matt In seine Nacht versinkt? -- Nein! durch die Tugend hat Ein hohes Leben sich an unsern Geist verpfändet. Umsonst beseelt ihn nicht der hohe Göttermuth; Es blühet Leben auf an einem Lebensstamme; Auflodern wird die reine Vestagluth, Die schöne Funken sprüht, zur lichten Aetherflamme. Nur, was der Erd' entsteigt verdorrt; Erinnrungsmahle selbst verwittern; Fort muß die hohe Zeder, fort! Schau, wie versteinerte Jahrtausende stehn dort Die Riesenfelsen auf: die Zeit wird sie zersplittern! Das Hohe fallt; und eine dumpfe Nacht Steht laurend hinter jedem Schimmer. Wir wandeln hin durch Roms versunkne Pracht Und trauren über Hellas Trümmer. Die Gegenwart tritt auf, und die Vergangenheit Sinkt immer tiefer weg von einem jüngern Lichte[,] Die Weltgeschichte selbst begräbt die Weltgeschichte, Verwischt den alten Schattenriß der Zeit. Erwachen, Seyn und Tod -- Verhängnißvolle Worte! -- Sind das Gerüst, worauf die Majestät Des feierlichen Throns, so wie die Hütte steht. Das Leben ist die enge grüne Pforte, Durch die der Mensch halb ofnen Auges geht. Die Blume neigt the Haupt zur mütterlichen Erde, Nicht fragend: ob ein Morgenroth Zu irgend einem Lenz sie wieder wecken werde? Der Mensch nur fühlet seinen Tod. Es schaudert kalt herauf die gräßliche Verwesung; Aus ihren Nächten droht ein schreckendes Gesicht; Doch eine Geisterstimme spricht: Der Tod ist rettende Genesung, Der finstre Durchgang nur vom Licht zu hellerm Licht. Dort zittert schwer, wie das Ermatten, Ein wandelnder gebeugter Schatten, Ein reiches Leben einst; und schau, wie dürftig nun! Als ob es schwindend lebt' und lebend niederschwände; Dahin ist seine Welt! im kalten Herzen ruhn Umarmungen schon längst verwes'ter Hände. Einst stellt' er einen Halbgott dar, Im Kranze des gelungnen Strebens; Was ist er jezt, der einst so mächtig war? Ein halb versunknes Denkmahl seines Lebens! O sieh den finstern Gang, den dieser Schatten geht! Was wird ihm diesen Gang vergelten? -- Er wankt dem Altar zu, der zwischen zweien Welten Auf einem düstern Isthmus steht. Die Weihung naht! Sie steigt herauf die ernste Hore, Sie trit am Altarhügel still herauf, Und opfert diesen Greis am Ausgangsthore Des Lebens -- der Vergöttrung auf. Was unter Winterstürmen modert, Sind nur die Blätter, die der Hain verlor; Und aus der Opferasche lodert Die strahlende Vergötterung empor. So nehme die Natur zurück denn ihre Gaben! Was sie nicht gab, gehört ihr nicht: Das feierliche Seelenlicht, Die freie Geisteskraft ist über sie erhaben; In ihrem Schooß erlischt das Seelenleben nicht! Ich bin zum Seyn, zu großem Seyn erlesen: Dieß zeugt in mir der tiefe Lebenssinn; Zur Bürgschaft bietet sich mein ganzes Wesen, Mein ganzes Daseyn an! Seyn werd' ich -- weil ich bin! Ich bin! -- des Daseyns höchste Blüte Ist dies Gefühl in meiner Brust: Daß ich die Tugend mir gebiete; Durch mich bin ich mir dieses Seyns bewußt. Nicht die Natur und nicht die Lehrerin, Erfahrung Hat meinen Lebenssinn für Recht und Pflicht entflammt; Es ist ein Gott in mir, von dem die Offenbarung Des heiligen Gewissens stammt. Ich bin! Nun trozet meine Seele Den Wetterschlägen, die der Höhle, Wo sie durchs Gitter schauet, dräun; Ich bin: und darum werd' ich seyn! Wie Geist und Körper ist? und wie sich Eins hinüber Ins andre tief zu Einem Seyn verpflicht, Zu einem solchen Seyn, der Mensch erforscht es nicht; Es ruhet Gottes Hand darüber. Erforschten wir es auch, sprich was gewonnen wir? -- Genug die Tugend bürgt dafür: Daß nicht in der Natur ein Quell versiegen werde, Der jenseit der Natur entrann. Was irdisch ist, gehört der Erde; Das Heilige gehört dem Himmel an! Unsterblichkeit, auf hehren Schwingen Fliegt auf der Geist in dein lichtes Reich; Tief hinter ihm, wo die Gestalten ringen, Verrauschet der Sturm am dürren Gesträuch! Ihr, vom Naturgesetz gehalten, Ihr Sonnen strahlt durch den weiten Raum! Mein Geist fliegt auf von den Naturgewalten; Und leuchtender strahlt sein irdischer Traum! Es ist von ihm hinweggesunken, Was irdisch war; nur die Göttlichkeit, Den heiligen, den reinen Aetherfunken Entwinket ein Gott der pflegenden Zeit.
J. Lang sets stanzas 12-15
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View original text (without footnotes)Confirmed with C.A. Tiedge, Urania über Gott, Unsterblichkeit und Freiheit -- ein lyrisch-didactishes Gedicht, in sechs Gesängen, sammt der Einsamkeit, Wien und Prag: bey Franz Haas, 1804, pages 191-212.
Notes
Stanza 2, line 1, word 4 appears as "deinen" in the text cited. It has been corrected to "deinem".
Stanza 4, line 11, word 3 appears as "Farbenwest" in the text cited. It has been corrected to "Farbenwelt".
Stanza 15, line 2, word 4 appears as "in" in the text cited. It has been corrected to "im".
Authorship:
- by Christoph August Tiedge (1752 - 1841), "Unsterblichkeit", appears in Urania (1804), in Vierter Gesang (1804) [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Josephine Lang (1815 - 1880), "Aus Tiedge's Urania", subtitle: "Vierter Gesang: Unsterblichkeit", stanzas 12-15 [ voice and piano ], unpublished [sung text checked 1 time]
Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Sharon Krebs) , copyright © 2024, (re)printed on this website with kind permission
Research team for this page: Emily Ezust [Administrator] , Sharon Krebs [Guest Editor]
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