by Eduard Rudolf Grisebach (1845 - 1906)
Stieg am ersten Weltenmorgen
Language: German (Deutsch)
Stieg am ersten Weltenmorgen Aus dem Meer der Sonnenjüngling, Küßte gleich mit Purpurlippen, Küßte gleich die junge Erde, Daß sie, mädchenhaft erröthend, In verschämte Nebelschleier, Gegenliebe zu verbergen, Ihren Busen hüllt -- umsonst: Und der ersten Liebesstunde Sieh! entsprossen tausend Kinder, Blumen, Vogel und Gazellen Und zuletzt die holden Menschen, Weiß ihr Leib wie Sonnenstrahlen, Dunkle Sonnen sind die Augen, Sonnig glühen auch die Herzen In der tiefen Menschenbrust. Und zum väterlichen Lichte Heben sie die Hände dankbar, Singen mit melodschen Lippen Jubelnd ihm das erste Lied. Aber an des Tages Abend Neigt das Haupt der Flammenbräutgam, Müd' vom Buhlen, sterbensmüde Und voll Sehnsucht nach des Meeres Uranfänglich kühler Feuchte, Streift er ab die Purpurkleider, Tauchet langsam, ruhig langsam, In das dunkle Bad der Nacht. Ach, und nach des Gottes Scheiden Werden blaß die Rosenwolken, Blaß der Himmel, und die Berge Werden farblos, kalt und bleiern. Ohne Farbe, ohne Leben Stehen fahl und starr die Wälder, Wie gestorben, und die Erde Fröstelt, die verlassne Wittwe. Fröstelnd auch am Meeresufer Schmiegen eng sich aneinander, Furchtsam eng die Sonnenkinder, Und es schattet schwarz und schwärzer; Und ihr Auge, nachtumhüllet, Weinet seine erste Thräne Ach! es suchen sich Verliebte Und erkennen sich nicht mehr. Blumen schließen scheu die Kelche, Schmetterlinge ihre Flügel, Und die Vögel flattern ängstlich Durch die Büsche, gegen Bäume; In der liederreichen Kehle Bleiben alle Töne stecken, Auch die Nachtigallen singen Nur ein stummes Klagelied. Und durchs junge Herz der Erde, Blumenherzen, Menschenherzen, Zittert nur ein einziger Seufzer, Seufzerwunsch nach goldnem Licht; Und zum düstren Firmamente Schwimmt der tiefe Seufzer aufwärts, Sieh! und wie er angelandet An der finstern Wölbung -- plötzlich Wird er leibhaft und lebendig, Wunsch verkörpert zum Erwünschten, Und die ersten Strahlenblicke Auf die Erde wirft der Mond, Reißt entzwei die Wittwenflöre, Legt um ihre Marmorschulter Zart ein elfenweißes Brautkleid Und er küßt sie lang und zärtlich; Küßt der Blumen Kelche offen, Küßt die Käfer und sie glühen, Küsset auch die Nachtigallen Und sie schluchzen süßmelodisch, Und den Jünglingen und Mädchen Küßt er Augen, Stirn und Lippen, Weckend den Verliebten wieder Allerlieblichste Erkenntniß; Und sie wandeln holdverschränket, Reizend enge, Herz an Herzen, Und zuletzt auf Veilchenbetten Schlafen sie den ersten Schlaf. Und im lieben Mondenlichte Schlummert auch die Erde, schlummern Auch die Rosen -- unaufhörlich Singt allein die Nachtigall.
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- by Eduard Rudolf Grisebach (1845 - 1906), no title, appears in Der neue Tanhäuser (1888), no. 21, Berlin: Verlag von F. & P. Lehmann, first published 1888 [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Paul Geisler (1856 - 1919), "Stieg am ersten Weltenmorgen" [ men's chorus and orchestra or piano ], from Sansara für Chor, Soli und Orchestra, no. 1, the piano reduction by Friedrich Spiro was published in 1889 by Raabe & Plothow, Berlin [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Sharon Krebs [Guest Editor]
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