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by Robert Hamerling (1830 - 1889)

Wunderbar in Finsternissen blüht
Language: German (Deutsch) 
Wunderbar in Finsternissen blüht
Der Stern des Gesanges.  Ich sah ein Vöglein sitzen,
Ein unscheinbares, im engen Käfig.
Und als ichs näher betrachtete,
Siehe, da schreckten in seinem gefiederten Köpfchen
Mich todte, traurige Höhlen
Statt fröhliche Augensterne.  
Geblendet war der Vogel.  Schaudernd fuhr ich zurück, 
Und Rührung preßte mir
Das Herz zusammen, und unendliches Mitleid.

"O Vöglein,"  seufzt' ich,  "armes, armes Vöglein, 
Dir blüht kein Lenz mehr.  Nie wieder, auch nur von Ferne, 
Siehst du die weite, schöne Welt, und ausgebreitet
Den grünen Wald auf Bergen, und in den Gärten 
Die Blumen, und der Ströme Silberbänder,
Fernher winkend.  Nie wieder, auch nur durch die Stäbe des Käfigs,
Besucht dich der Glanz des himmlischen Äthers
Und die Maiensonne, spielend um schimmernde Dächer
Und grüne Baumwipfel.  Du armes, armes Vöglein,
Verloren ist dir der Lenz und die Luft, wie mir, und so
Verloren wohl auch Leben und Lied!"

So klagt' ich wehmüthig.  Da plötzlich, wie wenn der schimmernde Springquell
Aufsteigt in die ruhige Luft, oder Raketen sternartig, 
Entgegen dem Abendhimmel: so stieg ein schmetternder Triller
Klangfreudig und langhingezogen
Empor aus der tönenden Kehle des Vögleins.
Ihm aber folgte Gesang, kraftsprudelnd und unerschöpflich,
Und in dem Gesang jauchzte Behaglichkeit
Und Lebenslust, und die ganze, volle Wonne des Frühlings. 
Draußen aber hingen die Wolken
Am kalten Himmel, und Spätherbstnebel
Schauten trübe herein durchs trübe Fenster.

In Thränen mußt' ich lächeln.  Woher
Hat die Klänge das Vöglein?  Woraus
Spinnt es das tonkunstreiche Gewebe des Lieds? 
Wie findet's  
Lustigen Sang in seiner Blindheit,
Frühlingswonne in trauriger Winterszeit?
Wie springen ihm die goldnen
Bronnen süßen Gesangs, indeß die Genossen, ob auch
Off'nen Auges und froh
Des Ätheranblicks, längst doch alle verstummt sind?  -- 

Im Frühling war's, als eben am buntesten
Vorübergaukelte des Blütenmonds
Triumphzug.  Mitjauchzend im Freudenchore sang
Auch unser Vöglein.  Da wards geblendet. Auf ewig austilgte
Sein Augenlicht ein grausam Schicksal.
Nun saß es blind im Käfig.  Was aber that es? 
Noch immer sang das Vöglein, rastlos und schmetternd
Sang es, denn ihm schäumte noch voll
Des Herzens Becher vom Nektartranke 
Des Frühlings, und als längst dieser dahin war,
Und verglühet auch der Sommer, und stumm
Die andern Vögel saßen im Käfig,
Da sang noch immer das blinde Vöglein; 
Denn unverloren trug es den Lenz
Im Herzen, und die Lenzesluft, unwissend,
Daß längst entfloh'n der gold'ne, und daß nebelumgraut
Des Waldes Wipfel starrten.  Ihm blieben in der Seele des Mai's
Blühende Bilder, denn nimmer erblickt es
Des Winters entseelenden Gorgoschild;  ausflutet es, unbewußt 
Des rauhen Jahrs, den Wonnerausch,
Der nimmer zerrinnt; ausspinnt es
Zu Gesängen die Sonnenmilde, das Himmelsblau,
Alles, was trunken es einsog, was in holden Monden
Es ansammelte den:  unerschöpflichen Herzensreichthum. 

Das ists, daß reichen Gesang spendet das augenlose
Vöglein die ganze Zeit des Jahres, wenn schon die blickbegabten
Traurig sitzen im Bauer und sanglos.  Nicht ist, wie unbedachtes
Mitleid klagen möchte, der Lenz dir geraubt, o blinder Vogel! 
Dein ist er, und eben dein, wie keines Andern!
Voll und ganz festhältst du die Pracht, und nicht übers Meer
Brauchst du zu wandern, um aufzusuchen
Die hier entschwund'ne:  tief innen blühet
Sie dir, und darum unberühret
Vom Nordsturm.  Dir ist winterlicher Flockentanz 
Wie Blütenschauer.  Besser ists, blind sein und schmetternd sich
Ausleben im Gesang, als sehend und stumm
Hingeh'n durch eine blühende Welt
Voll Schönheit.  Arm ist ein blicklos Aug', 
Ärmer ein tonlos Herz, in dessen Saiten nicht wiederhallet
Ein Himmlisches.  Mitten in den Zerstörungen
Dahingewelkter Pracht steht aufrecht des Gesangs
Blumenkrone, schönerer Tage Denkmal, und zugleich
Ein Irisbogen der Zukunft,
Der farbig blüht in Gewölk.

Mag freudeleer hinziehn ein Erkorener,
Dem hold die Lippe tönet, ihm ist das Höchste
Doch in die Seele gegeben.  Schön, ob auch einsam, steht
In Finsternissen der Stern des Lieds und übergießt                                                                                                          *There's the title quote
Mit mildesten Blüten des Lichts der Welt Öde.  Laß still
Fortleben, o Herz, die schönere Zeit
Im Klängen, ob auch öde die Mitwelt
Ist, denn Schönes muß ewig
Untergeh'n, in Klängen rettet es aber
Süßer Gesang.  Hoch über welken Blüten und Trümmern,
Alles Schönen fromm eingedenk,
Ewig jauchze das Lied, jauchze die Dichtung.

About the headline (FAQ)

Confirmed with Robert Hamerling, Ein Schwanenlied der Romantik: mit einem Anhange von Hymnen, Prag[ue]: Verlag von J. L. Kober, 1862. From Hymnen, pages 93 - 96.


Text Authorship:

  • by Robert Hamerling (1830 - 1889), "Der geblendete Vogel ", appears in Ein Schwanenlied der Romantik: Mit einem Anhange von Hymnen [author's text checked 2 times against a primary source]

Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):

  • by (Leopold) Heinrich (Picot de Peccaduc), Freiherr von Herzogenberg (1843 - 1900), "Der Stern des Lied's", op. 55, published 1887 [ four-part chorus and orchestra ], Leipzig, Rieter-Biedermann [sung text not yet checked]

Research team for this page: Bertram Kottmann , Melanie Trumbull

This text was added to the website: 2019-12-09
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