O sieh mich nicht so lächelnd an, Du Röslein jung, du schlankes Reh! Dein Blick, der jedem wohlgetan, Mir tut er in der Seele weh; Mein Herz wird trüb und trüber Bei deiner Freundlichkeit; Vorüber ist, vorüber Der Liebe Zeit. Ja, wär' ich jung und froh wie du, Und wär' ich so frisch, und wär' ich so rein: Wie schlüge mein Herz dem deinen zu, Wie könnten wir selig zusammen sein! Wie sollte durchs Gemüte Mir ziehn ein süßer Traum! Doch so -- was soll die Blüte Am welken Baum? Mein Leben liegt im Abendrot, Deins tritt erst ein in den sonnigen Tag; Mein Herz ist starr, mein Herz ist tot, Deins hebt erst an den lustigsten Schlag; Du schaust nach deinem Glücke In goldne Fernen weit, Ich blicke schon zurücke In alte Zeit. Drum sieh mich nicht so freundlich an, Du Röslein jung, du schlankes Reh! Dein Blick, der jedem wohlgetan, Mir tut er in der Seele weh. Laß scheiden mich und wandern Die Welt hinauf, hinab; Du findest einen andern, Und ich -- ein Grab.
Drei Lieder nach Gedichten von E. Geibel , opus 10
by Johann Georg Bratsch (1817 - 1887)
1. O sieh mich nicht so lächelnd an
Language: German (Deutsch)
2. Herbstgefühl  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
O wär' es blos der [Wange]1 Pracht, Die mit den Jahren flieht! Doch das ist's, was mich traurig macht, Daß auch das Herz verblüht; Daß, wie der Jugend Ruf verhallt Und wie der Blick sich trübt, Die Brust, die einst so heiß gewallt, Vergißt, wie sie geliebt. Ob von der Lippe dann auch kühn Sich Witz und Scherz ergießt, 's ist nur ein heuchlerisches Grün, Das über Gräbern sprießt. Die Nacht kommt, mit der Nacht der Schmerz Der eitle Flimmer bricht; Nach Thränen sehnt sich unser Herz Und findet Thränen nicht. Wir sind so arm, [wir]2 sind so müd', Warum, wir wissen's kaum; Wir fühlen nur, das Herz verblüht, Und alles Glück ist Traum.
Text Authorship:
- by Emanuel von Geibel (1815 - 1884), "Herbstgefühl"
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View original text (without footnotes)Confirmed with Gedichte von Emanuel Geibel, Stuttgart, Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, 1867, page 123. Note: modern German would make the following spelling changes: "blos" -> "bloß", "Thränen" -> "Tränen"
1 Unger: "Wangen"2 Unger: "und"
3. Antwort
Language: German (Deutsch)
Du fragst mich, liebe Kleine, Warum ich sing' und weine, Du fragest, was mich schmerzt? Ich habe den Lenz versäumet, Ich habe die Jugend verträumet, Ich habe die Liebe verscherzt. Mir schwoll der Becher am Munde, Ich hatte nicht Durst zur Stunde, Ich ließ vorüber ihn gehn; Mir winkt' im grünen Laube Granate, Feig' und Traube, Doch hab' ich sie lassen stehn. Und als nun kam der Abend, Die Sonn' im Glanz begrabend, Da war mein Durst erwacht; Aber der Becher der Wonnen, Die Früchte waren zerronnen, Und dunkelte rings die Nacht. Die Welt hat mich verlassen; Nun sing' ich auf den Gassen Mein Lied, wie tief es schmerzt: »Ich habe den Lenz versäumet, Ich habe die Jugend verträumet, Ich habe die Liebe verscherzt.«
Text Authorship:
- by Emanuel von Geibel (1815 - 1884), "Antwort", appears in Jugendgedichte, in 2. Zweites Buch, in Berlin
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Réponse", copyright © 2018, (re)printed on this website with kind permission
Note: there is a typo in the Bratsch score: stanza 3, line 4, word 5 is "Wonne" instead of "Wonnen".