Nun bist du, Seele, wieder deinem Traum Und deiner Sehnsucht selig hingegeben. In holdem Feuer glühend fühlst du kaum, Daß Schatten alle Bilder sind, die um dich leben. Denn nächtelang war deine Kammer leer. Nun grüßen dich, wie über Nacht die Zeichen Des jungen Frühlings durch die Fenster her, Die neuen Schauer, die durch deine Seele streichen. Und weißt doch: niemals wird Erfüllung sein Den Schwachen, die ihr Blut dem Traum verpfänden, Und höhnend schlägt das Schicksal Krug und Wein Den ewig Dürstenden aus hochgehobnen Händen.
Drei Lieder , opus 24
by Egon Joseph Wellesz (1885 - 1974)
1. Betörung  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
2. Der Morgen  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Dein morgentiefes Auge ist in mir, Marie. Ich fühle, wie es durch die Dämmerung mich umfängt Der weiten Kirche. Stille will ich knien und warten, wie Dein Tag aus den erblühten Heiligenfenstern zu mir drängt. – Wie kommt er sanft und gut und wie mit väterlicher Hand Umschwichtigend. Wann wars, daß er mit grellen Fratzen mich genarrt, Auf Vorstadtgassen, wenn mein Hunger nirgends sich ein Obdach fand – Oder in grauen Stuben mich aus fremden Blicken angestarrt? Nun strömt er warm wie Sommerregen über mein Gesicht Und wie dein Atem voller Rosenduft, Marie, Und meiner Seele dumpf verwirrt Getön hebt sanft sein Licht In deines Lebens morgenreine Melodie.
3. Reinigung  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Lösche alle deine Tag’ und Nächte aus! Räume alle fremden Bilder fort aus deinem Haus! Laß Regendunkel über deine Schollen niedergehn! Lausche: dein Blut will klingend in dir auferstehn! Fühlst du: schon schwemmt die starke Flut dich neu und rein, Schon bist du selig in dir selbst allein Und wie mit Auferstehungslicht umhangen – Hörst du: schon ist die Erde um dich leer und weit Und deine Seele atemlose Trunkenheit, Die Morgenstimme deines Gottes zu umfangen.