Mitleid, heil dir, du Geweihte! Weichen Herzens, milder Hand wallst du an des Dulders Seite durch der Prüfung rauhes Land, taust wie Balsam milde Zähren, hebest das zerknickte Rohr. Wie zu Gottes Hochaltären blickt die Not zu dir empor. Deine Hilfe stillt ihr Flehen, dein Erbarmen eilt zur Tat. Elend suchst du auszuspähen, spendest, wenn das Unglück bat, reichst den Brüdern, welche darben, deines Tagewerks Gewinn, bindest loser deine Garben vor der Ährenleserin. In verarmter Witwen Krüge schüttest du der Stärkung Wein, prägst des Lächelns heit're Züge abgehärmten Wangen ein, hebst des matten Wand'rers Bürde auf den tiefbeschneiten Damm und verpflegst in sich'rer Hürde deines Nachbarn irres Lamm. Du erwärmst in sanfter Rührung auch der Selbstsucht starres Eis, warnst vor lockender Verführung, vor des Lasters trüglich Gleis, neigest dich mit leisem Trösten an der Schwermut dumpfes Ohr, hebst entfesselt den Erlösten von des Kerkers Stroh empor. Herzen, die der Harm zerrissen, hegst du mit besorgter Treu', rückest der Geduld das Kissen auf des Schmerzenslagers Streu, schonst des [siechen]1 Schlafs auf Socken, kühlst ihn mit dem Palmenreis, trocknest mit den weichen Locken banger Todeskämpfe Schweiß. Bleib' bei uns, bis einst die Hefe in dem Tränenkelch versiegt, kränze bleicher Trübsal Schläfe, die an deinen Schoß sich schmiegt. Herze sie mit Mutterarmen, sei umstürmter Pflänzchen Stab, die das ewige Erbarmen dir zur Pflege übergab!
Confirmed with Louise Thalheim, eine Bildungsgeschichte für gute Töchter von Dr. C. W. Spieker, Leipzig, 1816.
Note provided by Johann Winkler: the deviation from the original text in the score of the song by Anthes in stanza 5, line 5, word 3 ("siechen" to "süßen") alters and misunderstands the meaning of this section. The combination "süßer Schlaf" (sweet sleep) is a fixed topos in poetry, but here "siecher Schlaf" means the sleep of the sick, which is easily disturbed by any noise, and is the reason Mitleid (compassion) goes in socks, without shoes.
1 Anthes: "süßen"Text Authorship:
- by Christian Wilhelm Spieker (1780 - 1858), "An das Mitleid", appears in Louise Thalheim, eine Bildungsgeschichte für gute Töchter, first published 1816 [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Johann Adam Anthes (1789 - 1843), "An das Mitleid", op. 6 no. 4 [ voice and piano ], from Sechs Lieder mir Clavierbegleitung aus Luise Thalheim, Eine Bildungsgeschichte für gute Töchter, no. 4 [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Johann Winkler
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