by Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)
Lange todt und tiefverschlossen
Language: German (Deutsch)
Lange todt und tiefverschlossen, Grüßt mein Herz die schöne Welt; Seine Zweige blühn und sprossen, Neu von Lebenskraft geschwellt; O! ich kehre noch in's Leben, Wie heraus in Luft und Licht Meiner Blumen seelig Streben Aus der dürren Hülse bricht. Wie so anders ists geworden! Alles, was ich haßt' und mied, Stimmt in freundlichen Akkorden Nun in meines Lebens Lied, Und mit jedem Stundenschlage Werd' ich wunderbar gemahnt An der Kindheit goldne Tage, Seit ich dieses Eine fand. Diotima! seelig Wesen! Herrliche, durch die mein Geist, Von des Lebens Angst genesen, Götterjugend sich verheißt! Unser Himmel wird bestehen, Unergründlich sich verwandt, Hat sich, eh wir uns gesehen, Unser Innerstes gekannt. Da ich noch in Kinderträumen, Friedlich, wie der blaue Tag, Unter meines Gartens Bäumen Auf der warmen Erde lag, Und in leiser Lust und Schöne Meines Herzens Mai begann, Säuselte, wie Zephirstöne, Diotimas Geist mich an. Ach! und da, wie eine Sage, Mir des Lebens Schöne schwand, Da ich vor des Himmels Tage Darbend, wie ein Blinder, stand, Da die Last der Zeit mich beugte, Und mein Leben, kalt und blaich, Sehnend schon hinab sich neigte In der Schatten stummes Reich; Da, da kam vom Ideale, Wie vom Himmel, Muth und Macht, Du erscheinst mit deinem Strahle, Götterbild! in meiner Nacht; Dich zu finden, warf ich wieder, Warf ich den entschlafnen Kahn Von dem todten Porte nieder In den blauen Ocean. – Nun! ich habe dich gefunden, Schöner, als ich ahndend sah In der Liebe Feierstunden, Hohe! Gute! bist du da; O der armen Phantasien! Dieses Eine bildest nur Du, in ew'gen Harmonien Frohvollendete Natur! Wie die Seeligen dort oben, Wo hinauf die Freude flieht, Wo, des Daseyns überhoben, Wandellose Schöne blüht, Wie melodisch bei des alten Chaos Zwist Urania, Steht sie, göttlich rein erhalten, Im Ruin der Zeiten da. Unter tausend Huldigungen Hat mein Geist, beschämt, besiegt, Sie zu fassen schon gerungen, Die sein Kühnstes überfliegt. Sonnengluth und Frühlingsmilde, Streit und Frieden wechselt hier Vor dem schönen Engelsbilde In des Busens Tiefe mir. Viel der heil'gen Herzensthränen Hab' ich schon vor ihr geweint, Hab' in allen Lebenstönen Mit der Holden mich vereint, Hab', ins tiefste Herz getroffen, Oft um Schonung sie gefleht, Wenn so klar und heilig offen Mir ihr eigner Himmel steht; Habe, wenn in reicher Stille, Wenn in einem Blik und Laut Seine Ruhe,seine Fülle Mir ihr Genius vertraut, Wenn der Gott, der mich begeistert, Mir an ihrer Stirne tagt, Von Bewundrung übermeistert, Zürnend ihr mein Nichts geklagt; Dann umfängt ihr himmlisch Wesen Süß im Kinderspiele mich, Und in ihrem Zauber lösen Freudig meine Bande sich; Hin ist dann mein dürftig Streben, Hin des Kampfes lezte Spur, Und ins volle Götterleben Tritt die sterbliche Natur. Da, wo keine Macht auf Erden, Keines Gottes Wink uns trennt, Wo wir Eins und Alles werden, Das ist nun mein Element; Wo wir Noth und Zeit vergessen, Und den kärglichen Gewinn Nimmer mit der Spanne messen, Da, da weiß ich, daß ich bin. Wie der Stern der Tyndariden, Der in lichter Majestät Seine Bahn, wie wir, zufrieden Dort in dunkler Höhe geht, Wie er in die Meereswoogen, Wo die schöne Ruhe winkt, Von des Himmels steilem Bogen Klar und groß hinuntersinkt: O Begeisterung, so finden Wir in dir ein seelig Grab, Tief in deine Woogen schwinden, Still frohlokend, wir hinab, Bis der Hore Ruf wir hören Und, mit neuem Stolz erwacht, Wie die Sterne wieder kehren In des Lebens kurze Nacht.
About the headline (FAQ)
Confirmed with Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800, Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946.
Text Authorship:
- by Friedrich Hölderlin (1770 - 1843), "Diotima", subtitle: "Mittlere Fassung" [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Gérard Hilpipre (b. 1959), "Da wo keine Macht auf Erden", published 2012 [ voice and piano ], from Deux Fragments de Hölderlin, no. 2, Editions Delatour; sung text probably begins in stanza 13 [sung text not yet checked]
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
This text was added to the website: 2023-01-06
Line count: 120
Word count: 570