by Nikolaus Lenau (1802 - 1850)
Der offene Schrank
Language: German (Deutsch)
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Mein liebes Mütterlein war verreist, Und kehrte nicht heim, und lag in der Grube; Da war ich allein und recht verwaist, Und traurig trat ich in ihre Stube. Ihr Schrank stand offen, ich fand ihn noch heut, Wie sie, abreisend, ihn eilig gelassen, Wie Alles man durcheinanderstreut, Wenn vor der Thür die Pferde schon passen. Ein aufgeschlagnes Gebetbuch lag Bei mancher Rechnung, von ihr geschrieben; Von ihrem Frühstück am Scheidetag War noch ein Stücklein Kuchen geblieben. Ich las das aufgeschlagne Gebet, Es war: wie eine Mutter um Segen Für ihre Kinder zum Himmel fleht; Mir pochte das Herz in bangen Schlägen. Ich las ihre Schrift, und ich verbiß Nicht länger meine gerechten Schmerzen, Ich las die Zahlen, und ich zerriß Die Freudenrechnung in meinem Herzen. Zusammen sucht' ich den Speiserest, Das kleinste Krümlein, den letzten Splitter, Und hätt' es mir auch den Hals gepreßt, Ich aß vom Kuchen und weinte bitter.
Confirmed with Nicolaus Lenau's sämtliche Werke, herausgegeben von G. Emil Barthel, Leipzig: Druck und Verlag von Philipp Reclam jun., [no year], pages 205-206.
Text Authorship:
- by Nikolaus Lenau (1802 - 1850), "Der offene Schrank", appears in Gedichte, in 2. Zweites Buch, in Vermischte Gedichte [author's text checked 1 time against a primary source]
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- ENG English (Sharon Krebs) , "The open cupboard", copyright © 2025, (re)printed on this website with kind permission
Researcher for this page: Sharon Krebs [Senior Associate Editor]
This text was added to the website: 2025-11-25
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