by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Werbung nicht mehr, nicht Werbung,...
Language: German (Deutsch)
Werbung nicht mehr, nicht Werbung, entwachsene Stimme, sei deines Schreies Natur; zwar schrieest du rein wie der Vogel, wenn ihn die Jahreszeit aufhebt, die steigende, beinah vergessend, dass er ein kümmerndes Tier und nicht nur ein einzelnes Herz sei, das sie ins Heitere wirft, in die innigen Himmel. Wie er, so würbest du wohl, nicht minder --, dass, noch unsichtbar, dich die Freundin erführ, die stille, in der eine Antwort langsam erwacht und über dem Hören sich anwärmt, - deinem erkühnten Gefühl die erglühte Gefühlin. O und der Frühling begriffe -, da ist keine Stelle, die nicht trüge den Ton der Verkündigung. Erst jenen kleinen fragenden Auflaut, den, mit steigernder Stille, weithin umschweigt ein reiner bejahender Tag. Dann die Stufen hinan, Ruf-Stufen hinan, zum geträumten Tempel der Zukunft -; dann den Triller, Fontäne, die zu dem drängenden Strahl schon das Fallen zuvornimmt im versprechlichen Spiel.... Und vor sich, den Sommer. Nicht nur die Morgen alles des Sommers -, nicht nur wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang. Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben, um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig. Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte, nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend, nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein, nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends... sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers, Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde. O einst tot sein und sie wissen unendlich, alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen! Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht sie nur käme... Es kämen aus schwächlichen Gräbern Mädchen und ständen... Denn wie beschränk ich, wie, den gerufenen Ruf? Die Versunkenen suchen immer noch Erde. - Ihr Kinder, ein hiesig einmal ergriffenes Ding gälte für viele. Glaubt nicht, Schicksal sei mehr, als das Dichte der Kindheit; wie überholtet ihr oft den Geliebten, atmend, atmend nach seligem Lauf, auf nichts zu, ins Freie. Hiersein ist herrlich. Ihr wusstet es, Mädchen, ihr auch, die ihr scheinbar entbehrtet, versankt -, ihr, in den ärgsten Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall Offene. Denn eine Stunde war jeder, vielleicht nicht ganz eine Stunde, ein mit den Maßen der Zeit kaum Messliches zwischen zwei Weilen -, da sie ein Dasein hatte. Alles. Die Adern voll Dasein. Nur, wir vergessen so leicht, was der lachende Nachbar uns nicht bestätigt oder beneidet. Sichtbar wollen wirs heben, wo doch das sichtbarste Glück uns erst zu erkennen sich giebt, wenn wir es innen verwandeln. Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. Unser Leben geht hin mit Verwandlung. Und immer geringer schwindet das Außen. Wo einmal ein dauerndes Haus war, schlägt sich erdachtes Gebild vor, quer, zu Erdenklichem völlig gehörig, als ständ es noch ganz im Gehirne. Weite Speicher der Kraft schafft sich der Zeitgeist, gestaltlos wie der spannende Drang, den er aus allem gewinnt. Tempel kennt er nicht mehr. Diese, des Herzens, Verschwendung sparen wir heimlicher ein. Ja, wo noch eins übersteht, ein einst gebetetes Ding, ein gedientes, geknietes -, hält es sich, so wie es ist, schon ins Unsichtbare hin. Viele gewahrens nicht mehr, doch ohne den Vorteil, dass sie's nun innerlich baun, mit Pfeilern und Statuen, größer! Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte, denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört. Denn auch das Nächste ist weit für die Menschen. Uns soll dies nicht verwirren; es stärke in uns die Bewahrung der noch erkannten Gestalt. - Dies stand einmal unter Menschen, mitten im Schicksal stands, im vernichtenden, mitten im Nichtwissen-Wohin stand es, wie seiend, und bog Sterne zu sich aus gesicherten Himmeln. Engel, dir noch zeig ich es, da! in deinem Anschaun steht es gerettet zuletzt, nun endlich aufrecht. Säulen, Pylone, der Sphinx, das strebende Stemmen, grau aus vergehender Stadt oder aus fremder, des Doms. War es nicht Wunder? O staune, Engel, denn wir sinds, wir, o du Großer, erzähls, dass wir solches vermochten, mein Atem reicht für die Rühmung nicht aus. So haben wir dennoch nicht die Räume versäumt, diese gewährenden, diese unseren Räume. (Was müssen sie fürchterlich groß sein, da sie Jahrtausende nicht unseres Fühlns überfülln.) Aber ein Turm war groß, nicht wahr? O Engel, er war es, - groß, auch noch neben dir? Chartres war groß -, und Musik reichte noch weiter hinan und überstieg uns. Doch selbst nur eine Liebende -, oh, allein am nächtlichen Fenster.... reichte sie dir nicht ans Knie -? Glaub nicht, dass ich werbe. Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht. Denn mein Anruf ist immer voll Hinweg; wider so starke Strömung kannst du nicht schreiten. Wie ein gestreckter Arm ist mein Rufen. Und seine zum Greifen oben offene Hand bleibt vor dir offen, wie Abwehr und Warnung, Unfasslicher, weitauf.
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Gedichte, Leipzig: Insel-Verlag, 1927, 287
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Die siebente Elegie", appears in Duineser Elegien, no. 7 [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Philippe Fénelon (b. 1952), "Hiersein ist herrlich", op. 69b (Dix-Huit Madrigaux) no. 13 (1995 - 1996), first performed 1996 [ 2 sopranos and 2 tenors ], Amphion, Durand, Paris [sung text not yet checked]
- by Philippe Fénelon (b. 1952), "Jede dumpfe Umkehr der Welt", op. 69b (Dix-Huit Madrigaux) no. 14a (1995 - 1996), first performed 1996 [ countertenor and violin ], Amphion, Durand, Paris [sung text not yet checked]
- by Biancamaria Furgeri (b. 1935), "Piccola cantata", subtitle: "Werbung nicht mehr" [ 3 voices and instrumental ensemble ] [sung text not yet checked]
- by Sven Eric Emanuel Johanson (1919 - 1997), "Symfoni nr 2A", 1954 [ chorus and orchestra ] [sung text not yet checked]
- by Luigi Nono (1924 - 1990), "Das atmende Klarsein", 1980/1983, published 1991 [ chorus, bass flute, electronics, tape ], Milano : Ricordi; note: testi da Duineser Elegien di Rainer Maria Rilke e da antiche lamellae orfiche ; [testi] a cura di Massimo Cacciari [sung text not yet checked]
- by Enjott Schneider (b. 1950), "...Dichte der Kindheit" [ boys' chorus, chorus, organ, instrumental ensemble ], from oratorio So lose im Raume, no. 7 [sung text not yet checked]
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
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