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by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Es giebt Teppiche hier, Abelone,...
Language: German (Deutsch) 
Es giebt Teppiche hier, Abelone, Wandteppiche. Ich bilde mir ein, 
du bist da, sechs Teppiche sinds, komm, laß uns langsam vorübergehen. 
Aber erst tritt zurück und sieh alle zugleich. Wie ruhig sie sind, 
nicht? Es ist wenig Abwechslung darin. Da ist immer diese ovale 
blaue Insel, schwebend im zurückhaltend roten Grund, 
der blumig ist und von kleinen, mit sich beschäftigten Tieren bewohnt. 
Nur dort, im letzten Teppich, steigt die Insel ein wenig auf, 
als ob sie leichter geworden sei. Sie trägt immer eine Gestalt, 
eine Frau in verschiedener Tracht, aber immer dieselbe. 
Zuweilen ist eine kleinere Figur neben ihr, eine Dienerin, 
und immer sind die wappentragenden Tiere da, groß, 
mit auf der Insel, mit in der Handlung. Links ein Löwe, 
und rechts, hell, das Einhorn; sie halten die gleichen Banner, 
die hoch über ihnen zeigen: drei silberne Monde, steigend, 
in blauer Binde auf rotem Feld. - Hast du gesehen, 
willst du beim ersten beginnen?
Sie füttert den Falken. Wie herrlich ihr Anzug ist. 
Der Vogel ist auf der gekleideten Hand und rührt sich. 
Sie sieht ihm zu und langt dabei in die Schale, 
die ihr die Dienerin bringt, um ihm etwas zu reichen. 
Rechts unten auf der Schleppe hält sich ein kleiner, 
seidenhaariger Hund, der aufsieht und hofft, 
man werde sich seiner erinnern. Und, hast du bemerkt,
 ein niederes Rosengitter schließt hinten die Insel ab. 
Die Wappentiere steigen heraldisch hochmütig. 
Das Wappen ist ihnen noch einmal als Mantel umgegeben. 
Eine schöne Agraffe hält es zusammen. Es weht.
Geht man nicht unwillkürlich leiser zu dem nächsten Teppich hin, 
sobald man gewahrt, wie versunken sie ist: sie bindet einen Kranz,
 eine kleine, runde Krone aus Blumen. Nachdenklich wählt sie 
die Farbe der nächsten Nelke in dem flachen Becken, 
das ihr die Dienerin hält, während sie die vorige anreiht. 
Hinten auf einer Bank steht unbenutzt ein Korb voller Rosen, 
den ein Affe entdeckt hat. Diesmal sollten es Nelken sein. 
Der Löwe nimmt nicht mehr teil; aber rechts das Einhorn begreift.
Mußte nicht Musik kommen in diese Stille, war sie nicht schon verhalten da? 
Schwer und still geschmückt, ist sie (wie langsam, nicht?) 
an die tragbare Orgel getreten und spielt, stehend,
 durch das Pfeifenwerk abgetrennt von der Dienerin, 
die jenseits die Bälge bewegt. So schön war sie noch nie. 
Wunderlich ist das Haar in zwei Flechten nach vorn genommen 
und über dem Kopfputz oben zusammengefaßt, 
so daß es mit seinen Enden aus dem Bund aufsteigt wie 
ein kurzer Helmbusch. Verstimmt erträgt der Löwe die Töne, 
ungern, Geheul verbeißend. Das Einhorn aber ist schön, 
wie in Wellen bewegt.
Die Insel wird breit. Ein Zelt ist errichtet. 
Aus blauem Damast und goldgeflammt. Die Tiere raffen es auf, 
und schlicht beinah in ihrem fürstlichen Kleid tritt sie vor. 
Denn was sind ihre Perlen gegen sie selbst. 
Die Dienerin hat eine kleine Truhe geöffnet, 
und sie hebt nun eine Kette heraus, ein schweres, 
herrliches Kleinod, das immer verschlossen war. 
Der kleine Hund sitzt bei ihr, erhöht, auf bereitetem Platz und sieht es an. 
Und hast du den Spruch entdeckt auf dem Zeltrand oben? da steht: 
>A mon seul désir.<
Was ist geschehen, warum springt das kleine Kaninchen da unten, 
warum sieht man gleich, daß es springt? Alles ist so befangen. 
Der Löwe hat nichts zu tun. Sie selbst hält das Banner. 
Oder hält sie sich dran? Sie hat mit der anderen Hand 
nach dem Horn des Einhorns gefaßt. Ist das Trauer, 
kann Trauer so aufrecht sein, und ein Trauerkleid so verschwiegen 
wie dieser grünschwarze Samt mit den welken Stellen?
Aber es kommt noch ein Fest, niemand ist geladen dazu. 
Erwartung spielt dabei keine Rolle. Es ist alles da. Alles für immer. 
Der Löwe sieht sich fast drohend um: es darf niemand kommen. 
Wir haben sie noch nie müde gesehen; ist sie müde? 
oder hat sie sich nur niedergelassen, weil sie etwas Schweres hält? 
Man könnte meinen, eine Monstranz. 
Aber sie neigt den andern Arm gegen das Einhorn hin, 
und das Tier bäumt sich geschmeichelt auf und steigt 
und stützt sich auf ihren Schooß. Es ist ein Spiegel, was sie hält. 
Siehst du: sie zeigt dem Einhorn sein Bild -.
Abelone, ich bilde mir ein, du bist da. Begreifst du, Abelone? 
Ich denke, du mußt begreifen.

About the headline (FAQ)

Note: Axel Borup-Jørgensen's manuscript contains the following note: "Motto: "Es gibt Teppiche hier, Abelone, Wandteppiche.....Wie Ruhig sie sind, nicht? Es ist wenig Abwechslung darin. Da ist immer diese ovale blaue Insel, schwebend.....Links eine Löwe, und rechts, hell, das Einhorn.....Und hast du den Spruch entdeckt auf dem Zeltrand oben? da steht: A mon seul désir.....Es ist ein spiegel, was sie hält. Siehst du: sie zeigt dem Einhorn sein Bild-".

Text Authorship:

  • by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, no. 38 [author's text checked 1 time against a primary source]

Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):

  • by Axel Borup-Jørgensen (1924 - 2012), "Poèsies pour la dame á la licorne", op. 121 no. 1 (1986-1988) [ voice and piano ] [sung text not yet checked]

Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]

This text was added to the website: 2023-08-09
Line count: 75
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