by Friedrich Leopold, Graf zu Stolberg-Stolberg (1750 - 1819)
Die Büßende
Language: German (Deutsch)
Hört, ihr lieben deutschen Frauen, Die ihr in der Blüthe seid, Eine Mähr' aus alter Zeit, Die ich selbst nicht ohne Grauen Euren Ohren kann vertrauen; Denn mit Schrecken sollt ihr schauen, Wie ein Ritter, sonder Glimpf Rächte seines Vetters Schimpf. In den alten Biederzeiten, Da noch Keuschheit Sitte war, Und ein Weib nicht um ein Haar Durft' aus ihrem Wege gleiten, Kam ein Rittersmann von weiten, Der zum Kaiser sollte reiten, Von Navarra's Fürst gesandt In das heil'ge deutsche Land. Einst da Strom und Nachtwind braus'te, Und sein Roß ermüdet war, Ward er eine Burg gewahr, Wo ein deutscher Ritter haus'te, Dessen Hof der Sturm durchsaus'te, Und der Ulmen Haupt zerzaus'te; Freudig leitet' er sein Roß An das hochgethürmte Schloß. Laut klopft er an's Thor; es klappen Ihm die Zähn', er war erstarrt; Denn des Winters Frost war hart. Bald erschienen edle Knappen, Forschten nach des Fremdlings Wappen, Hielten seinen treuen Rappen, Führten dann bei Fackelschein Ihn in den Pallast hinein. Herzlich, nach der Deutschen Weise, Ging auf ihn der Deutsche zu: "Komm, geneuß bei mir der Ruh' Nach der schweren Winterreise, Und erquicke dich mit Speise! Sieh', es glänzt von Reif und Eise Dir das Haupthaar und der Bart; Auch ist deine Hand erstarrt." - Bei der krummen Hörner Schalle Führt' er den erfrornen Mann, Einen Windelsteig hinan, In die kerzenvolle Halle. Seine Väter standen alle, Aus gegossenem Metalle, Schön gewappnet, ohne Zahl In dem ungeheuren Saal. Hier heißt er das Mahl bereiten, Und schon sitzen sie am Tisch. Unsre Helden trinken frisch Aus Pokalen und aus breiten Tummlern, nach dem Brauch der Zeiten; Rheinwein und Tokayer gleiten In die Kehlen glatt hinein, Welscher und Burgunder Wein. Aber mitten in der Freude Oeffnet eine Thüre sich; Stumm und langsam feierlich, Kommt ein Weib in schwarzen Kleide, Ohne Gold, Geschmuck und Seide, Abgehärmt von bitterm Leide, Mit geschornem Haupte, schön Wie der blasse Mond zu sehn. Grauen überfiel und Beben Den Navarrer; er ward blaß; Ihm entsank ein Doppelglas, Und er zweifelte, ob Leben Wär' im Weibe, ob sie schweben, Senken, oder sich erheben Würde, ein Gespenst der Nacht, Das in grausen Stunden wacht. Aber näher kam sie ihnen, Setzte nun sich an den Tisch, Aß zween Bissen Bord und Fisch, Und sie schellte; da erschienen, Mit des Mitleids trüben Mienen, Knappen, ihrer Frau zu dienen; Einem winkt sie, er versteht Ihren Jammerblick, und geht. Und schon hält er in der Linken Einen Schädel, spült ihn rein, Gießet Wasser dann hinein, Hält's ihr schweigend dar zu trinken; Ach! sie läßt die Augen sinken, Sieht den nassen Schädel blinken, Starret vor sich, trinkt ihn aus, Setzt ihn hin und wankt hinaus. "Ich beschwöre dich, zu sagen," Hub der fremde Ritter an: "Was hat dir dies Weib gethan? Wie kannst du mit diesen Plagen So sie martern? wie ertragen Ihrer Thränen stumme Klagen? Si ist schön, wie Engel sind, Und geduldig, wie ein Kind." - "Fremdling, sie ist schön! Ich baute Auf die Schönheit all' mein Glück; Labte mich an ihrem Blick, Wann sie bei der sanften Laute Fromm und liebend auf mich schaute! Ach! mein ganzes Herz vertraute Sonder Zweifeln ich ihr an, War ein hochbeglückter Mann! Ihre schönen Augen logen! Wer ergründet Weibessinn? Ihre Liebe war dahin, Einem Buben zugeflogen, Den ich in der Burg erzogen! Lange hat sie mich betrogen; Meines Herzens Lieb' und Treu' Blieb sich immer gleich und neu! Als ich einst von frohen Siegen Unvermuthet kam zurück, Ach, da sah mein erster Blick, Der sie fand nach langen Kriegen, Sie in meinem Bette liegen Mit dem Ehebrecher! Schmiegen Thät er wie ein Lindwurm sich, Doch ihn traf der Todesstich! Aber sie fiel mir zu Füßen, Flehend: "Herr, erbarme dich Meiner, und erwürge mich! Laß mich mein Verbrechen büßen! Sieh, das Eisen möcht' ich küssen, Das da soll mein Blut vergießen, Und mich bald in jener Welt Meinem Trauten zugestellt!" In dem Augenblick gedachte Ich in meinem Zorne doch Ihrer armen Seelen noch, Und das Bild der Hölle brachte Schrecken in mein Herz; doch wachte Meine Rache noch, und fachte Meines Zornes Gluth; ich sprach: "Büßen sollt du meine Schmach! Aber nicht in deinem Leben! - Denn was hätt' ich deß Gewinn, So du führst zum Teufel hin? Nein, mit Thränen, Flehn und Beben, Magst du nach dem Heile streben, Ob dir wolle Gott vergeben; Aber Jammer, Angst und Noth Geb' ich dir bis an den Tod!" Da thät ich ihr Haupt bescheeren, Nahm ihr Gold und Edelstein, Hüllte sie in Trauer ein, Ungerührt von ihrem Zähren. Welche Schmerzen sie verzehren, Magst du von ihr selber hören. Fasse dich, und folge mir Hier durch diese Seitenthür!" - Und er führt' ihn eine lange, Steile, dunkle Trepp' hinab. "Ach! du führst mich in ein Grab!" - Rief der Ritter, und ward bange. "Graut dir schon vor diesem Gange? Aber horch dem leisen Klage Einer Laute! Bei dem Klang Singt sie ihren Bußgesang." - "Halt! nun sind wir an der Schwelle!" - Rief der Deutsche, stieß an's Schloß; Rasselnd sprang die Feder los, Und sie sah'n sie in der Zelle. Von den Augen stürzt die helle, Gottgeweih'te Thränenquelle, Fließet, aus zerknirschtem Sinn, Auf das off'ne Psalmbuch hin. "Ach! wie ist ihr Schicksal bitter! Ruft der Gast, und geht hinein. Stracks führt ihn an einen Schrein Der gestrenge deutsche Ritter. Wie getroffen vom Gewitter Sieht er hinter einem Gitter, O, wer hätte das geglaubt? Ein Gerippe sonder Haupt. Als der Fremdling sich ermannte, Sprach der Deutsche: "Sieh' den Mann, Der dies Weib hier liebgewann, Erst für sie im Stillen brannte, Dann sein Feuer ihr bekannte; Den sie ihren Trauten nannte, Der mit seiner Frevelthat Mir mein Bett beschimpfet hat! Das ist nun ihr größtes Leiden, Daß sie ihren Ehemann, Der solch' Leid ihr angethan, Muß beständig um sich leiden! Jenes anblick gab ihr Freuden Sonst, nun möcht' sie gern ihn meiden, Doch sie sieht ihn, und bei'm Mahl Ist sein Schädel ihr Pokal." - Ehe sie das Weib verlassen, Wünscht der Fremdling ihr Geduld, Und Erlassung ihrer Schuld. Sie antwortete gelassen Mit gesenktem Blick, und blassen Lippen: "Ritter, nicht zu fassen Ist mit Worten mein Vergehn! Deiner Magd ist recht geschehn!" - Freundlich wünschte sie den Rittern Gute Nacht! Sie gehen fort Aus dem jammervollen Ort. Bilder ihrer Angst erschüttern Den Navarrer; sie verbittern Ihm den dunkeln Weg; es zittern Seine Kniee; banger Schweiß Ueberläuft ihn, kalt wie Eis. Endlich kömmt er in sein Zimmer. Bang' und kummervoll durchwacht Er die lange Winternacht. Ach! er sah ihr Bildniß immer, Wie sie bei der Lampe Schimmer Spielte, sang und weinte. Nimmer Ward wol je ein Weib gesehn, Das so elend war und schön. Bei der goldnen Morgenröthe Thät er seine Rüstung an, Ging hinein zum deutschen Mann, Nahm ihn bei der Hand und flehte, Daß er, eh' der Gram sie tödte, Aus dem Jammer sie errette; Sprach es, schwang sich auf sein Roß, Und verließ das alte Schloß. Jahre währten ihre Leiden; Ihre helle Thräne sank Täglich in den bittern Trank. Abgestorben alle Freuden, Thät sie jedes Labsal meiden, Thät an ihrem Gram sich weiden, Sang den frommen Bußgesang Täglich bei der laute Klang. Endlich rührt ihr leises Stöhnen, Und ihr demuthvoller Schmerz Des gestrengen Mannes Herz. Wer vermag sich zu den Tönen Leiser Klage zu gewöhnen? Rührender bewegen Thränen Einer stummen Dulderin Jeden Felsenharten Sinn. Sieh, er ließ sein rasches Dräuen, Ihr die ganze Lebenszeit Anzufügen solches Leid, Sich aus Herzensgrunde reuen; Nahm sich in sein Bett von neuem, Thät sich weidlich mit ihr freuen; Zeugte Söhne, stark von Art, Töchter, wie die Mutter zart. Unsre Frauen zu belehren Hab' ich solches Kund gemacht, Und in saub're Reimlein bracht; Auch die Herrchen zu bekehren, Die der Weiblein Herz bethören, Und sich täglich bei uns mehren. Tausend Schädel, die wir sehn, Sollten auf dem Schenktisch stehn.
Authorship:
- by Friedrich Leopold, Graf zu Stolberg-Stolberg (1750 - 1819), "Die Büßende" [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Johann Rudolf Zumsteeg (1760 - 1802), "Die Büßende" [text not verified]
Researcher for this page: Harry Joelson
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