by Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Herbst
Language: German (Deutsch)
I Hörst du die Bäume im Windstoß zischen? Siehst du, wie sie sich drehen und winden unter des Regens tausendsträhniger Geißel? Gekrümmten Rückens, erstarrten Blutes, flüstern sie unaufhörlich heisere Flüche in den kalten, grausamen Herbst hinaus. Blühten sie nicht in dankender Schönheit Göttern und Menschen auf? Bargen der Vöglein süßes Geschwätz nicht treu? Schildeten nicht vor Schlossen das zarte Beet? Und der Sonne furchtbare Feuer - wer empfing sie, sich lautlos opfernd? ... Sieh, wie die Armen im Sturm erschauern -: Wie langzottige frierende Hunde, denen das nasse gesträubte Fell überwirbelt nach vorne weht, trotzen gesträubt die trostberaubten, und ihr herzzerbrechendes Seufzen rauscht umsonst an's graue Gewölb der Wolken. II Ihr Götter der Frühe, schenket mir gute Gedanken! Küsst mir die helle Stirne mit lächelnden Lippen! Aufatmend tret ich hinaus auf die Altane ... Von leichten Winden gerührt, schwanken die Büsche, und, holdanwogend, grüßt der glitzernde See die treuen Ufer. Fernher kommen fleißige Segel gezogen, - ihr Unsichtbaren, tragen sie eure Geschenke? Aber was frag ich! Von euerer Nähe Odem schauern Himmel und Erde ... Euren Odem selber im Busen, tret ich, überbegnadet, fromm, zurück ins Zimmer ... III Der graue Herbst lädt mich zu sich hinaus, übern grauen See, übern grauen Wald, in die graue, graue Himmelsferne ... Bin ich der einzige Mensch der Erde? ... Tiefe Verlassenheit fällt mich an.
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), "Herbst" [author's text checked 1 time against a primary source]
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
This text was added to the website: 2008-07-28
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