by Anna (Nuhn) Ritter (1865 - 1921)
Erinnerung
Language: German (Deutsch)
Ist dies ein Traum, der meinen Sinn umschmeichelt, Der mit dem Mondstrahl in das Fenster kam, Den schweren Druck von meiner Stirne nahm, Mit Blüthenzweigen nun mein Antlitz streichelt, Und zu mir spricht in jenen altvertrauten, In Sturm und Trübsal nie vergeßnen Lauten? Noch einmal steigt der Frühling mir herauf, Noch einmal an den übersonnten Wegen Seh ich den Flieder seine Trauben regen, Narzissen schauen leuchtend zu mir auf, Und durch den Garten kommt ein Schritt gegangen, Der treibt das Blut in meine jungen Wangen. Vor lauter Sehnsucht ist das Herz mir schwer. Mit meinen Locken spielen Morgenwinde, Und an der Mauer wiegt die alte Linde Breitästig ihre Blüthen hin und her. Darunter wartet er, daß meine Seele In langem Kuß der seinen sich vermähle. Erinnerung, wie gingst du all die Zeit So farblos neben mir, so altbedächtig, Wie trittst du heute gar so übermächtig, So frühlingsfrisch in meine Einsamkeit Und lockst aus stillen, grün umwachsnen Tiefen Sehnsucht und Thränen, die so lange schliefen.
Confirmed with Anna Ritter, Gedichte, Neunte Auflage, Stuttgart und Berlin: J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger, 1900, pages 217-218.
Authorship:
- by Anna (Nuhn) Ritter (1865 - 1921), "Erinnerung", appears in Gedichte, in 3. Nach Jahren, no. 39 [author's text checked 1 time against a primary source]
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