Ich aber lag am Rande des Schiffes, Und schaute, träumenden Auges, Hinab in das spiegelklare Wasser, Und schaute tiefer und tiefer -- Bis tief, im Meeresgrunde, Anfangs wie dämmernde Nebel, Jedoch allmählich farbenbestimmter, Kirchenkuppel und Türme sich zeigten, Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt, Altertümlich niederländisch, Und menschenbelebt. Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt, Mit weißen Halskrausen und Ehrenketten Und langen Degen und langen Gesichtern, Schreiten, über den wimmelnden Marktplatz, Nach dem treppenhohen Rathaus, Wo steinerne Kaiserbilder Wacht halten mit Zepter und Schwert. Unferne, vor langen Häuserreihn, Wo spiegelblanke Fenster Und pyramidisch beschnittene Linden, Wandeln seidenrauschende Jungfern, Schlanke Leibchen, die Blumengesichter Sittsam umschlossen von schwarzen Mützchen Und hervorquellendem Goldhaar. Bunte Gesellen, in spanischer Tracht, Stolzieren vorüber und nicken. Bejahrte Frauen, In braunen, verschollnen Gewändern, Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand, Eilen, trippelnden Schritts, Nach dem großen Dome, Getrieben von Glockengeläute Und rauschendem Orgelton. Mich selbst ergreift des fernen Klangs Geheimnisvoller Schauer! Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut Beschleicht mein Herz, Mein kaum geheiltes Herz; -- Mir ist, als würden seine Wunden Von lieben Lippen aufgeküßt, Und täten wieder bluten -- Heiße, rote Tropfen, Die lang und langsam niederfalln Auf ein altes Haus, dort unten In der tiefen Meerstadt, Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus, Wo melancholisch einsam Untetn am Fenster ein Mädchen sitzt, Den Kopf auf den Arm gelehnt, Wie ein armes, vergessenes Kind -- Und ich kenne dich armes, vergessenes Kind! So tief, meertief also Verstecktest du dich vor mir, Aus kindischer Laune, Und konntest nicht mehr herauf, Und saßest fremd unter fremden Leuten, Jahrhundertelang, Derweilen ich, die Seele voll Gram, Auf der ganzen Erde dich suchte, Und immer dich suchte, Du Immergeliebte, Du Längstverlorene, Du Endlichgefundene -- Ich hab dich gefunden und schaue wieder Dein süßes Gesicht, Die klugen, treuen Augen, Das liebe Lächeln -- Und nimmer will ich dich wieder verlassen, Und ich komme hinab zu dir, Und mit ausgebreiteten Armen Stürz ich hinab an dein Herz -- Aber zur rechten Zeit noch Ergriff mich beim Fuß der Kapitän, Und zog mich vom Schiffsrand, Und rief, ärgerlich lachend: Doktor, sind Sie des Teufels?
Melodramen , opus 21
by August Reuss (1871 - 1935)
1. Seegespenst : aus die Nordsee von H. Heine  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Authorship:
- by Heinrich Heine (1797 - 1856), "Seegespenst", appears in Buch der Lieder, in Die Nordsee, in Erster Zyklus, no. 10
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Emma Lazarus) , "An apparition in the sea", appears in Poems and Ballads of Heinrich Heine, first published 1881
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Fantôme de la mer", copyright © 2009, (re)printed on this website with kind permission
2a. Auf dem Berge steht die Hütte  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Auf dem Berge steht die Hütte, Wo der alte Bergmann wohnt; Dorten rauscht die grüne Tanne, Und erglänzt der goldne Mond. In der Hütte steht ein Lehnstuhl, Ausgeschnitzelt wunderlich, Der darauf sitzt, der ist glücklich, Und der Glückliche bin ich! Auf dem Schemel sitzt die Kleine, Stützt den Arm auf meinen Schoß; Äuglein wie zwei blaue Sterne, Mündlein wie die Purpurros. Und die lieben, blauen Sterne Schaun mich an so himmelgroß, Und sie legt den Liljenfinger Schalkhaft auf die Purpurros. Nein, es sieht uns nicht die Mutter, Denn sie spinnt mit großem Fleiß, Und der Vater spielt die Zither, Und er singt die alte Weis. Und die Kleine flüstert leise, Leise, mit gedämpftem Laut; Manches wichtige Geheimnis Hat sie mir schon anvertraut. «Aber seit die Muhme tot ist, Können wir ja nicht mehr gehn Nach dem Schützenhof zu Goslar, Dorten ist es gar zu schön. Hier dagegen ist es einsam, Auf der kalten Bergeshöh, Und des Winters sind wir gänzlich Wie begraben in dem Schnee. Und ich bin ein banges Mädchen, Und ich fürcht mich wie ein Kind Vor den bösen Bergesgeistern, Die des Nachts geschäftig sind.» Plötzlich schweigt die liebe Kleine, Wie vom eignen Wort erschreckt, Und sie hat mit beiden Händchen Ihre Äugelein bedeckt. Lauter rauscht die Tanne draußen, Und das Spinnrad schnurrt und brummt, Und die Zither klingt dazwischen, Und die alte Weise summt: «Fürcht dich nicht, du liebes Kindchen, Vor der bösen Geister Macht; Tag und Nacht, du liebes Kindchen, Halten Englein bei dir Wacht!»
Authorship:
- by Heinrich Heine (1797 - 1856), no title, appears in Buch der Lieder, in Aus der Harzreise, in 3. Bergidylle, no. 1
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , copyright © 2010, (re)printed on this website with kind permission
2b. Still versteckt der Mond sich draußen  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Still versteckt der Mond sich draußen Hinterm grünen Tannenbaum, Und im Zimmer unsre Lampe Flackert matt und leuchtet kaum. Aber meine blauen Sterne Strahlen auf in hellerm Licht, Und es glüht die Purpurrose, Und das liebe Mädchen spricht: "Kleines Völkchen, Wichtelmännchen, Stehlen unser Brot und Speck, Abends liegt es noch im Kasten, Und des Morgens ist es weg. Kleines Völkchen, unsre Sahne Nascht es von der Milch, und läßt Unbedeckt die Schüssel stehen, Und die Katze säuft den Rest. Und die Katz ist eine Hexe, Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm, Drüben nach dem Geisterberge, Nach dem altverfallnen Turm. Dort hat einst ein Schloß gestanden, Voller Lust und Waffenglanz; Blanke Ritter, Fraun und Knappen Schwangen sich im Fackeltanz. Da verwünschte Schloß und Leute Eine böse Zauberin, Nur die Trümmer blieben stehen, Und die Eulen nisten drin. Doch die selge Muhme sagte: Wenn man spricht das rechte Wort, Nächtlich zu der rechten Stunde, Drüben an dem rechten Ort: So verwandeln sich die Trümmer Wieder in ein helles Schloß, Und es tanzen wieder lustig Ritter, Fraun und Knappentroß; Und wer jenes Wort gesprochen, Dem gehören Schloß und Leut, Pauken und Trompeten huldgen Seiner jungen Herrlichkeit." Also blühen Märchenbilder Aus des Mundes Röselein, Und die Augen gießen drüber Ihren blauen Sternenschein. Ihre goldnen Haare wickelt Mir die Kleine um die Händ, Gibt den Fingern hübsche Namen, Lacht und küßt, und schweigt am End. Und im stillen Zimmer alles Blickt mich an so wohlvertraut; Tisch und Schrank, mir ist als hätt ich Sie schon früher mal geschaut. Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr, Und die Zither, hörbar kaum, Fängt von selber an zu klingen, Und ich sitze wie im Traum. Jetzo ist die rechte Stunde, Und es ist der rechte Ort; Ja, ich glaube, von den Lippen Gleitet mir das rechte Wort. Siehst du, Kindchen, wie schon dämmert Und erbebt die Mitternacht! Bach und Tannen brausen lauter, Und der alte Berg erwacht. Zitherklang und Zwergenlieder Tönen aus des Berges Spalt, Und es sprießt, wie'n toller Frühling, Draus hervor ein Blumenwald; - Blumen, kühne Wunderblumen, Blätter, breit und fabelhaft, Duftig bunt und hastig regsam, Wie gedrängt von Leidenschaft. Rosen, wild wie rote Flammen, Sprühn aus dem Gewühl hervor; Liljen, wie kristallne Pfeiler, Schießen himmelhoch empor. Und die Sterne, groß wie Sonnen, Schaun herab mit Sehnsuchtglut; In der Liljen Riesenkelche Strömet ihre Strahlenflut. Doch wir selber, süßes Kindchen, Sind verwandelt noch viel mehr; Fackelglanz und Gold und Seide Schimmern lustig um uns her. Du, du wurdest zur Prinzessin, Diese Hütte ward zum Schloß, Und da jubeln und da tanzen Ritter, Fraun und Knappentroß. Aber ich, ich hab erworben Dich und Alles, Schloß und Leut; Pauken und Trompeten huldgen Meiner jungen Herrlichkeit!
Authorship:
- by Heinrich Heine (1797 - 1856), written 1824, appears in Buch der Lieder, in Aus der Harzreise, in 3. Bergidylle, no. 3
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , copyright © 2010, (re)printed on this website with kind permission