Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr auf Erden. Mehr um einen Kranz. Vor einer Weile war das leichtes Laub … Ich wands: Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer und so von Dunkel voll, als tränke er aus meinen Dingen zukünftige Nächte. Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht, allein mit diesem Kranz, den ich gemacht, nicht ahnend, daß da etwas wird, wenn sich die Ranken ründen um den Reifen; ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen: daß etwas nicht mehr sein kann. Wie verirrt in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn, die ich schon einmal gesehn haben muß … … Flußabwärts treiben die Blumen, welche die Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen Fingern fiel eine und eine, bis daß der Strauß nicht mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nach Haus gebracht, gerade gut zum Verbrennen war. Dann konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen. Gretel, von allem Anbeginn, war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben, blond zu sterben. Lange schon eh dir zu leben bestimmt war. Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich und dann einen Bruder, damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine, welche das Sterben dir zeigten, das deine: dein Sterben. Deine Geschwister wurden erfunden, nur, damit du dich dran gewöhntest, und dich an zweien Sterbestunden mit der dritten versöhntest, die dir seit Jahrtausenden droht. Für deinen Tod sind Leben erstanden; Hände, welche Blüten banden, Blicke, welche die Rosen roth und die Menschen mächtig empfanden, hat man gebildet und wieder vernichtet und hat zweimal das Sterben gedichtet, eh es, gegen dich selbst gerichtet, aus der verloschenen Bühne trat. … Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin? war es dein Feind? Hast du dich ihm ans Herz geweint? Hat es dich aus den heißen Kissen in die flackernde Nacht gerissen, in der niemand schlief im ganzen Haus …? Wie sah es aus? Du mußt es wissen … Du bist dazu in die Heimat gereist. – – – – – – – – – – – – – – Du weißt wie die Mandeln blühn und daß Seeen blau sind. Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind, welche die erste Liebe erfuhr, weißt du. Dir flüsterte die Natur in des Südens spätdämmernden Tagen so unendliche Schönheit ein, wie sonst nur selige Lippen sie sagen seliger Menschen, die zu zwein eine Welt haben und eine Stimme – leiser hast du das alles gespürt, – (o wie hat das unendlich Grimme deine unendliche Demut berührt). Deine Briefe kamen von Süden, warm noch von Sonne, aber verwaist, – endlich bist du selbst deinen müden bittenden Briefen nachgereist; denn du warst nicht gerne im Glanze, jede Farbe lag auf dir wie Schuld, und du lebtest in Ungeduld, denn du wußtest: Das ist nicht das Ganze. Leben ist nur ein Teil … Wovon? Leben ist nur ein Ton … Worin? Leben hat Sinn nur verbunden mit vielen Kreisen des weithin wachsenden Raumes, – Leben ist so nur der Traum eines Traumes, aber Wachsein ist anderswo. So ließest dus los. Groß ließest dus los. Und wir kannten dich klein. Dein war so wenig: Ein Lächeln, ein kleines, ein bißchen melancholisch schon immer, sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer, das dir seit dem Tode der Schwester weit war. Als ob alles andere nur dein Kleid war so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel. Aber sehr viel warst du. Und wir wußtens manchmal, wenn du am Abend kamst in den Saal; wußten manchmal: jetzt müßte man beten; eine Menge ist eingetreten, eine Menge, welche dir nachgeht, weil du den Weg weißt. Und du hast ihn wissen gemußt und hast ihn gewußt gestern … Jüngste der Schwestern. Sieh her, dieser Kranz ist so schwer. Und sie werden ihn auf dich legen diesen schweren Kranz. Kanns dein Sarg aushalten? Wenn er bricht unter dem schwarzen Gewicht, kriecht in die Falten von deinem Kleid Efeu. Weit rankt er hinauf, rings rankt er dich um, 115 und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt, regt dich auf mit seinem Geräusch; so keusch bist du. Aber du bist nicht mehr zu. Langgedehnt bist du und laß. 120 Deines Leibes Thüren sind angelehnt, und naß tritt der Efeu ein … – – – – – – – – – – – – – – Wie Reihn von Nonnen, die sich führen an schwarzem Seil, weil es dunkel ist in dir, du Bronnen. In den leeren Gängen deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen; wo sonst deine sanften Schmerzen sich begegneten mit bleichen Freuden und Erinnerungen, wandeln sie wie im Gebet in das Herz, das, ganz verklungen, dunkel, allen offen steht. Aber dieser Kranz ist schwer nur im Licht, nur unter Lebenden, hier bei mir; und sein Gewicht ist nicht mehr, wenn ich ihn zu dir legen werde. Die Erde ist voller Gleichgewicht, deine Erde. Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen, schwer von den Gängen, die ich um ihn getan; Aengste aller, welche ihn sahn, haften daran. Nimm ihn zu dir, denn er ist dein seit er ganz fertig ist. Nimm ihn von mir. Laß mich allein! Er ist wie ein Gast … Fast schäm ich mich seiner. Hast du auch Furcht, Gretel? Du kannst nicht mehr gehn? Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn? Thun dir die Füße weh? So bleib wo jetzt alle beisammen sind, man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind, durch die entlaubte Allee. Man wird ihn dir bringen, warte getrost, – man bringt dir morgen noch mehr. Wenn es auch morgen tobt und tost, das schadet den Blumen nicht sehr. Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht, sie sicher zu haben, mein Kind, und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht und lange vergangen sind. Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr unterscheiden, was steigt oder sinkt; die Farben sind zu und die Töne sind leer, und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer dir alle die Blumen bringt. Jetzt weißt du das Andre, das uns verstößt, so oft wirs im Dunkel erfaßt; von dem, was du sehntest, bist du erlöst zu etwas, was du hast. Unter uns warst du von kleiner Gestalt, vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald mit Winden und Stimmen im Laub. – Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt: Dein Tod war schon alt, als dein Leben begann; drum griff er es an, damit es ihn nicht überlebte. Schwebte etwas um mich? trat Nachtwind herein? Ich bebte nicht. Ich bin stark und allein. – Was hab ich heute geschafft? … Efeulaub holt ich am Abend und wands und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte. Noch glänzt es mit schwarzem Glanz. Und meine Kraft kreist in dem Kranz.
Requiem
Cantata by Peter Motzkus (b. 1986)
1. Requiem  [sung text not yet checked]
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Requiem", subtitle: "Clara Westhoff gewidmet", appears in Das Buch der Bilder
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Buch der Bilder, 2. Buch Teil 12, Zweite sehr vermehrte Auflage, Berlin / Leipzig, Stuttgart : Axel Junker Verlag, 1906, p.175–184; Clara Westhoff (1878–1954), deutsche Bildhauerin und Ehefrau von Rainer Maria Rilke.
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2. Ô Lacrimosa  [sung text not yet checked]
Aber die Winter ! Oh diese heimliche Einkehr der Erde. Da um die Toten in dem reinen Rückfall der Säfte Kühnheit sich sammelt, künftiger Frühlinge Kühnheit. Wo das Erdenken geschieht unter der Starre; wo das von den großen Sommern abgetragene Grün wieder zum neuen Einfall wird und zum Spiegel des Vorgefühls; wo die Farben der Blumen jenes Verweilen unserer Augen vergißt.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in O Lacrimosa (Trilogie, zu einer künftigen Musik von Ernst Krenek), no. 3
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]3. Schluszstück  [sung text not yet checked]
Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Schlußstück", appears in Das Buch der Bilder, first published 1920
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , "Conclusió", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Salvador Pila) , "Conclusion", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Mathias Rüegg) , copyright ©
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Finale", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission