Was betrübt, o Marko, deine Seele, Daß dein Auge also finster schauet? Was bedrückt dein Herz, daß deine Stirne So gefurcht und deine Wang' erblichen? Hat der Hagel dir die Saat zerschlagen? Glaubst du, daß ich wankend in der Liebe? Oder saugt in mitternächt'ger Stunde Ein Vampyr das Blut dir aus dem Herzen? -- "Hätte Hagel mir die Saat zerschlagen, Brächt' ein nächstes Jahr wohl Doppelernten; Wärst du wankend in der Liebe worden, Neue Zeit brächt' wohl auch neue Liebe. Aber ein Vampyr saugt mir am Herzen, Nachts und Morgens, lange, lange Tage Seit Stavila ist zu Schutt geworden, Seit an unsern Küsten fremde Kähne, In den Bergen fremde Männer streifen." -- Schlimm sind, die Stavila eingeäschert, Schlimm in unserm Land die wilden Gäste; Schlimmer der Vampyr in deinem Herzen, Hat mir deine Liebe wohl geraubt. Kämst wohl, sonst wie immer, an mein Fenster, Ließest nimmer mich in stillen Nächten [Einsam deiner]1 und vergebens harren, Bis der Morgen in der Ferne graut. -- "Müßt' ich nicht vorüber [an]2 Stavila Wenn ich Nachts zu dir, Geliebte, gehe, Solltest nicht vergebens meiner harren; Müßt' ich nicht vorüber [dann am]3 Strande, Wenn ich früh des Morgens von dir scheide, Solltest [meine Liebe nicht bezweifeln]4. Aber -- der Vampyr [in]5 meinem Herzen Läßt mich nie den Weg zu dir vollenden, Hält mich [wie]6 gebannt bei jenen Trümmern Bei Stavilas Schutt und [Aschenhaufen]7!" -- Kam zur Hütte der Geliebten Marko, -- Morgens war es, eines frühen Morgens -- Pochte leise an das kleine Fenster. Trat heraus das Mädchen an die Schwelle, Sah den Liebsten, den so lang vermißten, Sank ihm freudig jubelnd an die Brust. "Einen Becher fülle mir, Geliebte, Rothen Weines! Reiche mir ihn selber, Daß ich einmal noch von deinen Händen Trinke, die so oft mich treu gepflegt; Daß ich einmal noch die warmen Lippen Küsse, die so oft mich süß gelabt." Eilt das Mädchen in des Vaters Keller, Bringet schnell den Becher rothen Weines, Reicht ihn freundlich dem Geliebten hin. Marko nimmt den schäumend vollen Becher, Schwingt ihn hoch: "O edler Heldentrank!" Schlingt die Arme um das schlanke Mädchen, Küßt sie: "Und o süßer Trank der Liebe!" Doch mit einmal windet sich das Mädchen Bleich, entsetzt aus des Geliebten Armen. Marko, Marko, sprich, was ist geschehen? Feucht von nächt'gem Thaue ist dein Mantel, Naß von frischem Blute die Gewänder, Blutbeflekt [sic] dein [Yatagan]8, die Hand, Und -- o Gott! -- aus deiner Brust, verwundet, Quillet warmes Blut! -- Hast du gerungen Mit den Hirten um ein Roß im Walde? Hast mit Räubern du gekämpft am Wege? Oder hast du in den dunkeln Schluchten Des Gebirges einen Wolf erlegt? Marko drauf mit stolzem Muth [entgegnet]9: "Um ein edles Roß hab' ich gerungen, Aber mit den Hirten nicht im Walde; Hab' gekämpft mit einem frechen Räuber, Doch mit keinem der am Wege lagert; Einen bösen Wolf hab' ich erlegt, Aber keinen, der in Schluchten hauset: Edles Roß ist unser freies Recht! Räuber sind die Fremden, die es schänden! Wölfe sind es, die mit blut'ger Gier Sich von unsern Scheunen, Hürden mästen!" -- Also Marko. Und den Becher schwingt er, Trinkt die volle Glut des Heldentrankes: "Dies, o Mädchen, ist mein letzter Trunk!" Und die Arme schlingt er um das Mädchen, Trinkt der Liebe Glut von ihren Lippen: "Dies, o Mädchen, unser letzter Kuß! Eile nun und laß die Glocken läuten, Laß ein Grab mir graben bei Stavila, Laß sie singen alte Heldenlieder, Wenn sie [mich versenken]10 in das Grab! Rosen pflanze über meinem Herzen, Reben um den Hügel rings im Kreise Und zu Häupten einen Eichenbaum; Denn wie ich -- im Arme treuer Liebe Mit dem Becher voll des edlen Weines Für das [gute Recht, für]11 heil'ge Freiheit -- [Wenige sterben also seligen]12 Tod!" Auf dem Marschland bei Stavila, Auf dem [Brachfeld]13, wo die Asche Ausgestreuet liegt vom Winde -- Asche von [Stavilas]14 Hütten -- Steht ein Eichbaum alt und riesig, Fließt ein klarer Wiesenquell. Über Nachtzeit sind die Blätter Hingewelkt [vom]15 Eichenbaume, Über Nachtzeit sind die Wasser In der Quelle roth geworden. An der Eiche, an der Quelle Liegt ein Leichnam auf dem Rücken. Eine Kugel traf die Kehle Und das Herz ein [Yatagan]8. Seit drei langen, langen Tagen Liegt er da im Quellensande, Liegt im heißen Sonnenbrande Und im kühlen Thau der Nacht. Nicht geschlossen sind die Augen, Scheinen boshaft noch zu glimmen [Nach der Eiche schaun sie aufwärts]16 Und es welkt das grüne Laub. Nicht geschlossen sind die Wunden, Rothes Blut fließt noch aus ihnen Fließet [allwärts]17 in die Quelle Und die Wasser werden roth. Lang geworden ist sein Haupthaar Und die Nägel sind gewachsen, In den Boden hat die Rechte Eingewühlt den blut'gen Dolch. Also seit drei langen Tagen Liegt er da im Quellensande, Liegt im heißen Sonnenbrande Und im Thau der kühlen Nacht. Fanden ihn des Feldes Hirten, Als es war am vierten Tage, Eilten in die dunklen Wälder, Eilten in die finstern Schluchten: "Die ihr flohet in die Wälder, Die ihr flohet in's Gebirge, Als der [Venetianer]18 Fackeln Auf Stavila's Dächer fielen, Eilt herbei! -- An jener Eiche, An der Quelle bei Stavila Könnt ihr schauen einen Leichnam! Ist der [Venetianerhauptmann]19, Dessen Boote an den Küsten Unsers Meers auf Beute lauschten! Ist der böse [Venetianer]18, Der mit seinen Schandgesellen Uns die Heerden fortgetrieben, Der die Töchter uns [geschändet]20, Der die Söhne uns geknechtet, Der die Hütten uns verbrannt! Eilt herbei! -- Im heißen Sande Liegt er da in seinem Blute, Liegt allein und seine Rotten Flohen weit hin über's Meer!" Also ruft die Schar der Hirten In die Wälder, in die Schluchten. Die es hörten, die da kamen, Um den Leichnam an der Quelle Stehn sie alle nun im Kreise. Jeder kennt ihn, den Verhaßten, Jeder freut sich seines Falles, Freier athmet jede Brust. Und so stehn sie rings im Kreise, Graben eine tiefe Grube, Wohl drei lange Klafter tief, Und verscharren drin die Leiche Des gehaßten [Venetianers]21. Und, o Wunder! schattig wieder Grünt der Eiche welkes Laub, Kühlend wie in frühern Tagen, Fließt die Quelle klar und rein! [Aber]22 Einer fehlt im Kreise, Wird kein Aug' ihn [wiedersehen]23! Volle, rothe Rosen blühen Bald aus seinem treuen Herzen, Daran kein Vampyr mehr nagt; Schlanke Reben werden grünen, Bald um seine stille Klause, Deren Frieden nichts mehr stört; Eine stolze, kühne Eiche Schattet bald sein Grab, darüber Hin sich dehnt ein freies Land. [Und auch]24 Eine fehlt im Kreise, Freute sich mit euch [wohl]25 gerne! Aber einsam muß sie sitzen In der stillen dunkeln Kammer. Ihre schönen, schwarzen Augen, Sie beweinen den Geliebten, Ihre schönen, weißen Hände Weben einen Wittwenschleier.
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View original text (without footnotes)Confirmed with Johannes Scherr, Bildersaal der Weltliteratur, Zweite, umgearbeitete, ergänzte und bis zur Gegenwart fortgeführte Auflage, Zweiter Band, Stuttgart: Verlag von A. Kröner, 1869, page 672-673.
1 von Goethe: "Deiner einsam"2 von Goethe: "bei"
3 von Goethe: "an dem"
4 von Goethe: "nicht an meiner Liebe zweifeln"
5 von Goethe: "an"
6 von Goethe: "fest"
7 von Goethe: "Aschenfeldern"
8 von Goethe: "Jatagan"
9 von Goethe: "erwiedert"
10 von Goethe: "bald mich senken"
11 von Goethe: "Recht und für die"
12 von Goethe: "Und im Arme treuer Liebe wen'ge sterben also sel'gen"
13 von Goethe: "Blachfeld"
14 von Goethe: "Stavila's"
15 von Goethe: "am"
16 von Goethe: "Blicken aufwärts nach der Eiche"
17 von Goethe: "abwärts"
18 von Goethe: "Venezianer"
19 von Goethe: "Venezianer Hauptmann"
20 von Goethe: "entwendet"
21 von Goethe: "Venezianers"
22 von Goethe: "Und auch"
23 von Goethe: "wieder sehen"
24 von Goethe: "Aber"
25 von Goethe: "so"
Text Authorship:
- by Siegfried Kapper (1821 - 1879), "Ein Vampyr", subtitle: "(Illyrisch)" [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Walter von Goethe (1817 - 1885), "Marko's Quaal", op. 22 (Slavische Bilder), Heft 2 (Der Vampyr) no. 1, published 1851, stanzas 1-4 [ voice and piano ], Bonn: N. Simrock stanzas 1-4 [sung text checked 1 time]
- by Walter von Goethe (1817 - 1885), "Sel'ger Tod", op. 22 (Slavische Bilder), Heft 2 (Der Vampyr) no. 2, published 1851, stanzas 5-8,9(lines1,2,8),10(lines1-3,6,8-17) [ voice and piano ], Bonn: N. Simrock [sung text checked 1 time]
- by Walter von Goethe (1817 - 1885), "Ein freies Land", op. 22 (Slavische Bilder), Heft 2 (Der Vampyr) no. 3, published 1851, stanzas 11-12,13(lines1-8,13-16),14(lines5-12,15-24),15(lines1-5),16(lines2,4-9),8,7 [ voice and piano ], Bonn: N. Simrock [sung text checked 1 time]
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- ENG English (Sharon Krebs) , copyright © 2025, (re)printed on this website with kind permission
Researcher for this page: Sharon Krebs [Senior Associate Editor]
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