by Rudolph Baumbach (1840 - 1905)

Der Klügste
Language: German (Deutsch) 
Es sassen Drei beim Fassgebind 
Im Schatten grüner Tannen 
Und schauten nach des Wirthes Kind 
Mehr als nach ihren Kannen. 
Der Erste trug am Gurtel vorn 
Ein Fässlein Tintenbitter, 
Der Zweite trug ein Jägerhorn, 
Der Dritte eine Zither. 

Da sprach mit List die schöne Magd: 
"Bald schlägt die Abschiedsstunde. 
Als Zehrgeld sei euch nicht versagt 
Ein Kuss von meinem Munde. 
Doch Einen nur, dass ihr es wisst, 
Soll meine Lippe laben. 
Wer unter euch der Klügste ist, 
Der soll das Zehrgeld haben." 

Der Knabe mit dem Tintenfaß 
Erhob sich von dem Stuhle. 
"Zehn Jahre ohne Unterlaß 
Verbracht' ich auf der Schule. 
Was alter Bücher Weisheit spricht, 
Das hab' ich kennen lernen, 
Ich fürchte selbst der Teufel nicht 
Und lese in den Sternen."  

"Mir ist's, als ob im Hagedorn 
Ein junger Gimpel sänge." 
So sprach der mit dem Jägerhorn 
Und schlug an's Wehrgehänge. 
"Ich hab' gelernt im Tannwald dicht 
Bei Füchsen und bei Dachsen, 
Ich höre, was der Vogel spricht 
Und wie die Gräser wachsen."  

Der Dritte sprach:  "Ich bin ein Tropf, 
Muß euch den Vorrang lassen, 
Nur die Gelegenheit beim Schopf 
Hab' ich gelernt zu fassen." 
Er sprach's und sprang vom Zechertisch 
Auf mit behenden Sohlen, 
Und thät sich von zwei Lippen frisch 
Den Lohn der Klugheit holen.

Confirmed with Rudolph Baumbach, Krug und Tintenfaß, Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger, 1908, pages 20 - 21. Appears in Aus halbvergangener Zeit.


Authorship:

Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):


Researcher for this text: Melanie Trumbull

This text was added to the website: 2021-07-22
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