by Christian Fürchtegott Gellert (1715 - 1769)
Der 88. Psalm
Language: German (Deutsch)
Mein Heiland, meine Zuversicht, mein Gott, vor dem ich ganze Tage und ganze Nächte kämpf und zage, verschmäh doch meine Tränen nicht und lass dir mein Geschrei und Ringen nun einst zu Ohr und Herze dringen. Der Schmerzen Wut erschöpfet mich. Wohin ich mich nur wind und wende, bedrohet mich ein nahes Ende. Ich schleppe matt und jämmerlich von mir bald nur die dürre Leiche, bis meine Seele gar entweiche. Ich bin von aller Welt verbannt und wie ein Toter abgeschieden, als wär ich außer deinem Frieden und schon verdammt durch deine Hand, gleich einer Gräuellast der Erden gerichtet und vertilgt zu werden. Ich bin in höllenbange Nacht und in den Abgrund aller Plagen von dir, erzürnter Gott! verschlagen. Es rast und schüttet deine Macht des strengsten Eifers Blitz und Flammen und Fluten über mich zusammen. Du setzest mich zum Scheusal aus, dass mich in meinen Ängst und Mühen die Freunde mit Entsetzen fliehen. Ich bin schon in des Grabes Haus und ohne Rückweg zu dem Leben mit Todesbanden rings umgeben. Mein Aug erstirbt vor langer Pein. Vergeblich such ich dein Erbarmen mit immer ausgestreckten Armen. Soll ich erst Staub und Asche sein und aus dem Moder auferstehen, um deine Taten zu erhöhen? Wie sollte wohl mein Dankgesang die Huld und Stärke meines Helden in Fäulnis und Zerstörung melden? Wie sollte wohl mein Untergang, o Vater! deine Treu bewähren und deiner Gnaden Ruhm erklären? Wer wird in jener Dunkelheit, darin wir unser selbst vergessen, die Wunder deines Heils ermessen? Ich schrei zu dir bei früher Zeit, dass mir dein Trost noch Kraft erteile, eh das Verderben mich ereile. Wenn endlich blickest du mich an? Wie lang versäumst du meine Seele, da ich mich müd und einsam quäle? Ich muss, so lang ich denken kann, o Höchster! deine Lasten tragen und mich mit der Verzweiflung schlagen. Dein Grimm, der keine Stunde ruht, erschüttert mich mit Schreck und Qualen und reibt mich auf mit seinen Strahlen. Ich bin von deiner Wetterflut, die ringsumher auf mich gedrungen, wie von der hohen See verschlungen. Da kennt mich kein Erbarmer nicht. Du fleuchst und hast auch meine Lieben durch dein Gerichte weit vertrieben. Auch die verleugnen ihre Pflicht und haben sich von mir verloren, die mir doch ew’ge Treu geschworen.
Text Authorship:
- by Christian Fürchtegott Gellert (1715 - 1769) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Carl Philipp Emanuel Bach (1714 - 1788), "Der 88. Psalm", Wq 195 no. 12 (1764) [ voice and piano or harpsichord or organ ], from Zwölf geistliche Oden und Lieder als ein Anhang zu Gellerts geistlichen Oden und Liedern mit Melodien, no. 12 [sung text checked 1 time]
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
This text was added to the website: 2022-02-23
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