by Martin Drescher (1863 - 1920)
Ein Weib
Language: German (Deutsch)
I. Leuchtenden Auges sah sie ihn an, und sie sprach unter Beben: Könnt' ich, ach, könnt' ich, geliebter Mann, doch mein Alles dir geben! Könnt' ich doch alles Glück und Leid, Liebster, mit dir teilen, in der dürftigsten Häuslichkeit dir zur Seite weilen! Könnt' ich zu ewigen Liedern dann deine Seele begeistern, dass das staunende Volk dich fortan zählt zu den Führern und Meistern! II. Und sie schritten hinweg vom Fest, wo unter Freunden sie saßen, eng aneinander gepresst, durch die schlafenden Straßen. Schritten hinaus aufs blühende Feld, jauchzten, lachten und sangen, ließen von schimmernder Märchenwelt beide sich selig umfangen. Stunde auf Stunde den Glücklichen schwand, und sie merkten es nimmer; da, als die Sonne am Himmel stand, trug er das Weib auf sein Zimmer. III. Staunend und ängstlich sah sie umher in der ärmlichen Kammer; diese Stätte, so kahl, so leer, sprach von Elend und Jammer. Diesen Raum ohne Schmuck und Licht sollte sie mit ihm teilen? Nein, sie möchte wahrhaftig nicht eine Stunde hier weilen! Und sie entwand seinen Armen sich, und sie stürzte zur Pforte, hastig sie auf die Straße entwich mit undeutlichem Worte. In dem Stübchen, so kahl wie zuvor, das ihr die Liebe genommen, sitzt noch heut' ein verträumter Tor und erwartet ihr Kommen.
Authorship:
- by Martin Drescher (1863 - 1920) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Emil Nikolaus von Rezniček (1860 - 1945), "Ein Weib" [ voice and piano ], from 3 Gedichte von Martin Drescher, no. 3 [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Johann Winkler
This text was added to the website: 2022-03-28
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