by Franz von Holstein (1826 - 1878)
Die Alte
Language: German (Deutsch)
Als ich, noch ein kleines Mädchen, Heimwärts aus der Schule ging, Kam der Jost, der wilde Junge, Und ich lief -- bis er mich fing. Fest hielt er mir beide Hände, Küßte grad' mich auf den Mund, Und ich sträubte mich und weinte, Und doch wußt' ich kaum den Grund. Als ich nun, herangewachsen, Abends durch die Felder ging, Wie mein Herz -- sah ich ihn kommen -- Heftig an zu klopfen fing! Und er nahte scheu und drückte Meine Hand an seinen Mund, Doch er sah mir nicht ins Auge -- Und ich ahnte wohl den Grund. Als ich dann an seiner Seite Sonntags hin zur Kirche ging, Und der grüne Kranz der Myrte Bräutlich mir im Haare hing, Und als nun das „Ja” gesprochen Am Altar mein bleicher Mund -- Da erbebt' ich tief im Herzen, Da verstand ich wohl den Grund. Jetzund ist herangebrochen Unsres Lebens Dämmerung, Doch sind wir auch alt an Jahren, Sind wir doch an Liebe jung. Unsre Jugend, unsre Freuden, Unser Alter, unsre Noth, Alles theilten wir zusammen -- Trenn' uns, Herr, auch nicht im Tod!
Confirmed with Franz von Holstein. Seine nachgelassenen Gedichte, ed. by Heinrich Bulthaupt, Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel, 1880, pages 184-185.
Text Authorship:
- by Franz von Holstein (1826 - 1878), "Die Alte", appears in Seine nachgelassenen Gedichte, in 5. Buntes [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Max Fiedler (1859 - 1939), "Die Alte", op. 4 (Sechs Lieder für 1 Singstimme mit Pianoforte), Heft 2 no. 5, published 1887 [ voice and piano ], Leipzig, Breitkopf & Härtel [sung text not yet checked]
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
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