by Amalia von Helvig (1776 - 1831)
Mein Traum
Language: German (Deutsch)
Als vom Schlummer leis beschlichen Sich die Augewimper schloß; Und die Bilder all erchlichen, Die der Tag um mich ergoß, Sank mit rosigem Gefieder, Süßer Ruhe Unterpfand, Jüngst ein Traum zu mir hernieder, Den mein Schutzgeist mir gesandt. Rauher Winterstürme Brausen Hörte mein erschrocknes Ohr; Kalter Regengüße Saussen Schallte aus dem Sturm hervor; Als am Fenster meiner Zelle, Wo ich ängstlich still gelauscht, Mir ein Fittig, silberhelle Schnell und scheu vorüber rauscht. Schwirrend streift es hin und wieder, Schlägt das kleine Flügelpaar; Am erstarrenden Gefieder Zittern Eisestropfen gar; Sieh, das arme Vöglein spähet Nach dem Nestgen, das gewiß Dieser Sturm, dem nichts entgehet, Von des Hüttchens Obdach riß. Voll Erbarmen nehm' ich leise Vom beeisten Fenster ihn; Und es sinkt der silberweiße Starre Vogel leblos hin, Mir in Schoos, es bebt der Arme Auf der Hand, die zart und fest, Ängstlich ihn, daß er erwarme, An den heißen Busen preßt. Lebe, holder Fremdling, lebe! Ruf' ich selbst mir kaum bewußt; Deinem kleinen Herzen gebe Neue Wärme diese Brust! Sieh, er regt sich, frisch erhebet Das gesenkte Köpfchen sich, Und mit munterm Fluge schwebet Dankbar flatternd er um mich. Aber, Wunder sonder Gleichen! Meinen Augen trau ich kaum; Zarte Rosenglieder steigen Aus der Federn seidnem Pflaum. Goldne Ringellocken blinken; Wo der kleine Schnabel war, Seh ich Purpurlippen winken Und ein schelmisch Augenpaar. Kurz, am schönsten Knaben zeiget Sich vom Vogel keine Spur, Von der weißen Schulter steiget Goldbesäumt die Schwinge nur. Ha! du Schelm! gar wohl belehret Dieses Goldgefieder mich, Ich erkenn' auch unbewehret Losesten der Vögel dich. Süß und lispelnd jetzt versetzet Er mit lächelndem Gesicht: »Daß dich mein Geschoß verletzet, Fürchte holdes Mädchen nicht. In der Brust, die mich gepfleget, Ruht ein warmes treues Herz, Doch das ruhige beweget Nie der Liebe süße Schmerz. Listig wollt' ich dich betrügen; Mitleid öffnet oft die Tür, Deine Schwestern zu besiegen, Zu den weichen Herzen mir, Doch das deine sei verschonet: Diese stille Brust verlieh Einem Gotte Schutz, er lohnet Dir mit solchem Undank nie. Meiner Fackel Glut entzünde Sie mit wilder Flamme nicht, Und es raube meine Binde Nie der heitern Blicke Licht; Schmerzlos sei dir meiner Pfeile, Meines goldnen Bogens Macht.« Hier entfloh mit loser Eile Amor, und ich war erwacht.
Text Authorship:
- by Amalia von Helvig (1776 - 1831) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Johann Rudolf Zumsteeg (1760 - 1802), "Mein Traum", published 1803, from Kleine Balladen und Lieder, Heft VI, no. 10 [sung text checked 1 time]
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
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