by Friedrich Wilhelm Weber (1813 - 1894)
Stille Nacht im tiefen Walde!
Language: German (Deutsch)
Stille Nacht im tiefen Walde! Um der Birken weiße Rinde, Um der Erlen dunkle Stämme Floß das Mondlicht weich und linde. Nur der Bach im Grunde schwatzte, Von Gesträuch und Ried umdüstert, Wie ein Kind im halben Schlummer Mit sich selber spricht und flüstert. Und dazwischen klang der Ente Heisrer Ruf vom fernen Teiche, Und zuweilen auf den Rasen Fiel die braune Frucht der Eiche. Und der Dachs, der frömmste Klausner Von den Bergbewohnern allen, Streifte, scheu die Lichtung meidend, Durch der Buchen finstre Hallen. Dort am Hang, zum Nord gerichtet, Fern den Straßen und den Steigen, Lag verloren eine Höhle In der Wildnis ödem Schweigen, Weit und endlos; nach der Sage Einst bewohnt von klugen Schmieden, Zwerggeschlecht, das ausgewandert, Jetzt verrufen und gemieden. Schaurig war die Kluft, von rauhen Felsenknorren überhangen; Um das Torgewölbe schlichen Efeuranken, grüne Schlangen; Schlangen krochen durch die Spalten, Schwarze Schlangen, Wurzelknoten, Wo die greise Drude hauste, Weltvergessen wie die Toten, Einsam mit dem treuen Hunde, Einsam mit den alten Göttern, Die zu ihr in Vogelstimmen Sprachen und in Sturmeswettern. An der Quelle vor der Grotte Saß sie regungslos gekauert, Wie ein graues Steingebilde Über einem Grabe trauert. Von der Achsel hing ein dunkles Ottervlies zur Hüfte nieder, Ein Gewand von weißer Wolle Hüllte faltenreich die Glieder. Träumend saß sie; in der Linken Lag die Stirne, ernst und edel, Tief gefurcht; die Rechte ruhte Auf des Hundes breitem Schädel. Sinnend saß sie, eine Norne, Eine von den finstern Frauen, Die den Born des Wissens schöpfen Und den Gang der Zeiten schauen, Schweiften zu entflohnen Tagen Rückwärts eilend die Gedanken, Beßre Zeit, eh welsche Rasse Aus den Sachsenbächen tranken? Was die Seele ihr bewegte, War's der Gegenwart Bedrängnis? Lag vor ihren Seherblicken Drohend künftiges Verhängnis? Doch ihr Wächter knurrt', es glommen Grünlich seine Augensterne; Durch des Waldes tiefe Stille Hallten Schritte aus der Ferne; Männerschritte: Elmar nahte; Vor der Drude blieb er stehen; Gruß und Gegengruß: »Was willst du?« Sprach sie, ohne aufzusehen. »Swanahild, du weise Waldfrau, Länger als seit drei Geschlechtern Warst du hold dem Stamm der Falken, Seinen Söhnen, seinen Töchtern. Längst zu Wodan und zu Freia Heimgefahren sind sie alle: Öde steht mein Haus am Hügel, Einsam bin ich in der Halle.« »Junger Falk, der Weg ist offen, Der den Freund zum Freunde leitet; Gras und Dorn und Ranken wuchern Auf dem Pfad, den niemand schreitet. Junger Falk, seit manchen Monden Flogst du nicht zu meinem Grunde; Fürchtest du des Tages Augen, Daß du kommst zu nächt'ger Stunde? Dort am Stein, zur Sonnenwende, Sah ich dich zum letzten Male, Doch vernahm ich wohl von deinem Flügelschlag im Frankensaale, Und wie du dein glatt Gefieder Arg versengtest in den Flammen.« -- »Willst du das, was mir und jedem Menschenpflicht gebeut, verdammen?« »Ich verdamme nicht, ich lobe Edle Tat; indes ich meine, Was dich trieb in Rauch und Gluten, War nicht Menschenpflicht alleine. Freier Jäger ward zur Beute, Wilder Falk, er ließ sich zähmen, Blenden mit der Lederkappe, Mit der Riemenkette lähmen.« »Sei nicht unhold, strenge Mutter; Schmach und Unbill zur Genüge Widerfuhr mir bei den andern: Sei nicht herb und laß die Rüge!« »Weiland rangst du mit dem Bären Und zerknicktest ihm die Knochen: Hat dich jetzt beim Blumenbrechen, Feiner Knab', ein Wurm gestochen? Hat, mit dem du lange spieltest, Endlich dich gekratzt das Kätzchen, Und nun siehst du, armer Junge, Weinend auf dein wundes Tätzchen?« »Mutter, scharf sind deine Worte, Schärfer als des Schwertes Hiebe; Doch vernimm: in meiner Seele Hadern zornig Haß und Liebe. Sprechen muß ich oder sterben! Was ich lange stumm getragen, Einem muß ich's, und von allen Dir nur, Mutter, kann ich's klagen. Gib mir Rat, du weise Wala, Kluge Idis [Fußnote], hilf dem Kranken: Die ich lieb', ist eine Christin Und die Tochter eines Franken!« Und die Drude, aufgerichtet Ihres Leibes Riesenlänge, Seufzte tief, und beide Hände Hebend, sprach sie schmerzlichstrenge: »Elmar, geh, du bist verloren! Stünd' in Brand dir Saal und Scheuer, Minder wäre dir verderblich Jene Glut als dieses Feuer. Geh: du gehst zum schwarzen Grafen, Geh: du gehst zum Sachsenhasser, Beugst dem Kreuz den stolzen Nacken, Beugst den Kopf dem Christenwasser. Hast du unsrer blonden Jungfraun Keine wert genug gehalten, Deines Hofes, deiner Halle, Deines Herdes fromm zu walten?« Er darauf: »Die Göttermutter Wägt die Freuden und die Schmerzen; Wie der Wind die Wasserwellen Leitet sie die Menschenherzen. Denkst du nicht des alten Liedes, Das wir oft gesungen haben, Wie einst Swanahild, die schöne, Weint' um einen Wendenknaben, Weint' um einen Wendenknaben, Der verging im Eis der Elbe? Lieb' ich außerhalb des Stammes, Tat nicht Swanahild dasselbe?« 39. Traurig sank das Haupt der Alten: »Bitter ist es, lang zu leben; Dunkle Jahre, Reih' an Reihe, Les' ich auf den Runenstäben; Älter als der Wald! Ich kannte Schon als Eicheln jene Eichen, Graue Hünen, deren Häupter Jetzt bis in die Wolken reichen. Unverstanden wie die Sage, Überalt und fremd im Neuen, Gleich' ich einem morschen Stumpfe Zwischen frühlingsgrünen Maien. Schlummerschwer sind meine Augen, Wandermüde meine Füße; Aus den Sachsengauen bring' ich Wodan bald die letzten Grüße. Götterschicksal, Menschenschicksal Ist auf ew'gen Rat gegründet: Einer bleibt und herrscht. -- Dir aber Hätt' ich Beßres gern gekündet. Geh, ich höre meine Boten, Die sich in den Wipfeln regen: Auf des Waldes düstern Pfaden Tritt das Schicksal dir entgegen!« -- Elmar ging. -- In Wolkenschleiern Hatte sich der Mond verborgen; Tropfen rauschten auf die Blätter, Grau und trübe kam der Morgen. Sonder Trost, mit schwerem Mute Schritt der Jüngling durch die Loden, Nie so einsam und vergessen, Nie so fremd auf eignem Boden. Was die Wala sprach, das dunkle Rätselwort, wie soll er's fassen? Meint sie Götter, die ihm zürnen? -- Meint sie Menschen, die ihn hassen? -- Geh nur, Elmar; holde Mächte Sind dir nah auf allen Wegen: Auf des Waldes grünen Pfaden Tritt das Schicksal dir entgegen.
M. Görres sets stanzas 39-44
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Authorship:
- by Friedrich Wilhelm Weber (1813 - 1894), "Die Drude", appears in Dreizehnlinden, no. 8 [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Maria Görres (1823 - 1882), "Swanahild's Klage", published 1882, stanzas 39-44 [ voice and piano ], from Lieder für 1 Singstimme mit Pianoforte aus dem Epos Dreizehnlinden von F.W. Weber. II. Sammlung , no. 14, Paderborn, Schoeningh ; incipit: "Traurig sank das Haupt der Alten" [sung text not yet checked]
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
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