Da neigt sich die Stunde und rührt mich an mit klarem, metallenem Schlag: mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann - und ich fasse den plastischen Tag. Nichts war ... vollendet, eh ich es erschaut, ein jedes Werden stand still. Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut kommt jedem das Ding, das er will. ...
Der Schatzgräber
Song Cycle by Steven Ebel
1. Die Stunde
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Da neigt sich die Stunde", written 1899, appears in Das Stundenbuch, in 1. Das Buch vom mönchischen Leben , no. 1, first published 1905
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Walter A. Aue) , "The hour is turning", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Alors l'heure se penche et me touche", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
2. Wie keiner
Ich glaube an Alles noch nie Gesagte.
Ich will meine frömmsten Gefühle befrein.
Was noch keiner zu wollen wagte,
wird mir einmal unwillkürlich sein.
Ist das vermessen, mein Gott, vergieb.
Aber ich will dir damit nur sagen:
Meine beste Kraft soll sein wie ein Trieb,
so ohne Zürnen und ohne Zagen;
so haben dich ja die Kinder lieb.
Mit diesem Hinfluten, mit diesem Münden
in breiten Armen ins offene Meer,
mit dieser wachsenden Wiederkehr
will ich dich bekennen, will ich dich verkünden
wie keiner vorher.
...
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Alles noch nie Gesagte", written 1899, appears in Das Stundenbuch, in 1. Das Buch vom mönchischen Leben , no. 12, first published 1905
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Tout ce qui est encore non dit", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
3. Gebet
Ich bete wieder, du Erlauchter, du hörst mich wieder durch den Wind, weil meine Tiefen nie gebrauchter rauschender Worte mächtig sind. Ich war zerstreut; an Widersacher in Stücken war verteilt mein Ich. O Gott, mich lachten alle Lacher, und alle Trinker tranken mich. In Höfen hab ich mich gesammelt aus Abfall und aus altem Glas, mit halbem Mund dich angestammelt, dich, ewiger aus Ebenmaß. Wie hob ich meine halben Hände zu dir in namenlosem Flehn, dass ich die Augen wiederfände, mit denen ich dich angesehn. Ich war ein Haus nach einem Brand, darin nur Mörder manchmal schlafen, eh ihre hungerigen Strafen sie weiterjagen in das Land; ich war wie eine Stadt am Meer, wenn eine Seuche sie bedrängte, die sich wie eine Leiche schwer den Kindern in die Hände hängte. Ich war mir fremd wie irgendwer und wusste nur von ihm, dass er einst meine junge Mutter kränkte, als sie mich trug, und dass ihr Herz, das eingeengte, sehr schmerzhaft an mein Keimen schlug. Jetzt bin ich wieder aufgebaut aus allen Stücken meiner Schande und sehne mich nach einem Bande, nach einem einigen Verstande, der mich wie ein Ding überschaut, - nach deines Herzens großen Händen - (o kämen sie doch auf mich zu) ich zähle mich, mein Gott, und du, du hast das Recht, mich zu verschwenden.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 2. Das Buch von der Pilgerschaft, no. 2
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]4. Schwingen
Ich komme aus meinen Schwingen heim,
mit denen ich mich verlor.
Ich war Gesang, und Gott, der Reim,
rauscht noch in meinem Ohr.
Ich werde wieder still und schlicht,
und meine Stimme steht;
es senkte sich mein Angesicht
zu besserem Gebet.
Den andern war ich wie ein Wind,
da ich sie rüttelnd rief.
Weit war ich, wo die Engel sind,
hoch, wo das Licht in nichts zerrinnt –
Gott aber dunkelt tief.
...
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 1. Das Buch vom mönchischen Leben , no. 50
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]5. Brich ein
Vielleicht, daß ich durch schwere Berge gehe In harten Adern, wie ein Erz allein; Und bin so tief, daß ich kein Ende sehe Und keine Ferne: alles wurde Nähe, Und alle Nähe wurde Stein. Ich bin ja noch kein Wiβender in Wehe, – So macht mich dieses große Dunkel klein Bist Du es aber: mach dich schwer, brich ein: Daß deine ganze Hand an mir geschehe Und ich an dir mit meinem ganzen Schrein.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 3. Das Buch von der Armut und dem Tode, no. 1
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Research team for this page: Emily Ezust [Administrator] , Joost van der Linden [Guest Editor]