by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Translation © by Paul Goodman (1911 - 1972)
Mit allen Augen sieht die Kreatur
Language: German (Deutsch)
Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene. Nur unsre Augen sind wie umgekehrt und ganz um sie gestellt als Fallen, rings um ihren freien Ausgang. Was draußen ist, wir wissens aus des Tiers Antlitz allein; denn schon das frühe Kind wenden wir um und zwingens, daß es rückwärts Gestaltung sehe, nicht das Offne, das im Tiergesicht so tief ist. Frei von Tod. Ihn sehen wir allein; das freie Tier hat seinen Untergang stets hinter sich und vor sich Gott, und wenn es geht, so gehts in Ewigkeit, so wie die Brunnen gehen. Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag, den reinen Raum vor uns, in den die Blumen unendlich aufgehn. Immer ist es Welt und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine, Unüberwachte, das man atmet und unendlich weiß und nicht begehrt. Als Kind verliert sich eins im Stilln an dies und wird gerüttelt. Oder jener stirbt uns ists. Denn nah am Tod sieht man den Tod nicht mehr und starrt hinaus, vielleicht mit großem Tierblick. Liebende, wäre nicht der andre, der die Sicht verstellt, sind nah daran und staunen . . . Wie aus Versehn ist ihnen aufgetan hinter dem andern . . . Aber über ihn kommt keiner fort, und wieder wird ihm Welt. Der Schöpfung immer zugewendet, sehn wir nur auf ihr die Spiegelung des Frein, von uns verdunkelt. Oder daß ein Tier, ein stummes, aufschaut, ruhig durch uns durch. Dieses heißt Schicksal: gegenüber sein und nichts als das und immer gegenüber. Wäre Bewußtheit unsrer Art in dem sicheren Tier, das uns entgegenzieht in anderer Richtung — , riß es uns herum mit seinem Wandel. Doch sein Sein ist ihm unendlich, ungefaßt und ohne Blick auf seinen Zustand, rein, so wie sein Ausblick. Und wo wir Zukunft sehn, dort sieht es Alles und sich in Allem und geheilt für immer. Und doch ist in dem wachsam warmen Tier Gewicht und Sorge einer großen Schwermut. Denn ihm auch haftet immer an, was uns oft überwältigt, — die Erinnerung, als sei schon einmal das, wonach man drängt, näher gewesen, treuer und sein Anschluß unendlich zärtlich. Hier ist alles Abstand, und dort wars Atem. Nach der ersten Heimat ist ihm die zweite zwitterig und windig. O Seligkeit der kleinen Kreatur, die immer bleibt im Schooße, der sie austrug; o Glück der Mücke, die noch innen hüpft, selbst wenn sie Hochzeit hat: denn Schooß ist Alles. Und sieh die halbe Sicherheit des Vogels, der beinah beides weiß aus seinem Ursprung, als wär er eine Seele der Etrusker, aus einem Toten, den ein Raum empfing, doch mit der ruhenden Figur als Deckel. Und wie bestürzt ist eins, das fliegen muß und stammt aus einem Schooß. Wie vor sich selbst erschreckt, durchzuckts die Luft, wie wenn ein Sprung durch eine Tasse geht. So reißt die Spur der Fledermaus durchs Porzellan des Abends. Und wir: Zuschauer, immer, überall, dem allen zugewandt und nie hinaus! Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt. Wir ordnens wieder und zerfallen selbst. Wer hat uns also umgedreht, daß wir, was wir auch tun, in jener Haltung sind von einem, welcher fortgeht? Wie er auf dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt —, so leben wir und nehmen immer Abschied.
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Note: See also Terry Winter Owens, Red Shift, which quotes part of this text.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Die achte Elegie", appears in Duineser Elegien, no. 8 [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Philippe Fénelon (b. 1952), "Mit allen Augen", op. 69b (Dix-Huit Madrigaux) no. 15 (1995 - 1996), first performed 1996 [ soprano and bass ], Amphion, Durand, Paris [sung text not yet checked]
- by Maria Kallionpää (b. 1981), "Die achte Elegie", 2005, first performed 2005 [ soprano, alto, baritone, violin, viola, violoncello ], Music Finland [sung text not yet checked]
- by Terry Winter Owens (1941 - 2007), "The Eighth Elegy" [ speaker or voice, violin and piano ] [sung text not yet checked]
- by John W. M. Slangen (b. 1951), "Und wir", 1981 [ voice and piano ], from III Fragmente aus den Duineser Elegien, no. 2 [sung text not yet checked]
- by Wolfgang Stendel (1943 - 2022), "Elegie" [ bass and piano ], from CANORIS canorus IIII, no. 2, Verlag Neue Musik [sung text not yet checked]
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- Also set in English, a translation by Paul Goodman (1911 - 1972) , appears in Empire City, first published 1964, copyright © ; composed by Ned Rorem.
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Word count: 537
All eyes
Language: English  after the German (Deutsch)
All eyes, the Creature sees [ ... ]
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Text Authorship:
- by Paul Goodman (1911 - 1972), appears in Empire City, first published 1964, copyright © [author's text not yet checked against a primary source]
Based on:
- a text in German (Deutsch) by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Die achte Elegie", appears in Duineser Elegien, no. 8
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Ned Rorem (1923 - 2022), "All eyes", 1954-1955 [ soprano, SATB chorus, and orchestra ], from The Poet's Requiem, no. 8, Boosey & Hawkes [sung text not yet checked]
Settings in other languages, adaptations, or excerpts:
- Also set in English, a translation by Anonymous/Unidentified Artist ; composed by Terry Winter Owens.
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