by Albrecht von Haller (1708 - 1777)
Doris
Language: German (Deutsch)
Des Tages Licht hat sich verdunkelt, der Purpur, der im Westen funkelt, erblasset in ein falbes Grau. Der Mond zeigt seine Silberhörner, die kühle Nacht streut Schlummerkörner und tränkt die trockne Welt mit Tau. Komm, Doris, komm zu jenen Buchen, lass uns den stillen Grund besuchen, wo nichts sich regt als ich und du. Nur noch der Hauch verliebter Weste belebt das schwanke Laub der Äste und winket dir liebkosend zu. Die grüne Nacht belaubter Bäume führt uns in anmutsvolle Träume, worein der Geist sich selber wiegt. Er zieht die schweifenden Gedanken in angenehm verengte Schranken und lebt mit sich allein vergnügt. Sprich, Doris! Fühlst du nicht im Herzen die zarte Regung sanfter Schmerzen, die süßer sind als alle Lust? Strahlt nicht dein holder Blick gelinder, rollt nicht dein Blut sich selbst geschwinder und schwellt die unschuldsvolle Brust? Ich weiß, dass sich dein Herz befraget und ein Gedank zum andern saget: Wie wird mir doch? Was fühle ich? Mein Kind! Du wirst es nicht erkennen, ich aber werd es leichtlich nennen; ich fühle eben das für dich. Du staunst. Es regt sich deine Tugend. Die holde Farbe keuscher Jugend deckt dein verschämtes Angesicht. Dein Blut wallt von vermischtem Triebe, der strenge Ruhm verwirft die Liebe, allein dein Herz verwirft sie nicht. Mein Kind, erheitre deine Blicke, ergib dich nur in dein Geschicke, dem nur die Liebe noch gefehlt. Was willst du dir dein Glück missgönnen? Du wirst dich doch nicht retten können. Wer zweifelt, der hat schon gewählt. Der schönsten Jahre erste Blüte belebt dein aufgeweckt Gemüte, darein kein schlaffer Kaltsinn schleicht. Der Augen Glut quillt aus dem Herzen, du wirst nicht immer fühllos scherzen. Wen alles liebt, der liebet leicht. Wie? Sollte dich die Liebe schrecken? Mit Scham mag sich das Laster decken, die Liebe war ihm nie verwandt. Sieh deine freudigen Gespielen! Du fühlest, was sie alle fühlen, dein Brand ist der Natur ihr Brand. Oh, könnte dich ein Schatten rühren der Wollust, die zwei Herzen spüren, die sich einander zugedacht! Du fordertest von dem Geschicke die langen Stunden selbst zurücke, die dein Herz müßig zugebracht. Wann eine Schöne sich ergeben für den, der für sie lebt, zu leben und ihr Verweigern wird zum Scherz; wann nach erkannter Treu des Hirten die Tugend selbst ihn kränzt mit Myrten und die Vernunft redt wie das Herz. Wann zärtlich Wehren, holdes Zwingen, verliebter Diebstahl, reizends Ringen mit Wollust beider Herz beräuscht; wann der verwirrte Blick der Schönen, ihr schwimmend Aug voll seichter Tränen, was sie verweigert, heimlich heischt. Wann sich — allein, mein Kind, ich schweige von dieser Lust, die ich dir zeige, ist, was ich sage, kaum ein Traum. Erwünschte Wehmut, sanft Entzücken: Was wagt der Mund euch auszudrücken? Das Herz begreift euch selber kaum. Du seufzest, Doris! wirst du blöde? O selig! flößte meine Rede dir den Geschmack des Liebens ein. Wie angenehm ist doch die Liebe? Erregt ihr Bild schon zarte Triebe, was wird das Urbild selber sein? Mein Kind, genieße deines Lebens, sei nicht so schön für dich vergebens, sei nicht so schön für uns zur Qual. Schilt nicht der Liebe Furcht und Kummer, des kalten Gleichsinns ekler Schlummer ist unvergnügter tausend Mal. Zu dem, was hast du zu befahren? Lass andre nur ein Herz bewahren, das, wer’s besessen, gleich verlässt. Du bleibst der Seelen ewig Meister, die Schönheit fesselt dir die Geister, und deine Tugend hält sie fest. Erwähle nur von unsrer Jugend, dein Reich ist ja das Reich der Tugend, doch, darf ich raten, wähle mich! Was hilft es, lang sein Herz verhehlen? Du kannst von hundert Edlern wählen, doch keinen, der dich liebt wie ich. Ein andrer wird mit Ahnen prahlen, der mit erkauftem Glanze strahlen, der malt sein Feuer künstlich ab. Ein jeder wird was anders preisen, ich aber habe nur zu weisen ein Herz, das mir der Himmel gab. Trau nicht, mein Kind jedwedem Freier, im Munde trägt er doppelt Feuer, ein halbes Herz in seiner Brust. Der liebt den Glanz, der dich umgibet, der liebt dich, weil dich alles liebet, und der liebt in dir seine Lust. Ich aber liebe, wie man liebte, eh sich der Mund zum Seufzen übte und Treu zu schwören ward zur Kunst. Mein Aug ist nur auf dich gekehret; von allem was man an dir ehret, begehr ich nichts als deine Gunst. Mein Feuer brennt nicht nur auf Blättern, ich suche nicht, dich zu vergöttern, die Menschheit ziert dich allzu sehr. Ein andrer kann gelehrter klagen, mein Mund weiß weniger zu sagen, allein mein Herz empfindet mehr. Wann ungeteilte Brunst im Herzen, wann lang geprüfte Treu in Schmerzen, wann wahre Ehrfurcht dir gefällt; wann für ein Herz dein Herz sich gibet: So bin ich schon der, der es liebet, und der glückseligste der Welt. Mein Kind! erkenne meine Flammen, dein holdes Aug, aus dem sie stammen, kennt sie aus langer Prüfung schon. Hab ich dir immer treu geschienen, so leide, dass ich dir darf dienen; ein einig Wort ist gnug zum Lohn. Was siehst du furchtsam hin und wieder und schlägst die holden Blicke nieder? Es ist kein fremder Zeuge nah: Mein Kind! kann ich dich nicht erweichen? Doch ja, dein Mund gibt zwar kein Zeichen, allein dein Seufzen sagt mir: Ja.
Text Authorship:
- by Albrecht von Haller (1708 - 1777) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Carl Philipp Emanuel Bach (1714 - 1788), "Doris", Wq 199 no. 19 (1762-1774) [ voice and piano or harpsichord or organ ], from Oden mit Melodien, no. 19 [sung text checked 1 time]
- by Josef Antonín Štěpán (1726 - 1797), "Doris", published 1778-1779 [sung text not yet checked]
Settings in other languages, adaptations, or excerpts:
- Also set in German (Deutsch), adapted by Heinrich (Hans) Wilhelm von Gerstenberg (1737 - 1823) [an adaptation] ; composed by Carl Philipp Emanuel Bach.
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
This text was added to the website: 2008-06-21
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