Ich will spiegeln mich in jenen Tagen, Die wie Lindewipfelwehn entflohn, Wo die Silbersaite, angeschlagen, Klar, doch bebend gab den ersten Ton, Der mein Leben lang, Erst heut noch, widerklang, Ob die Saite längst zerrissen schon; Wo ich ohne Tugend, ohne Sünde, Blank wie Schnee vor dieser Sonne lag, Wo dem Kindesauge noch die Binde Lind verbarg den blendend hellen Tag: Du entschwundene Welt Klingst über Wald und Feld Hinter mir wie ferner Wachtelschlag. Wie so fabelhaft ist hingegangen Jener Zeit bescheidne Frühlingspracht, Wo, von Mutterliebe noch umfangen, Schon die Jugendliebe leis erwacht Wie, von Sonnenschein Durchspielt, ein Edelstein, Den ein Glücklicher ans Licht gebracht. Wenn ich scheidend einst muß überspringen Jene Kluft, die keine Brücke trägt, Wird mir nicht ein Lied entgegenklingen, Das bekannt und ahnend mich erregt? O die Welt ist weit! Ob nicht die Jugendzeit Irgendwo noch an das Herz mir schlägt? Träumerei! was sollten jene hoffen, Die nie sahn der Jugend Lieblichkeit, Die ein unnatürlich Los getroffen, Frucht zu bringen ohne Blütenzeit! Ach, was man nicht kennt, Danach das Herz nicht brennt Und bleibt kalt dafür in Ewigkeit! In den Waldeskronen meines Lebens Atme fort, du kühles Morgenwehn! Heiter leuchte, Frühstern guten Strebens, Laß mich treu in deinem Scheine gehn! Rankend Immergrün Soll meinen Stab umblühn, Nur noch einmal will ich rückwärts sehn!
Neun Lieder und Gesänge nach Gedichten von Gottfried Keller , opus 59
by Hermann Reutter (1900 - 1985)
1. Jugendgedenken  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Text Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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- ENG English (Emily Ezust) , "Thoughts of youth", copyright ©
2. Das Gärtlein dicht verschlossen  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Das Gärtlein dicht verschlossen Hältst wohl du, frommes Kind, Da diese Heckensprossen So eng verwachsen sind? Doch blüht die Unschuld immer Darin, soviel ich seh'; Sonst war es Lilienschimmer, Nun ist es weisser Schnee! Als hätt' der gnadenreichen Maria reinste Hand Im Sonnenschein zum Bleichen Ihr Hemdlein ausgespannt.
Text Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Das Gärtlein dicht verschlossen", appears in Neuere Gedichte, in Vermischte Gedichte, in Alte Weisen, no. 10
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- ENG English (John Glenn Paton) , "You really keep the garden", copyright © 2007, (re)printed on this website with kind permission
3. Die kleine Passion
Language: German (Deutsch)
Der sonnige Duft, Septemberluft, sie wehten ein Mücklein mir aufs Buch, das suchte sich die Ruhegruft und fern vom Wald sein Leichentuch. Vier Flügelein von Seiden fein trug's auf dem Rücken zart, drin man im Regenbogenschein spielendes Licht gewahrt! Hellgrün das schlanke Leibchen war, hellgrün der Füßchen dreifach Paar, und auf dem Köpfchen wundersam saß ein Federbüschchen stramm; die Äuglein wie ein goldnes Erz glänzten mir in das tiefste Herz. Dies zierliche und manierliche Wesen hatt' sich zu Gruft und Leichentuch dies glänzende Papier erlesen, darin ich las, ein dichterliches Buch; so ließ den Band ich aufgeschlagen und sah erstaunt dem Sterben zu, wie langsam, langsam ohne Klagen das Tierlein kam zu seiner Ruh. Drei Tage ging es müd und matt umher auf dem Papiere; die Flügelein von Seide fein, sie glänzten alle viere. Am vierten Tage stand es still gerade auf dem Wörtlein "will." Gar tapfer stand's auf selbem Raum, hob je ein Füßchen wie im Traum; Am fünften Tage legt' es sich, doch noch am sechsten regt' es sich; am siebten endlich siegt' der Tod, da war zu Ende seine Not. Nun ruht im Buch sein leicht Gebein, mög uns sein Frieden eigen sein!
Text Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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- ENG English (John Glenn Paton) , "The Little Passion Story", copyright © 2007, (re)printed on this website with kind permission
4. Tod und Dichter  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Tod: Deiner bunten Blasen Kinderfreude hängt und bricht an meiner Sensenschneide, wirf zur Seite nunmehr Rohr und Schaum, mache dich auf, aus ist der Traum! Dichter: Halte weg die Sense! Lasse steigen meiner Irisbälle bunten Tanz! Tod: Schon an meinem Schädel platzt der Reigen, und ein Ende nimmt der Firlefanz! Dichter: Laß! Ich will dich auf das Beste preisen, Trost und Labsal alles Menschentumes! Tod: Nicht bedarf ich Schrecklicher des Ruhmes; spare deine falschen Schmeichelweisen. Dichter: Weh', noch schuld' ich manche schöne Pflichten! Tod: Reif genug schon bist du den Gerichten! Dichter: Doch die lieblichste der Dichtersünden, laß nicht büßen mich, der sie gepflegt: Süße Frauenbilder zu erfinden, wie die bittre Erde sie nicht hegt! Tod: Warum hast du solchen Spaß getrieben, Schemen zu ersinnen und zu lieben? Dichter: Sind sie nicht auf diesem kleinen Sterne, blühn sie doch wo in der Weltenferne, Blut von meinem Blute; zu verderben bin ich nicht, eh' jene sterben! Tod: Ei, da fahr' ich hin, sie wegzumähen, und sie müssen gleich mit dir vergehen! Dichter: Hui! da fährt er hin ins Unermess'ne, und ich bin der glückliche Vergess'ne, spiele weiter in des Lebens Fluten, bis er findet jene schönen Guten!
5. Ich fürcht' nit Gespenster  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Ich fürcht nit Gespenster, Keine Hexen und Feen, Und lieb's, in ihre tiefen Glühaugen zu sehn. Im Wald in dem grünen Unheimlichen See, Da wohnet ein Nachtweib, Das ist weiß wie der Schnee. Es haßt meiner Schönheit Unschuldige Zier; Wenn ich spät noch vorbeigeh, So zankt es mit mir. Jüngst, als ich im Mondschein Am Waldwasser stand, Fuhr sie auf ohne Schleier, Ohne alles Gewand. Es schwammen ihre Glieder In der taghellen Nacht; Der Himmel war trunken Von der höllischen Pracht. Aber ich hab entblößt Meine lebendige Brust; Da hat sie mit Schande Versinken gemußt!
Text Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Ich fürcht nit Gespenster", appears in Neuere Gedichte, in Vermischte Gedichte, in Alte Weisen, no. 4
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- ENG English (Emily Ezust) , "I fear no ghosts", copyright ©
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Je ne crains pas les fantômes", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
6. Winternacht  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt, Still und blendend lag der weiße Schnee. Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt, Keine Welle schlug im starren See. Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf, Bis sein Wipfel in dem Eis gefror; An den Ästen klomm die Nix' herauf, Schaute durch das grüne Eis empor. Auf dem dünnen Glase stand ich da, Das die schwarze Tiefe vor mir schied; Dicht ich unter meinen Füßen sah Ihre weiße Schönheit, Glied um Glied. Mit ersticktem Jammer tastet' sie An der harten Decke her und hin, Ich vergeß' das dunkle Antlitz nie, Immer, immer liegt es mir im Sinn.
Text Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Winternacht", appears in Neuere Gedichte, in Jahreszeiten
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Emily Ezust) , "Winter night", copyright ©
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "On n'entend pas un chant d'oiseau au monde", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
7. Winterabend
Language: German (Deutsch)
Schneebleich lag eine Leiche und es trank bei ihr der Totenwächter unverdrossen, bis endlich ihm der Himmel aufgeschlossen und er berauscht zu ihr aufs Lager sank. Von rotem Wein den Becher voll und blank bot er dem Toten; bald war übergossen das Grabgesicht und purpurn überflossen das Leichenhemd; so trieb er tollen Schwank. Die trunken rote Sonne übergießt im Sinken dieses schneeverhüllte Land, das Rosenschein von allen Hügeln fließt. Von Purpur trieft der Erde Grabgewand, doch die verblasste Leichenlippe tut erstarrt sich nimmer auf der roten Flut.
8. Alle meine Weisheit  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Alle meine Weisheit hing in meinen Haaren, Und all mein Wissen lag auf meinem roten Mund; Alle meine Macht saß auf dem wasserklaren, Ach, auf meiner Augen blauem, blauem Grund! Hundert Schüler hingen an meinem weisen Munde Und ließen sich von meinen klugen Locken fahn, Hundert Knechte spähten nach meiner Augen Grunde Und waren ihren Winken und Blinken untertan. Nun hängt totenstill das Haar mir armen Weibe, Wie auf dem Meer ein Segel, wenn keine Luft sich regt, Und einsam pocht mein Herz in dem verlass'nen Leibe, Wie eine Kukuksuhr in leerer Kammer schlägt!
Text Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Alle meine Weisheit", appears in Neuere Gedichte, in Vermischte Gedichte, in Alte Weisen, no. 12
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9. Sonnenaufgang  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Fahre herauf, du krystallener Wagen, Klingender Morgen, so frisch und so klar! Seidene Wimpel, vom Oste getragen, Flattre, du rosige Wölkleinschar! Siehe die Meere, sie wogen und branden, Aber still das Gebirge steht, Tau ist gesprengt auf den funkelnden Landen, Weihbrunn zum heiligen Sonnengebet. Tausendfach wollen die Blumen entriegeln Aus ihrer Brust den gefangenen Gott; Doch die vergoldeten Kreuze bespiegeln Sich auf den Domen mit gleißendem Spott. Singen nicht Lerchen dort hoch in den Lüften, Schwenkend in freiem und fröhlichem Zug? Nein, aber aufwärtsgeschwungen aus Klüften, Sonnt sich ein kreischender Rabenflug. Springt nicht ein Fischlein aus silberner Welle, Das sich am lieblichen Lichte erfreut? Ja, 's ist der Hecht, der bewehrte Geselle, Der den alltäglichen Raub erneut. Fahre hinüber auf drehenden Speichen, Schimmernder Morgen, noch ist es nicht Zeit; Rosige Wimpel, auch ihr mögt erbleichen -- Weh mir, schon weht ihr so blaß und so weit! Fahr'! Ein Josua träumet auf Erden, Dem es schon ahnend in Ohren erklingt; Aufspringt er einst, in die Zügel den Pferden, Welche zum Steh'n der Gewaltige zwingt!