Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann, alles ist austragen - und dann gebären... Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch! Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos, still und weit... Man muss Geduld haben Mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.
Auf der Welt allein
Song Cycle by Julia Schwartz (b. 1963)
1. Über die Geduld  [sung text not yet checked]
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Über die Geduld", appears in Briefe an einen jungen Dichter
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Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]2. Spanische Tänzerin  [sung text not yet checked]
Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß, eh es zur Klamme kommt, nach allen Seiten zuckende Zungen streckt—: beginnt im Kreis naher Beschauer hastig, hell und heiß ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten. Und plötzlich ist er Flamme ganz und gar. Mit ihrem Blick entzündet sie ihr Haar und dreht auf einmal mit gewagter Kunst ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst, aus welcher sich, wie Schlangen, die erschrecken, die nackten Arme wach und klappernd strecken. Und dann: als würde ihr das Feuer knapp, nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde und schaut: da liegt es rasend auf der Erde und flammt noch immer und ergibt sich nicht—. Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Spanische Tänzerin", appears in Neue Gedichte
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Leipzig: Insel-Verlag, 1920
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
3. Todes‑Erfahrung  [sung text not yet checked]
Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund, Bewunderung und Liebe oder Haß dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund tragischer Klage wunderlich entstellt. Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen. Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen, spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt. Doch als du gingst, da brach in diese Bühne ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt, durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne, wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald. Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes hersagend und Gebärden dann und wann aufhebend; aber dein von uns entferntes, aus unserm Stück entrücktes Dasein kann uns manchmal überkommen, wie ein Wissen von jener Wirklichkeit sich niedersenkend, so daß wir eine Weile hingerissen das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Todeserfahrung", appears in Neue Gedichte
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Leipzig: Insel-Verlag, 1920
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
4. Auf der Welt allein  [sung text not yet checked]
Ich bin auf der Welt zu allein und doch nicht allein genug, um jede Stunde zu weihn. Ich bin auf der Welt zu gering und doch nicht klein genug, um vor dir zu sein wie ein Ding, dunkel und klug. Ich will meinen Willen und will meinen Willen begleiten die Wege zur Tat; und will in stillen, irgendwie zögernden Zeiten, wenn etwas naht, unter den Wissenden sein oder allein. Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt, und will niemals blind sein oder zu alt um dein schweres schwankendes Bild zu halten. Ich will mich entfalten. Nirgends will ich gebogen bleiben, denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin. Und ich will meinen Sinn wahr vor dir. Ich will mich beschreiben wie ein Bild das ich sah, lange und nah, wie ein Wort, das ich begriff, wie meinen täglichen Krug, wie meiner Mutter Gesicht, wie ein Schiff, das mich trug durch den tödlichsten Sturm.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Auf der Welt allein", written 1899, appears in Das Stundenbuch, in 1. Das Buch vom mönchischen Leben , no. 13, first published 1905
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Werke, kommentierte Ausgabe in vier Bänden, Band 1 Gedichte 1895 bis 1910, herausgegeben von Manfred Engel und Ulrich Fülleborn, Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag, 1996, pages 162-163.
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