Wie schlafend unterm Flügel ein Pfau den Schnabel hält, Von luft'gen Vogelträumen die blaue Brust geschwellt, Geduckt auf einem Fuße, dann plötzlich oft einmal, Im Traume phantasierend, das Funkelrad er stellt: So hing betäubt und trunken, ausreckend Berg und Tal, Der große Wundervogel in tiefem Schlaf, die Welt; So schwoll der blaue Himmel von Träumen ohne Zahl, Mit leisem Knistern schlug er ein Rad, das Sternenzelt.
Unter Sternen: Lieder und Gesänge nach Gedichten von Gottfried Keller
by Othmar Schoeck (1886 - 1957)
1. Trost der Kreatur  [sung text checked 1 time]
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Neuere Gedichte, in Gaselen, no. 3
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- FRE French (Français) (Stéphane Goldet) (Pierre de Rosamel) , "Réconfort de la créature", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Gottfried Keller, Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin, 1958-1961, pages 217-218.
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2. Sonnenuntergang  [sung text checked 1 time]
In Gold und Purpur tief verhüllt, willst du mit deiner Leuchte scheiden, und ich, noch ganz von dir erfüllt, soll, Sonne, dich nun plötzlich meiden? Du hast mein Herz mit Lust entzündet, du allerschönste Königin, wenn mir dein Strahlenantlitz schwindet, ist nicht das Leben tot und hin? O reiche mir noch einen Strahl des Lichtes, daß er auf mich falle und ich aus diesem Dämmertal an deiner Hand hinüberwalle! Laß mich an deinem Hofe weilen, als lichte leichte Wolke nur, vor deinem Zuge kündend eilen als deines Glanzes schwächste Spur! Sie geht, ich wende bang mich ab, es dünkt die Welt mich eine Kohle; was jüngst nur Klarheit wiedergab, stäubt, Asche, unter meiner Sohle. - Doch schau, wie ich gen Osten kehre, taucht mir ein neues Wunder auf: Im rosig milden Nebelmeere beginnt der Silbermond den Lauf! Der nach verlornen Strahlen jagt, ist er der Sonne Ährenleser? ist er, bis sie im Osten tagt, der goldnen Herrin Reichsverweser? Ach, unsrer armen Mutter Erde ist er ja nur ein Lehenmann; und seht mit glänzender Gebärde tut er die Lehnspflicht, wie er kann! Er trägt das Licht durch Nacht und Grau'n getreu auf sanft erhellten Wegen, bis wir den Morgen wieder schaun und frisch die Erde taut im Segen. Die Liebe wird den Ruhm nicht mindern, wenn Kleine mit den Kleinern gehn: Die Sonne selbst samt ihren Kindern muß sich um größre Sterne drehn.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Sonnenuntergang", appears in Gesammelte Gedichte, in Buch der Natur
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Researcher for this page: Caroline Diehl3. Siehst du den Stern  [sung text checked 1 time]
Siehst du den Stern im fernsten Blau, Der [zitternd]1 fast erbleicht? Sein Licht braucht eine Ewigkeit, Bis es dein Aug' erreicht! Vielleicht vor tausend Jahren schon Zu Asche stob der Stern, Und doch [sehn seinen lieblichen Schein Wir dort noch]2 still und fern. Dem Wesen solchen Scheines gleicht, Der ist und doch nicht ist, O Lieb', dein anmutvolles Sein, Wenn du gestorben bist!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Neuere Gedichte, in Aus der Brieftasche, no. 4
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- ENG English (John Glenn Paton) , copyright © 2018, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Stéphane Goldet) (Pierre de Rosamel) , "Vois-tu l'étoile", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Sämtliche Werke von Gottfried Keller: Romane + Erzählungen + Gedichte + Essays + Tagebücher + Briefe, Musaica Books, 2017.
1 Hausegger, Schoeck: "flimmernd"; Sinding: "schimmernd"2 Hausegger, Schoeck, Sinding: "steht dort sein milder Schein/ Noch immer"
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4. Stille der Nacht  [sung text checked 1 time]
Willkommen, klare Sommernacht, die auf betauten Fluren liegt! Gegrüßt mir, goldne Sternenpracht, die spielend sich im Weltraum wiegt! Das Urgebirge um mich her ist schweigend, wie mein Nachtgebet; weit hinter ihm hör' ich das Meer im Geist und wie die Brandung geht. Ich höre einen Flötenton, den mir die Luft von Westen bringt indes herauf im Osten schon des Tages leise Ahnung dringt. Ich sinne, wo in weiter Welt jetzt sterben mag ein Menschenkind - und ob vielleicht den Einzug hält das viel ersehnte Heldenkind. Doch wie im dunklen Erdental ein unergründlich Schweigen ruht, ich fühle mich so leicht zumal und wie die Welt so still und gut. Der letzte leise Schmerz und Spott verschwindet aus des Herzens Grund; es ist, als tät' der alte Gott mir endlich seinen Namen kund.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), appears in Natur, in Nacht, no. 5
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- FRE French (Français) (Stéphane Goldet) (Pierre de Rosamel) , "Nuit du silence", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
5. Unter Sternen  [sung text checked 1 time]
Wende dich, du kleiner Stern, Erde! wo ich lebe, daß mein Aug', der Sonne fern, sternenwärts sich hebe! Heilig ist die Sternenzeit, öffnet alle Grüfte; strahlende Unsterblichkeit wandelt durch die Lüfte. Mag die Sonne nun bislang andern Zonen scheinen, hier fühl' ich Zusammenhang mit dem All' und Einen! Hohe Lust, im dunklen Tal, selber ungesehen, durch den majestät'schen Saal atmend mitzugehen! Schwinge dich, o grünes Rund, in die Morgenröte! Scheidend rückwärts singt mein Mund jubelnde Gebete!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Natur, in Nacht, no. 6
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Researcher for this page: Caroline Diehl6. Abendlied an die Natur  [sung text checked 1 time]
Hüll' ein mich in die grünen Decken, Mit deinem Säuseln [sing']1 mich ein, Bei guter Zeit magst du mich wecken Mit deines Tages jungem Schein! Ich hab' mich müd' in dir ergangen, Mein Aug' ist matt von deiner Pracht; Nun ist mein einziges Verlangen, Im Traum zu ruh'n, in deiner Nacht. Des [Kinderauges]2 freudig Leuchten Schon fingest du mit Blumen ein, Und wollte junger Gram es feuchten, Du scheuchtest ihn mit buntem Schein. Ob wildes Hassen, maßlos Lieben Mich zeither auch gefangen nahm: Doch immer bin ich Kind geblieben, Wenn ich zu dir in's Freie kam! Geliebte, die mit ew'ger Treue Und ew'ger Jugend mich erquickt, Du einz'ge Lust, die ohne Reue Und ohne Nachweh mich entzückt - Sollt' ich dir jemals untreu werden, Dich kalt vergessen, ohne Dank, Dann ist mein Fall genaht auf Erden, Mein Herz verdorben oder krank! O steh' mir immerdar im Rücken, [Lieg']3 ich im Feld mit meiner Zeit! Mit deinen warmen Mutterblicken Ruh' auf mir auch im schärfsten Streit! Und sollte mich [das Ende]4 finden, Schnell decke mich mit Rasen zu; O selig Sterben und Verschwinden [In deiner stillen Herbergsruh!]5
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Abendlied an die Natur", written 1846, appears in Natur
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- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , copyright © 2015, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Paul Hindemith) , "Nocturne to Nature", copyright © 2002, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , copyright © 2021, (re)printed on this website with kind permission
1 Keller's 1846 version and Baumgartner: "lull'"
2 Keller's 1846 version: "Kindesauges"
3 Keller's 1846 version: "Bin"
4 Keller's 1846 version and Baumgartner: "mein Stündlein"
5 Keller's 1846 version and Baumgartner: "Zu neuen Kampf nach kurzer Ruh'!"
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7. Unruhe der Nacht  [sung text checked 1 time]
Nun bin ich untreu worden der Sonn' und ihrem Schein; die Nacht, die Nacht soll Dame nun meines Herzen sein! Sie ist von düstrer Schönheit, hat bleiches Nornengesicht, und eine Sternenkrone ihr dunkles Haupt umflicht. Heut ist sie so beklommen, unruhig und voller Pein; sie denkt wohl an ihre Jugend - das muß ein Gedächtnis sein! Es weht durch alle Täler ein Stöhnen, so klagend und bang; wie Tränenbäche fließen die Quellen vom Bergeshang. Die schwarzen Fichten sausen und wiegen sich her und hin, und über die wilde Heide verlorene Lichter fliehn. Dem Himmel bringt ein Ständchen das dumpf aufrauschende Meer, und über mir zieht ein Gewitter mit klingendem Spiele daher. Es will vielleicht betäuben die Nacht den uralten Schmerz? Und an noch ältere Sünden denkt wohl ihr reuiges Herz? Ich möchte mit ihr plaudern, wie man mit dem Liebchen spricht - umsonst, in ihrem Grame sie sieht und hört mich nicht! Ich möchte sie gerne befragen und werde doch immer gestört, ob sie vor meiner Geburt schon wo meinen Namen gehört? Sie ist eine alte Sibylle und kennt sich selber kaum; sie und der Tod und wir alle sind Träume von einem Traum. Ich will mich schlafen legen, der Morgenwind schon zieht - ihr Trauerweiden am Kirchhof, stimmt mir mein Schlummerlied!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Natur, in Nacht, no. 1
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Anxiété nocturne", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
8. Waldlied I  [sung text checked 1 time]
Arm in Arm und Kron' an Krone steht der Eichenwald verschlungen, heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen; Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen, und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen; kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen, hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen. Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften, und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften. Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine, donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine! Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen; alles Laub war weißlich schimmernd nach Nordosten hingestrichen. Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise, unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise. In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder, in den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder. Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken, kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Natur, in Sommer, no. 3
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- ENG English (Emily Ezust) , "Song of the woods", copyright ©
9. Waldlied II  [sung text checked 1 time]
Aber auch den Föhrenwald lass' ich mir nicht schelten, wenn mein Jauchzen widerhallt, in dem sonnerhellten! Heiter ist's und aufgeräumt und das Wehn der Föhren, wenn die Luft in ihnen träumt, angenehm zu hören! Lieg' ich so im Farrenkraut, schwindet jede Grille, und es wird das Herz mir laut in der Föhrenstille.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Natur, in Sommer, no. 4
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Researcher for this page: Caroline Diehl10. Stilleben  [sung text checked 1 time]
Durch Bäume dringt ein leiser Ton, die Fluten hört man rauschen schon, da zieht er her die breite Bahn, ein altes Städtlein hängt daran. Mit Türmen, Linden, Burg und Tor, mit Rathaus, Markt und Kirchenchor; so schwimmt denn auf dem grünen Rhein der goldne Nachmittag herein. Im Erkerhäuschen der Dechant sieht man, den Römer in der Hand. Und über ihm sehr stille steht das Fähnlein, da kein Lüftchen geht. Wie still! nur auf der Klosterau keift fernhin eine alte Frau; im kühlen Schatten neben dran dumpf donnert's auf der Kegelbahn.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Stilleben", appears in Gesammelte Gedichte, in Rhein- und Nachbarlieder, in Rheinbilder, no. 2
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Researcher for this page: Caroline Diehl11. Das Tal  [sung text checked 1 time]
Mit dem grauen Felsensaal und der Handvoll Eichen kann das ruhevolle Tal hundert andern gleichen. Kommt der Strom mit seinem Ruhm und den stolzen Wogen durch das stille Heiligtum prächtig hergezogen. Und auf einmal lacht es jetzt hell im klarsten Scheine und dies Liederschwälbchen netzt seine Brust im Rheine!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Das Tal", appears in Gesammelte Gedichte, in Rhein- und Nachbarlieder, in Rheinbilder, no. 1
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Researcher for this page: Caroline Diehl12. Abendlied  [sung text checked 1 time]
Augen, meine lieben Fensterlein, Gebt mir schon so lange [holden]1 Schein, Lasset freundlich Bild um Bild herein: Einmal werdet ihr verdunkelt sein! Fallen einst die müden Lider zu, Löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh'; Tastend streift sie ab die Wanderschuh', Legt sich auch in ihre finstre Truh'. [Noch]2 zwei Fünklein sieht sie glimmend stehn Wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn, Bis sie schwanken [und dann auch vergehn]3 Wie von eines Falters Flügelwehn. Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld, Nur dem sinkenden Gestirn gesellt: Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, Von dem goldnen Überfluß der Welt!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Abendlied"
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- ENG English (Emily Ezust) , "Evening song", copyright ©
- FRE French (Français) (Guy Laffaille) , "Chant du soir", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Gesammelte Gedichte von Gottfried Keller, Erster Band, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin, 1902, page 43.
1 Thuille: "hellen"2 Thuille: "Nur"
3 Marx: "und vergehn"
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13. Wir wähnten lange recht zu leben  [sung text checked 1 time]
Wir wähnten lange recht zu leben, doch fingen wir es töricht an; die Tage ließen wir entschweben und dachten nicht ans End' der Bahn! Nun haben wir das Blatt gewendet und frisch dem Tod ins Aug' geschaut; kein ungewisses Ziel mehr blendet, doch grüner scheint uns Busch und Kraut! Und wärmer wird's in unsern Herzen, es zeugt's der froh gewordne Mund; doch unsern Liedern, unsern Scherzen liegt auch des Scheidens Ernst zu Grund!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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Researcher for this page: Caroline Diehl14. Flack're, ew'ges Licht im Tal  [sung text checked 1 time]
Flackre, ew'ges Licht im Tal, friedlich vor dem Fronaltare; auch dein Küster liegt einmal, der das Öl hat, auf der Bahre! Rausche fort, du tiefer Fluß! Dein Gesang wird fortbestehen: aber jede Welle muß endlich doch im Meer vergehen. Nachtviolen, süß und stark, duftet ihr durch diese Lauben, und ihr wißt das feinste Mark, Luft und Erde schnell zu rauben. Von der warmen Nacht geküßt, säumt ihr nicht, es auszuhauchen, eh ihr selber wieder müßt eure Köpflein untertauchen. Aus des Äthers dunklem Raum perlen leuchtend goldne Sonnen, kommen, schwinden wie ein Traum doch gefüllt bleibt stets der Bronnen. Und nur du, mein armes Herz, du allein willst ewig schlagen, deine Lust und deinen Schmerz endlos durch die Himmel tragen? Ewig neu der Wirbel ist, zahllos aller Dinge Menge, und es bleibt uns keine Frist, zu beharren im Gedränge. Wie der Staub im Sonnenstrahle wallt's vorüber, Kern und Schale. Ewig ist, begreifst es du, sehnend Herz, nur deine Ruh!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]15. Die Zeit geht nicht  [sung text checked 1 time]
Die Zeit geht nicht, sie stehet still, wir ziehen durch sie hin; sie ist ein' Karawanserei, wir sind die Pilger drin. Ein Etwas, form- und farbenlos, das nur Gestalt gewinnt, wo ihr drin auf und nieder taucht, bis wieder ihr zerrinnt. Es blitzt ein Tropfen Morgentau im Strahl des Sonnenlichts; ein Tag kann eine Perle sein und ein Jahrhundert nichts. Es ist ein weißes Pergament die Zeit, und jeder schreibt mit seinem roten Blut darauf, bis ihn der Strom vertreibt. An dich, du wunderbare Welt, du Schönheit ohne End', auch ich schreib' meinen Liebesbrief auf dieses Pergament. Froh bin ich, daß ich aufgeblüht in deinem runden Kranz; zum Dank trüb' ich die Quelle nicht und lobe deinen Glanz.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Le temps ne passe pas, il reste immobile", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
16. Trübes Wetter  [sung text checked 1 time]
Es ist ein stiller Regentag, so weich, so ernst und doch so klar, wo durch den Dämmer brechen mag die Sonne weiß und sonderbar. Ein wunderliches Zwielicht spielt beschaulich über Berg und Tal; Natur halb warm und halb verkühlt, sie lächelt noch und weint zumal. Die Hoffnung, das Verlorensein sind gleicher Stärke in mir wach; die Lebenslust, die Todespein, sie ziehn auf meinem Herzen Schach. Ich aber, mein bewußtes Ich, beschau' das Spiel in stiller Ruh' und meine Seele rüstet sich zum Kampfe mit dem Schicksal zu.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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Researcher for this page: Caroline Diehl17. Frühgesicht (aus den Rheinbildern)  [sung text checked 1 time]
Es donnert über der Pfaffengass des weiland heilgen römischen Reiches wie Gottes Heerschild jähen Streiches; der Morgen dämmert rosig blass. Und wie der Schlag weithin verhallt, wogt eine graue Nebelmasse, als zög ein Heervolk seine Straße, das auf den Wassern endlos wallt. Im Zwielicht raget Dom an Dom, an allen Fenstern lauscht's verstohlen; doch auf gedankenleichten Sohlen vorüber eilt der Schattenstrom. Das rauscht und tauschet Hand und Kuss, der Sturmhauch rührt verjährte Fahnen wie neues Hoffen, altes Mahnen, erschauernd wie ein Geistergruß. Was brav und mannhaft ist, vereint zieht es, den letzten Streit zu schlagen; er klirrt zu Fuß, zu Ross und Wagen, zum Freunde wird der alte Feind, und neben Siegfried reitet Hagen.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "Frühgesicht", appears in Gesammelte Gedichte, in Rhein- und Nachbarlieder, in Rheinbilder, no. 3
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Researcher for this page: John Versmoren18. Frühlingsglaube  [sung text checked 1 time]
Es wandert eine schöne Sage wie Veilchenduft auf Erden um, wie sehnend eine Liebesklage, geht sie bei Tag und Nacht herum. Das ist das Lied vom Völkerfrieden und von der Menschheit letztem Glück, von goldner Zeit, die einst hienieden, der Traum als Wahrheit, kehrt zurück. Wo einig alle Völker beten zum einen König, Gott und Hirt; von jenem Tag, wo den Propheten ihr leuchtend Recht gesprochen wird. Dann wird's nur eine Schmach noch geben nur eine Sünde in der Welt: Des Eigen-Neides Widerstreben, der es für Traum und Wahnsinn hält. Wer jene Hoffnung gab verloren und böslich sie verloren gab, der wäre besser ungeboren: Denn lebend wohnt er schon im Grab. Das ist das Lied vom Völkerfrieden und von der Menschheit letztem Glück.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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Researcher for this page: Caroline Diehl19. In der Trauer  [sung text checked 1 time]
Ein Meister bin ich worden zu weben Gram und Leid; ich webe Tag und Nächte am schweren Trauerkleid. Ich schlepp' es auf der Straße mühselig und bestaubt; ich trag von spitzen Dornen ein Kränzlein auf dem Haupt. Die Sonne steht am Himmel, Sie sieht es und sie lacht: Was geht da für ein Zwerglein in einer Königstracht? Ich lege Kron' und Mantel beschämt am Wege hin und muß nun ohne Trauer und ohne Freuden ziehn!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Gesammelte Gedichte, in Vermischte Gedichte, in Aus einem Romane, in 2. In der Trauer, no. 3
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- ENG English (Bertram Kottmann) , "In mourning", copyright © 2005, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Je suis devenu un maître", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
20. Den Zweifellosen I  [sung text checked 1 time]
Wer ohne Leid, der ist auch ohne Liebe, wer ohne Reu', der ist auch ohne Treu', und dem wird nur die Sonne wolkenfrei, der aus dem Dunkel ringt mit heißem Triebe. Bei euch ist nichts, als lärmendes Geschiebe, in wildem Tummel trollt ihr euch herbei, meßt aus und schließt den Zirkel sonder Scheu, als ob zu hoffen kein Kolumb mehr bliebe! Euch ist der eigne Leichnam noch nicht klar, ihr kennet nicht den Wurm zu euren Füßen, des Halmes Leben nicht auf eurem Grab; und dennoch kränzt ihr schon mit Stroh das Haar, als Eintagsgötter stolz euch zu gegrüßen - der Zweifel fehlt, der alte Wanderstab.
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Gesammelte Gedichte, in Sonette, in Den Zweifellosen, no. 1
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Researcher for this page: Caroline Diehl21. Den Zweifellosen II  [sung text checked 1 time]
Es ist nicht Selbstsucht und nicht Eitelkeit, was sehnend mir das Herz grabüber trägt; was mir die kühngeschwungne Brücke schlägt, ist wohl der Stolz, der mich vom Staub befreit. Sie ist so eng, die grüne Erdenzeit, unendlich aber, was den Geist bewegt! Wie wenig ist's was ihr im Busen hegt, da ihr so satt hier, so vergnüglich seid! Und wenn auch einst die Freiheit ist errungen, die Menschheit hoch wie eine Rose glüht, ihr tiefster Kelch vom Sonnenlicht durchdrungen: Das Sehnen bleibt, das uns hinüberzieht, das Nachtigallenlied ist nicht verklungen, bei dessen Ton die Knospen sind erblüht!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Gesammelte Gedichte, in Sonette, in Den Zweifellosen, no. 2
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Researcher for this page: Caroline Diehl22. Tod und Dichter  [sung text checked 1 time]
Tod: Deiner bunten Blasen Kinderfreude hängt und bricht an meiner Sensenschneide, wirf zur Seite nunmehr Rohr und Schaum, mache dich auf, aus ist der Traum! Dichter: Halte weg die Sense! Lasse steigen meiner Irisbälle bunten Tanz! Tod: Schon an meinem Schädel platzt der Reigen, und ein Ende nimmt der Firlefanz! Dichter: Laß! Ich will dich auf das Beste preisen, Trost und Labsal alles Menschentumes! Tod: Nicht bedarf ich Schrecklicher des Ruhmes; spare deine falschen Schmeichelweisen. Dichter: Weh', noch schuld' ich manche schöne Pflichten! Tod: Reif genug schon bist du den Gerichten! Dichter: Doch die lieblichste der Dichtersünden, laß nicht büßen mich, der sie gepflegt: Süße Frauenbilder zu erfinden, wie die bittre Erde sie nicht hegt! Tod: Warum hast du solchen Spaß getrieben, Schemen zu ersinnen und zu lieben? Dichter: Sind sie nicht auf diesem kleinen Sterne, blühn sie doch wo in der Weltenferne, Blut von meinem Blute; zu verderben bin ich nicht, eh' jene sterben! Tod: Ei, da fahr' ich hin, sie wegzumähen, und sie müssen gleich mit dir vergehen! Dichter: Hui! da fährt er hin ins Unermess'ne, und ich bin der glückliche Vergess'ne, spiele weiter in des Lebens Fluten, bis er findet jene schönen Guten!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890)
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Researcher for this page: Caroline Diehl23. An das Herz  [sung text checked 1 time]
Willst du nicht dich schließen, Herz, du off'nes Haus, worin Freund' und Feinde gehen ein und aus? Schau, wie sie verletzen dir das Hausrecht stets! Fühllos auf und nieder, polternd, lärmend geht's. Keiner putzt die Schuhe, keiner sieht sich um, staubig brechen alle dir ins Heiligtum; trinken aus den goldnen Kelchen des Altars, schänden Müh' und Segen dir des ganzen Jahrs; werfen die Penaten wild vom Herde dir, pflanzen drauf mit Prahlen ihr entfärbt Panier. Und wenn zu verwüsten nichts sie finden mehr, lassen sie im Scheiden dich, mein Herz, so leer! Nein! und wenn nun alles still und tot in dir, o, noch halt dich offen, offen für und für! Laß die Sonne scheinen heiß in dich herein, Stürme dich durchfahren und den Wetterschein! Wenn durch deine Kammern so die Windsbraut zieht, laß dein Glöcklein stürmen, schallen Lied um Lied! Denn noch kann's geschehen, daß auf irrer Flucht eine treue Seele bei dir Obdach sucht!
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- by Gottfried Keller (1819 - 1890), "An das Herz", appears in Neuere Gedichte, in Vermischte Gedichte
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Researcher for this page: Caroline Diehl24. Ein Tagewerk I  [sung text checked 1 time]
Vom Lager stand ich mit dem Frühlicht auf Und nahm hinaus ins Freie meinen Lauf, Wo duftiggrau die Morgendämmrung lag, Umflorend noch den rosenroten Tag; Mich einmal satt zu gehn in Busch und Feldern Vom Morgen früh bis in die späte Nacht, Und auch ein Lied zu holen in den Wäldern, Hatt ich zum festen Vorsatz mir gemacht. Rein war der Himmel, bald zum Tag erhellt, Der volle Lebenspuls schlug durch die Welt; Die Lüfte wehten und der Vogel sang, Die Eichen wuchsen und die Quelle sprang. Die Blumen blühten und die Früchte reiften, Ein jeglich Gras tat seinen Atemzug; Die Berge standen und die Wolken schweiften In gleicher Luft, die meinen Odem trug. Ich schlenderte den lieben Tag entlang, Im Herzen regte sich der Hochgesang; Es brach sich Bahn der Wachtel heller Schlag, Jedoch mein Lied - es rang sich nicht zu Tag. Der Mittag kam, ich lag an Silberflüssen, Die Sonne sucht ich in der klaren Flut Und durfte nicht von Angesicht sie grüßen, Der ich allein in all dem Drang geruht. Die Sonne sank und ließ die Welt der Ruh, Die Abendnebel gingen ab und zu; Ich lag auf Bergeshöhen matt und müd, Tief in der Brust das ungesungne Lied. Da nickten, spottend mein, die schwanken Tannen, Auch höhnend sah das niedre Moos empor Mit seinen Würmern, die geschäftig spannen, Und lachend brach das Firmament hervor. Vom Osten wehte frisch und voll der Wind: "Was suchst du hier, du müßig Menschenkind, Du stumme Pfeife in dem Orgelchor, Schlemihl, der träumend Raum und Zeit verlor? Dir ward das Leichteste, das Lied, gegeben, Das, selbst sich bauend, aus der Kehle bricht; Du aber legst dein unbeholfen Leben Wie einen Stein ihm auf den Weg zum Licht!" Sprach so der Wind? O nein, so sprach der Schmerz, Der mir wie Ketten hing ums dunkle Herz! Ein fremder Körper ohne Form und Schall, So, deuchte mir, lag ich im regen All. Und Luft und Tannen, Berge, Moos und Sterne, Sie schlangen lächelnd ihren weiten Kranz; Wie an der Insel sich das Meer, das ferne, Brach sich an mir ihr friedlich milder Glanz.
Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Neuere Gedichte, in Vermischte Gedichte, in Ein Tagewerk, no. 1
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]25. Ein Tagewerk II  [sung text checked 1 time]
Aber ein kleiner goldener Stern Sang und klang mir in die Ohren: "Tröste dich nur, dein Lied ist fern, Fern bei uns und nicht verloren! "Findest du nicht oft einen Klang, Wie zu früh herüber geklungen? Also hat sich heut dein Sang Heimlich zu uns hinüber geschwungen! "Dort, im donnernden Weltgesang, Wirst du ein leises Lied erkennen, Das dir, wie fernster Glockenklang, Diesen Sommertag wird nennen. "Denn die Ewigkeit ist nur Hin und her ein tönendes Weben; Vorwärts, rückwärts wird die Spur Deiner Schritte klingend erbeben, "Deiner Schritte durch das All, Bis, wie eine singende Schlange, Einst dein Leben den vollen Schall Findet im Zusammenhange."
Authorship:
- by Gottfried Keller (1819 - 1890), no title, appears in Neuere Gedichte, in Vermischte Gedichte, in Ein Tagewerk, no. 2
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