Nicht daß ein Engel eintrat (das erkenn), erschreckte sie. Sowenig andre, wenn ein Sonnenstrahl oder der Mond bei Nacht in ihrem Zimmer sich zu schaffen macht, auffahren -, pflegte sie an der Gestalt, in der ein Engel ging, sich zu entrüsten; sie ahnte kaum, daß dieser Aufenthalt mühsam für Engel ist. (O wenn wir wüßten, wie rein sie war. Hat eine Hirschkuh nicht, die, liegend, einmal sie im Wald eräugte, sich so in sie versehn, daß sich in ihr, ganz ohne Paarigen, das Einhorn zeugte, das Tier aus Licht, das reine Tier.) Nicht, daß er eintrat, aber daß er dicht, der Engel, eines Jünglings Angesicht so zu ihr neigte: daß sein Blick und der, mit dem sie aufsah, so zusammenschlugen als wäre draußen plötzlich alles leer und, was Millionen schauten, trieben, trugen, hineingedrängt in sie: nur sie und er; Schaun und Geschautes, Aug und Augenweide sonst nirgends als an dieser Stelle -: sieh, dieses erschreckt. Und sie erschracken beide. Dann sang der Engel seine Melodie.
Stella Maris; Marienoratorium
Oratorio by Helge Burggrabe (b. 1973)
9. Das Marienleben ‑ II Virgo Partitura  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Mariae Verkündigung", appears in Das Marien-Leben, no. 3, first published 1912
See other settings of this text.
Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Stéphane Goldet) (Pierre de Rosamel) , "Annonciation", copyright © 2013, (re)printed on this website with kind permission
- ITA Italian (Italiano) (Ferdinando Albeggiani) , "L'annunciazione di Maria", copyright © 2009, (re)printed on this website with kind permission
14. Das Marienleben ‑ III Mater Maria  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Seht auf, ihr Männer. Männer dort am Feuer, die ihr den grenzenlosen Himmel kennt, Sterndeuter, hierher! Seht, ich bin ein neuer steigender Stern. Mein ganzes Wesen brennt und strahlt so stark und ist so ungeheuer voll Licht, daß mir das tiefe Firmament nicht mehr genügt. Laßt meinen Glanz hinein in euer Dasein: Oh, die dunklen Blicke, die dunklen Herzen, nächtige Geschicke die euch erfüllen. Hirten, wie allein bin ich in euch. Auf einmal wird mir Raum. Stauntet ihr nicht: der große Brotfruchtbaum warf einen Schatten. Ja, das kam von mir. Ihr Unerschrockenen, o wüßtet ihr, wie jetzt auf eurem schauenden Gesichte die Zukunft scheint. In diesem starken Lichte wird viel geschehen. Euch vertrau ichs, denn ihr seid verschwiegen; euch Gradgläubigen redet hier alles. Glut und Regen spricht, der Vögel Zug, der Wind und was ihr seid, keins überwiegt und wächst zur Eitelkeit sich mästend an. Ihr haltet nicht die Dinge auf im Zwischenraum der Brust um sie zu quälen. So wie seine Lust durch einen Engel strömt, so treibt durch euch das Irdische. Und wenn ein Dorngesträuch aufflammte plötzlich, dürfte noch aus ihm der Ewige euch rufen, Cherubim, wenn sie geruhten neben eurer Herde einherzuschreiten, wunderten euch nicht: ihr stürztet euch auf euer Angesicht, betetet an und nenntet dies die Erde. Doch dieses war. Nun soll ein Neues sein, von dem der Erdkreis ringender sich weitet. Was ist ein Dörnicht uns: Gott fühlt sich ein in einer Jungfrau Schooß. Ich bin der Schein von ihrer Innigkeit, der euch geleitet.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Verkündigung über den Hirten", appears in Das Marien-Leben, no. 6, first published 1912
See other settings of this text.
Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Stéphane Goldet) (Pierre de Rosamel) , "Annonce faite aux bergers", copyright © 2013, (re)printed on this website with kind permission
- ITA Italian (Italiano) (Ferdinando Albeggiani) , "L'annunciazione ai pastori", copyright © 2009, (re)printed on this website with kind permission
25. Das Marienleben ‑ V Stella maris humana  [sung text not yet checked]
Language: German (Deutsch)
Derselbe große Engel, welcher einst ihr der Gebärung Botschaft niederbrachte, stand da, abwartend daß sie ihn beachte, und sprach: Jetzt wird es Zeit, daß du erscheinst. Und sie erschrak wie damals und erwies sich wieder als die Magd, ihn tief bejahend. Er aber strahlte und, unendlich nahend, schwand er wie in ihr Angesicht - und hieß die weithin ausgegangenen Bekehrer zusammenkommen in das Haus am Hang, das Haus des Abendmahls. Sie kamen schwerer und traten bange ein: Da lag, entlang die schmale Bettstatt, die in Untergang und Auserwählung rätselhaft Getauchte, ganz unversehrt, wie eine Ungebrauchte, und achtete auf englischen Gesang. Nun da sie alle hinter ihren Kerzen abwarten sah, riß sie vom Übermaß der Stimmen sich und schenkte noch von Herzen die beiden Kleider fort, die sie besaß, und hob ihr Antlitz auf zu dem und dem... (O Ursprung namenloser Tränen-Bäche). Sie aber legte sich in ihre Schwäche und zog die Himmel an Jerusalem so nah heran, daß ihre Seele nur, austretend, sich ein wenig strecken mußte: schon hob er sie, der alles von ihr wußte, hinein in ihre göttliche Natur.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Marien-Leben, in Vom Tode Mariae, no. 1, first published 1912
See other settings of this text.
Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Knut W. Barde) , "From the Death of Mary", copyright ©, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Stéphane Goldet) (Pierre de Rosamel) , "Sur la mort de Marie I", copyright © 2013, (re)printed on this website with kind permission
- ITA Italian (Italiano) (Ferdinando Albeggiani) , "Morte di Maria I", copyright © 2009, (re)printed on this website with kind permission
Total word count: 593