by Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)
Waldung, sie schwankt heran
Language: German (Deutsch)
Heilige Anachoreten (Gebirgauf vertheilt, gelagert zwischen Klüften). Chor und Echo. Waldung, sie schwankt heran, Felsen, sie lasten dran, Wurzeln sie klammern an, Stamm dicht an Stamm hinan; Woge nach Woge spritzt, Höhle die tiefste schützt; Löwen sie schleichen stumm- Freundlich um uns herum, Ehren geweihten Ort Heiligen Liebeshort. Pater ecstaticus (auf- und abschwebend) Ewiger Wonnebrand, Glühendes Liebeband, Siedender Schmerz der Brust, Schäumende Gottes Lust. Pfeile durchdringet mich, Lanzen bezwinget mich, Keulen zerschmettert mich, Blitze durchwettert mich; Daß ja das Nichtige, Alles verflüchtige, Glänze der Dauerstern Ewiger Liebe Kern. Pater profundus (tiefe Region) Wie Felsenabgrund mir zu Füßen Auf tiefem Abgrund lastend ruht, Wie tausend Bäche strahlend fließen Zum grausen Sturz des Schaums der Fluth, Wie strack, mit eignem kräftigen Triebe, Der Stamm sich in die Lüfte trägt: So ist es die allmächtige Liebe Die alles bildet, alles hegt. Ist um mich her ein wildes Brausen Als wogte Wald und Felsengrund! Und doch stürzt, liebevoll im Sausen, Die Wasserfülle sich zum Schlund, Berufen gleich das Thal zu wässern; Der Blitz, der flammend niederschlug Die Atmosphäre zu verbessern, Die Gift und Dunst im Busen trug, Sind Liebesboten, sie verkünden Was ewig schaffend uns umwallt. Mein Innres mög’ es auch entzünden Wo sich der Geist, verworren, kalt, Verquält in stumpfer Sinne Schranken, Scharfangeschloss’nem Kettenschmerz. O Gott! beschwichtige die Gedanken, Erleuchte mein bedürftig Herz. Pater Seraphicus (mittlere Region) Welch ein Morgenwölkchen schwebet Durch der Tannen schwankend Haar! Ahn’ ich was im Innern lebet? Es ist junge Geisterschaar. Chor seliger Knaben Sag’ uns, Vater, wo wir wallen, Sag’ uns, Guter, wer wir sind? Glücklich sind wir, allen allen Ist das Daseyn so gelind. Pater Seraphicus Knaben! Mitternachts Geborne, Halb erschlossen Geist und Sinn, Für die Eltern gleich Verlorne, Für die Engel zum Gewinn. Daß ein Liebender zugegen Fühlt ihr wohl, so naht euch nur; Doch von schroffen Erdewegen Glückliche! habt ihr keine Spur. Steigt herab in meiner Augen Welt- und erdgemäß Organ, Könnt sie als die euern brauchen, Schaut euch diese Gegend an. (Er nimmt sie in sich.) Das sind Bäume, das sind Felsen, Wasserstrom, der abestürzt Und mit ungeheurem Wälzen Sich den steilen Weg verkürzt. Selige Knaben (von innen) Das ist mächtig anzuschauen; Doch zu düster ist der Ort, Schüttelt uns mit Schreck und Grauen. Edler, Guter, laß uns fort! Pater Seraphicus Steigt hinan zu höhrem Kreise, Wachset immer unvermerkt, Wie, nach ewig reiner Weise, Gottes Gegenwart verstärkt. Denn das ist der Geister Nahrung Die im freisten Aether waltet: Ewigen Liebens Offenbarung Die zur Seligkeit entfaltet. Chor seliger Knaben (um die höchsten Gipfel kreisend) Hände verschlinget Freudig zum Ringverein, Regt euch und singet Heilige Gefühle drein; Göttlich belehret Dürft ihr vertraun, Den ihr verehret Werdet ihr schaun. Engel (schwebend in der höhern Atmosphäre, Faustens Unsterbliches tragend). Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen: Wer immer strebend sich bemüht Den können wir erlösen; Und hat an ihm die Liebe gar Von oben Theil genommen, Begegnet ihm die selige Schaar Mit herzlichem Willkommen. Die jüngeren Engel Jene Rosen, aus den Händen Liebend-heiliger Büßerinnen, Halfen uns den Sieg gewinnen, Und das hohe Werk vollenden, Diesen Seelenschatz erbeuten. Böse wichen als wir streuten, Teufel flohen als wir trafen. Statt gewohnter Höllenstrafen Fühlten Liebesqual die Geister; Selbst der alte Satans-Meister War von spitzer Pein durchdrungen. Jauchzet auf! es ist gelungen. Die vollendeteren Engel Uns bleibt ein Erdenrest Zu tragen peinlich, Und wär’ er von Asbest Er ist nicht reinlich. Wenn starke Geisteskraft Die Elemente An sich herangerafft, Kein Engel trennte Geeinte Zwienatur Der innigen Beiden, Die ewige Liebe nur Vermag’s zu scheiden. Die jüngern Engel [Nebelnd um Felsenhöh’ Spür’ ich so eben, Regend sich in der Näh’, Ein Geister-Leben. Die Wölkchen werden klar, Ich seh’ bewegte Schaar Seliger Knaben,]1 Los von der Erde Druck, Im Kreis gesellt, Die sich erlaben Am neuen Lenz und Schmuck Der obern Welt. Sey er zum Anbeginn, Steigendem Vollgewinn, Diesen gesellt! Die seligen Knaben Freudig empfangen wir Diesen im Puppenstand; Also erlangen wir Englisches Unterpfand. Löset die Flocken los Die ihn umgeben, Schon ist er schön und groß Von heiligem Leben. Doctor Marianus (in der höchsten, reinlichsten Zelle). [ Hier ist die Aussicht frei, Der Geist erhoben. Dort ziehen Frau’n vorbei, Schwebend nach oben; Die Herrliche mitteninn Im Sternenkranze, Die Himmelskönigin, Ich seh’s am Glanze.]2 (Entzückt.) Höchste Herrscherin der Welt! Lasse mich, im blauen, Ausgespannten Himmelszelt Dein Geheimniß schauen. Billige was des Mannes Brust Ernst und zart beweget Und mit heiliger Liebeslust Dir entgegen träget. Unbezwinglich unser Muth Wenn du hehr gebietest, Plötzlich mildert sich die Gluth Wie du uns befriedest. [ Jungfrau, rein im schönsten Sinn, Mutter, Ehren würdig, Uns erwählte Königin, Göttern ebenbürtig.]2 [ Um sie verschlingen Sich leichte Wölkchen, Sind Büßerinnen, Ein zartes Völkchen, Um Ihre Knie Den Aether schlürfend, Gnade bedürfend.]2 3 Dir, der Unberührbaren, Ist es nicht benommen Daß die leicht Verführbaren Traulich zu dir kommen. In die Schwachheit hingerafft Sind sie schwer zu retten; Wer zerreißt aus eigner Kraft Der Gelüste Ketten? Wie entgleitet schnell der Fuß Schiefem glattem Boden? [ Wen bethört nicht Blick und Gruß? Schmeichelhafter Odem?]3 Mater gloriosa (schwebt einher) Chor der Büßerinnen Du schwebst zu Höhen Der ewigen Reiche, Vernimm das Flehen Du Ohnegleiche! Du Gnadenreiche! Magna peccatrix (St. Lucae VII, 36) Bei der Liebe, die den Füßen Deines gottverklärten Sohnes Thränen ließ zum Balsam fließen, Trotz des Pharisäer-Hohnes; Beim Gefäße das so reichlich Tropfte Wohlgeruch hernieder; Bei den Locken die so weichlich Trockneten die heiligen Glieder – Mulier Samaritana (St. Joh. IV.) Bei dem Bronn, zu dem schon weiland Abram ließ die Heerde führen; Bei dem Eimer, der dem Heiland Kühl die Lippe durft berühren; Bei der reinen reichen Quelle, Die nun dorther sich ergießet, Ueberflüssig, ewig helle, Rings durch alle Welten fließet – Maria Aegyptiaca (Acta Sanctorum) Bei dem hochgeweihten Orte, Wo den Herrn man niederließ; Bei dem Arm, der von der Pforte Warnend mich zurücke stieß; Bei der vierzigjährigen Buße, Der ich treu in Wüsten blieb; Bei dem seligen Scheidegruße, Den im Sand ich niederschrieb – Zu drey Die du großen Sünderinnen Deine Nähe nicht verweigerst, Und ein büßendes Gewinnen In die Ewigkeiten steigerst, Gönn’ auch dieser guten Seele, Die sich einmal nur vergessen, Die nicht ahnte daß sie fehle, Dein Verzeihen angemessen! Una Poenitentium (sonst Gretchen genannt. Sich anschmiegend) Neige, neige Du Ohnegleiche, Du Strahlenreiche, Dein Antlitz gnädig meinem Glück! Der früh Geliebte, Nicht mehr Getrübte, Er kommt zurück. Selige Knaben (in Kreisbewegung sich nähernd) Er überwächs’t uns schon An mächtigen Gliedern, Wird treuer Pflege Lohn Reichlich erwiedern. Wir wurden früh entfernt Von Lebechören; Doch dieser hat gelernt, Er wird uns lehren. Die eine Büßerin sonst Gretchen genannt Vom edlen Geisterchor umgeben, Wird sich der Neue kaum gewahr, Er ahnet kaum das frische Leben So gleicht er schon der heiligen Schaar. Sieh wie er jedem Erdenbande Der alten Hülle sich entrafft, Und aus ätherischem Gewande Hervortritt erste Jugendkraft! Vergönne mir ihn zu belehren, Noch blendet ihn der neue Tag. Mater gloriosa Komm! hebe dich zu höhern Sphären, Wenn er dich ahnet folgt er nach. Doctor Marianus (Auf dem Angesicht anbetend) Blicket auf zum Retterblick Alle reuig Zarten, Euch zu seligem [Geschick]4 Dankend umzuarten. Werde jeder bess’re Sinn Dir zum Dienst erbötig; Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin bleibe gnädig! Chorus mysticus Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichniß; Das Unzulängliche Hier wird’s Ereigniß; Das Unbeschreibliche Hier ist es gethan; Das Ewig-Weibliche Zieht uns hinan.
H. Simon sets stanza 16
R. von Mojsisovics-Mojsvár sets stanza 29
J. Röntgen sets stanza 29
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View original text (without footnotes)Confirmed with Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil, Stuttgart, 1832.
Note: Hermann Simon's setting begins "Höchste Herrscherin der Welt!"; the settings by Mojsisovics-Mojsvár and Röntgen begin "Alles Vergängliche", line -8 (or 8 from the end).
1 R. Schumann:Ich spür' soeben, Nebelnd um Felsenhöh', Ein Geisterleben. Regend sich in der Näh' Seliger Knaben, Seh' ich bewegte Schar2 Omitted by H. Simon.
3 Omitted by R. Schumann.
4Schumann: "Glück"
Text Authorship:
- by Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), no title, appears in Faust, in Der Tragödie zweiter Teil (Part II) [author's text checked 1 time against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Roderich von Mojsisovics-Mojsvár (1877 - 1953), "Chorus mysticus", op. 4, published 1905, stanza 29 [ alto and 3 soprano soli, mixed chorus, orchestra or piano ], Leipzig: C. F. W. Siegel's Musikalienhandlung (R. Linnemann) [sung text not yet checked]
- by Julius Röntgen (1855 - 1932), "Chorus mysticus", 1931, stanza 29 [ solo voices, chorus, orchestra, and organ ], from Aus Goethes Faust, no. 12 [sung text checked 1 time]
- by Robert Schumann (1810 - 1856), "Faust's Verklärung", 1844-53, published 1858 [ solo voices, chorus and orchestra ], from Szenen aus Goethes Faust, no. 7, Berlin, Friedländer [sung text checked 1 time]
- by Hermann Simon (1896 - 1948), "Die Lobpreisung des Doctor Marianus", 1935, stanza 16 [ baritone, harp, and percussion ], from Drei Goethe-Gesänge, no. 3 [sung text checked 1 time]
Settings in other languages, adaptations, or excerpts:
- Also set in German (Deutsch), [adaptation] ; composed by Gustav Mahler.
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
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