Den kurzen Tag umgab die lange Nacht. Stumm fiel aus ihr die Hülle auf das Land. Weiß breitet hin sich, was sie still gebracht. Die Sonne legt darüber milde Hand. Ein Vogel holt vom Fensterbrett das Brot, Das ihm der Stube ernster Herr zerrieb. Sein Fittich schwänzelt auf dem Schneesitz rot. Zum Liebling ward dem Mann der kleine Dieb. Und in der Stube Grund stieg Licht herein, Wie tief es drüben sank ob Hügels Hang. Mir an geweihter Wand vollzieht sein Schein Des heiligen Gestirnes Wendegang. Lang schwieg ich Euch und stumm blieb Melodie. An Gottes Orgel hat der Freund gebaut. O schweiget mit! So still war es noch nie. Durchs Fenster locket leiser Zwitscherlaut.
Ehrler-Zyklus II
Song Cycle by Hermann Reutter (1900 - 1985)
1. Wintersonnwend
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Wintersonnwend", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "Winter solstice", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 3.
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2. Frage
Wieviel Wege bin ich schon gegangen? Wieviel Welt ging in die Augen mir? Ach den Läufer überläuft Verlangen! Hergenahtem Schein entflog die Zier. Leg ich Meil an Meile durch die Ferne, Sag Minute, Stunde, Tag und Jahr... Sandkorns Fall es tief wie in Zisterne, Kindes Tritt im Ungeheuren war. Und ein Blatt geworfen durch die Zeiten, Zwischen toten, ungelebten hin, Spür ich mich im windebangen Gleiten. Doch was sagt mir, daß ich Flügel bin?
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Frage", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "Question", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 5.
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3. An meine Augen
Augen ihr, durch allen Schein gegangen, Steht gestillt nun in des Wesens Lichte. Die Gesichter schwinden im Gesichte, Sternhaft dürft ihr an dem Antlitz hangen. Friedlich liegen Schwester Lust und Trauer. Blüte nicht noch Dorn wird sie erwecken, Und des Blutes Ruheschalen schrecken Keine Finsternis, kein Strahlenschauer. Meinen Schlummer kann ich leise wiegen Mondessilbern auf geschundnem Grunde, Traum und Leben sind versenkte Kunde, In dem Abgrund seh den Schlaf ich liegen.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "An meine Augen", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "To my eyes", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 6.
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4. Die alte Uhr
Ist der Gang der Uhr nicht ein ganz andrer Als ich glaubte, und nicht mehr vertraut? Hat um sie die Zeitenhand dem Wandrer Diese Wände magisch umgebaut? Ging ihr Schlag, seit ich ging, eigne Wege, Abgetrennt von meines Herzens Schlag? Blieb das Zauberwerk allein hier rege, Machte für sich selber Nacht und Tag? Sagt zu diesem sonderbaren Dinge Nicht der Horcher immer: bitte gib!? Als wie Füllung hört er sein Gesinge. Doch auf einmal wird daraus ein Dieb. Ich erschrecke an des Pendels Schwinge. Ach es schenket uns, was es zerrieb.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Die alte Uhr", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "The old clock", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 11.
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5. An die Heimat  [sung text not yet checked]
Heimat, Schoß des Heimeslosen, Wiege dem verlornen Sohn, Ach es duften deine Rosen, Ihm der lange schon lief davon. Einen Bruder um den andern Treibt der Blutgang in die Welt, Holt der Zweite ein beim Wandern Jenen der ins Dunkel fällt.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "An die Heimat", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (Sharon Krebs) , "To my homeland", copyright © 2022, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 14.
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6. Wonnen
Ich möchte einmal so betauet sein Wie dieser Anger in erwachter Frühe, So selbsterstaunend hell betauet sein. Ich möchte einmal so erwärmet sein, Wie dieser Stein in stiller Mittagssonne, So gleich und tief und ganz erwärmet sein. Ich möchte einmal so gestreichelt sein, Wie dieser Baum von linden Abendwinden, Durch so viel Blätter so gestreichelt sein. Ich möchte einmal so getränket sein, Wie dieses Waldtal unterm Regenbogen, So mit geweihtem Naß getränket sein.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Wonnen", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "Joys", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 26.
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7. Nachtlied
Ich denk an Dich und gehe aus mir Auf einem seligen Weg zu dir. Dein Herz erschrickt in der Ferne. In Deinem Garten gehst du allein. Die Nacht ist kommen, der Mondenschein. Uns beide sehen die Sterne. Wie wunderbar dieses: der Erdenraum Wird ein in sich selbst geschwundenes Kaum. Dein Herz erschrickt in der Ferne. Uns beide sehen die Sterne.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Nachtlied", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "Night song", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
8. Anima
Am Markte lag ein tot gestürztes Kind, Im blauen Kleid zum Bündel still verbogen. Der Vogel lockte es, der in den Wind Am Morgenfenster war hinaufgeflogen. Die Mutter kam und nahm es in den Schoß. Sie weinte nicht, die Fromme konnte beten. Wie Sonntag war der Platz, erhellt und groß. Die hohe Tröstung war hineingetreten. O Vögel flieget, flieget auf im Wind! Und Fensterspiel und himmelblaues Kind.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Anima", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "Anima", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 78.
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9. Barmherzige Schwester  [sung text not yet checked]
Strahl, der durch die Gassen geht, Wo du bist, wird's mild, Reines Kleid in Kammern weht, Linder Wortbrunn quillt. Heilkraut wächst aus weicher Hand, Schließt die Wunde zu, Augenschein legt Blutes Brand In gelöste Ruh. Schwester allem Menschenleid, Mutter jedem Schmerz, Ärmsten Du zur Magd geweiht, Wer gab Dir Dein Herz? Nacht hört stillen Perlenfall Von dem Rosenkranz. Kranker träumet Sternenschwall Und MARIENS Glanz.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Barmherzige Schwester", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (Sharon Krebs) , "Merciful sister", copyright © 2022, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 92.
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10. Die Beiden
Eros: O Bruder sag, warum bist Du gekommen, Hast meine Früchte wieder fortgenommen, Ich füll die Luft mit süßen Lebensdüften, Du trägst verwest sie zu den Modergrüften? Thanatos: O Bruder sag, wir stehen hier im Raume, Erfüll ihn einmal nur mit Deinem Traume, Schütt aus in das Geleis der Schöpfungszeiten, So weit Gesichte diese mögen weiten! Eros: O Bruder sag, es würde überfließen, Daß alle Wände selig sich zerstießen! . . . Indes . . . vielleicht auch blieben stehn die Wände, Was täten dann wohl meine vollen Hände? Thanatos: O Bruder, schau in dieses Teiches Spiegel! Trägt unsre Stirne nicht das Zwillingssiegel? Wärst Du allein mit solchem Zauberwunder, Dann säh nur mein Gesicht statt Deins hinunter.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Die Beiden", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "The two", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 97.
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11. Beter am Meer
O holder Himmelswind, führ in die Welt Die Barke mit dem seidenblauen Zelt! Sind Menschenherzen nimmer ein Magnet, So sei Du gut, der gnadenhaft uns weht. Sie warten doch am trüben Nebelstrand, Ihr harrend Herz hinhaltend in der Hand. O lass das Meer vom Friedenslicht beziehn! Der Strand ist weit. Sie können alle knien.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Beter am Meer", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "Worshipers by the sea", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 135.
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12. Des Mönches Abschied von den Geleite Gebenden
Gehet nun, gehet nun fort! Lasset mich schließen die Tür! Sehet, ich zeichne ein Kreuz Euch in die Lüfte nach. Oben mein Fenster noch schaut Eueren Wegen drein. Freunde, wo ihr euch trennt, Letztes Mal blicket zurück! Abendlich grüßenden Blick Nehmet von meinem Berg! Auge füll Auge mit Licht, Daß es sich immer erkennt. Scheidende Rede im Ohr Bleibe Gedenkens Musik. Hören wir wieder den Ton, Ist er geworden zum Lied.
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- by Hans Heinrich Ehrler (1872 - 1951), "Des Mönches Abschied von den Geleite Gebenden", appears in Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte
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- ENG English (John Glenn Paton) , "The monk's farewell from those who accompany him", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Hans Heinrich Ehrler, Gesicht und Antlitz: Neue Gedichte, Gotha: Leopold Klotz Verlag, 1928, page 146.
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