Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung! O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr. Und alles schwieg. Doch selbst in der verschweigung ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor. Tiere aus Stille drangen aus dem klaren gelösten wald von Lager und Genist; und da ergab sich, daß sie nicht aus List und nicht aus Angst in sich so leise waren, sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr schien klein in ihren Herzen. Und wo eben kaum eine Hütte war, dies zu empfangen, ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, -- da schufst du ihnen Tempel im Gehör.
Fünf Sonette an Orpheus
Song Cycle by Einojuhani Rautavaara (1928 - 2016)
1. Da stieg ein Baum  [sung text not yet checked]
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 1
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , copyright © 2010, (re)printed on this website with kind permission
2. Und fast ein Mädchen wars
Und fast ein Mädchen wars und ging hervor aus diesem einigen Glück von Sang und Leier und glänzte klar durch ihre Frühlingsschleier und machte sich ein Bett in meinem Ohr. Und schlief in mir. Und alles war ihr Schlaf. Die Bäume, die ich je bewundert, diese fühlbare Ferne, die gefühlte Wiese und jedes Staunen, das mich selbst betraf. Sie schlief die Welt. Singender Gott, wie hast du sie vollendet, daß sie nicht begehrte erst wach zu sein? Sieh, sie erstand und schlief. Wo ist ihr Tod? O, wirst du dies Motiv erfinden noch, eh sich dein Lied verzehrte? -- Wo sinkt sie hin aus mir? ... Ein Mädchen fast...
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 2
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- ENG English (Knut W. Barde) , "Sonnet to Orpheus", copyright ©, (re)printed on this website with kind permission
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3. Ein Gott vermags  [sung text not yet checked]
Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier? Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier Herzwege steht kein Tempel für Apoll. Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr, nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes; Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes. Wann aber sind wir? Und wann wendet er an unser Sein die Erde und die Sterne? Dies ists nicht, Jüngling, Daß du liebst, wenn auch die Stimme dann den Mund dir aufstößt, - lerne vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt. In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch. Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.
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- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 3
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4. O ihr Zärtlichen
O ihr Zärtlichen, tretet zuweilen in den Atem, der euch nicht meint, laßt ihn an eueren Wangen sich teilen, hinter euch zittert er, wieder vereint. O ihr Seligen, o ihr Heilen, die ihr der Anfang der Herzen scheint. Bogen der Pfeile und Ziele von Pfeilen, ewiger glänzt euer Lächeln verweint. Fürchtet euch nicht zu leiden, die Schwere, gebt sie zurück an der Erde Gewicht: schwer sind die Berge. Schwer sind die Meere. Selbst die als Kinder ihr pflanztet, die Bäume, wurden zu schwer längst; ihr trüget sie nicht. Aber die Lüfte... aber die Räume...
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- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 4
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5. Errichtet keinen Denkstein
Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn. Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn um andre Namen. Ein für alle Male ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht. Ists nicht schon viel, wenn er die Rosenschale um ein Paar Tage manchmal übersteht? O wie er schwinden muß, daß ihrs begrifft! Und wenn ihm selbst auch bangte, daß er schwände. Indem sein Wort das Hiersein übertrifft, ist er schon dort, wohin ihrs nicht begleitet. Der Leier Gitter zwingt ihm nicht die Hände. Und er gehorcht, indem er überschreitet.
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- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 5
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