Empfangen und genähret Vom Weibe wunderbar, Kömmt er und sieht und höret Und nimmt des Trugs nicht wahr; Gelüstet und begehret, Und bringt sein Tränlein dar; Verachtet und verehret, Hat Freude und Gefahr; Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret, Hält nichts und alles wahr; Erbauet und zerstöret Und quält sich immerdar; Schläft, wachet, wächst und zehret, Trägt braun und graues Haar. Und alles dieses währet, Wenn's hoch kommt, achtzig Jahr; Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder, Und er kömmt nimmer wieder.
Sechs Gesänge , opus 45
by Wilhelm Petersen (1890 - 1957)
1. Der Mensch
2. Der Säemann säet den Samen
Der Säemann säet den Samen. Die Erd empfängt ihn, und über ein kleines Wächs't die Blume herauf -- Du liebtest sie. Was auch dies Leben Sonst für Gewinn hat, war klein dir geachtet, Und sie entschlummerte dir! Was weinest du neben dem Grabe Und hebst die Hände zur Wolke des Todes Und der Verwesung empor? Wie Gras auf dem Felde sind Menschen Dahin, wie Blätter! Nur wenige Tage Gehn wir verkleidet einher! Der Adler besuchet die Erde, Doch säumet nicht, schüttelt vom Flügel den Staub und Kehret zur Sonne zurück!
Text Authorship:
- by Matthias Claudius (1740 - 1815), title 1: "An - als ihm die - starb", title 2: "Der Säemann säet den Samen"
- sometimes misattributed to Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 - 1803)
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Note (provided by Melanie Trumbull): Claudius's first title was "An - als ihm die - starb"; later editions used the incipit (first line). First published in Wandsbecker Bote for 2 November 1771 (no. 176). In 1772 a different version appeared in Almanach der deutschen Musen, titled "Klagode, von Klopstock", according to Matthias Claudius: Language as "infamous funnel" and its imperatives, by Herbert Rowland. Madison and Teaneck: Fairleigh Dickinson University Press, 1997, page 62.
3. Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm' ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen.
Text Authorship:
- by Friedrich Hölderlin (1770 - 1843), "Hälfte des Lebens", appears in Gedichte 1800-1804, in Nachtgesänge
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , "La meitat de la vida", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Emily Ezust) , "The middle of life", copyright ©
- FRE French (Français) (Guy Laffaille) , "Le milieu de la vie", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Stéphane Goldet) (Pierre de Rosamel) , "Mi-temps de la vie", copyright © 2015, (re)printed on this website with kind permission
- IRI Irish (Gaelic) [singable] (Gabriel Rosenstock) , "Leath an tSaoil", copyright © 2015, (re)printed on this website with kind permission
4. Juli‑Schwermut
Blumen des sommers duftet ihr noch reich: Ackerwinde im herben saatgeruch Du ziehst mich nach am dorrenden geländer Mir ward der stolzen gärten sesam fremd. Aus dem vergessen lockst du träume: das kind Auf keuscher scholle rastend des ährengefilds In ernte-gluten neben nackten schnittern Bei blanker sichel und versiegtem krug. Schläfrig schaukelten wespen im mittagslied Und ihm träufelten auf die gerötete stirn Durch schwachen schutz der halme-schatten Des mohnes blätter: breite tropfen blut. Nichts was mir je war raubt die vergänglichkeit. Schmachtend wie damals lieg ich in schmachtender flur Aus mattem munde murmelt es: wie bin ich Der blumen müd · der schönen blumen müd!
Text Authorship:
- by Stefan George (1868 - 1933), "Juli-Schwermut", appears in Die Lieder von Traum und Tod
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Sharon Krebs) , "July melancholia", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
5. Winternacht
I Vor Kälte ist die Luft erstarrt, Es kracht der Schnee von meinen Tritten, Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart; Nur fort, nur immerfort geschritten! Wie feierlich die Gegend schweigt! Der Mond bescheint die alten Fichten, Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt, Den Zweig zurück zur Erde richten. Frost! Friere mir ins Herz hinein, Tief in das heiß bewegte, wilde! Daß einmal Ruh mag drinnen sein, Wie hier im nächtlichen Gefilde. II Dort heult im tiefen Waldesraum Ein Wolf; -- wie's Kind aufweckt die Mutter, Schreit er die Nacht aus ihrem Traum Und heischt von ihr sein blutig Futter. Nun brausen über Schnee und Eis Die Winde fort mit tollem Jagen, Als wollten sie sich rennen heiß: Wach auf, o Herz, zu wildem Klagen! Laß deine Toten auferstehn Und deiner Qualen dunkle Horden! Und laß sie mit den Stürmen gehn, Dem rauhen Spielgesind aus Norden!
Text Authorship:
- by Nikolaus Lenau (1802 - 1850), "Winternacht", appears in Gedichte, in 1. Erstes Buch, in Sehnsucht
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Michael P Rosewall) , copyright © 2022, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Nuit d'hiver", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
6. Ein Winterabend
Wenn der Schnee ans Fenster fällt, Lang die Abendglocke läutet, Vielen ist der Tisch bereitet Und das Haus ist wohl bestellt. Mancher auf der Wanderschaft Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden. Golden blüht der Baum der Gnaden Aus der Erde kühlem Saft. Wanderer tritt still herein; Schmerz versteinerte die Schwelle. Da erglänzt in reiner Helle Auf dem Tische Brot und Wein.
Text Authorship:
- by Georg Trakl (1887 - 1914), "Ein Winterabend", appears in Sebastian im Traum, in Der Herbst des Einsamen, 2. Fassung
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Bertram Kottmann) , "A winter evening ", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Guy Laffaille) , "Une soirée d'hiver", copyright © 2009, (re)printed on this website with kind permission