Die Reichen und Glücklichen haben gut schweigen, niemand will wissen was sie sind. Aber die Dürftigen müssen sich zeigen, müssen sagen: ich bin blind oder: ich bin im Begriff es zu werden oder: es geht mir nicht gut auf Erden oder: ich habe ein krankes Kind oder: da bin ich zusammengefügt... Und vielleicht, daß das gar nicht genügt. Und weil alle sonst, wie an Dingen, an ihnen vorbeigehn, müssen sie singen. Und da hört man noch guten Gesang. Freilich die Menschen sind seltsam; sie hören lieber Kastraten in Knabenchören. Aber Gott selber kommt und bleibt lang wenn ihn diese Beschnittenen stören.
Die Stimmen
Song Cycle by Karl Heinz Höne (1924 - 2008)
1. Die Reichen und Glücklichen  [sung text not yet checked]
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Titelblatt", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 1, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Page de titre", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 133.
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2. Das Lied des Bettlers  [sung text not yet checked]
Ich gehe immer von Tor zu Tor, verregnet und verbrannt; auf einmal leg ich mein rechtes Ohr in meine rechte Hand. Dann kommt mir meine Stimme vor, als hätt ich sie nie gekannt. Dann weiß ich nicht sicher, wer da schreit, ich oder irgendwer. Ich schreie um eine Kleinigkeit. Die Dichter schrein um mehr. Und endlich mach ich noch mein Gesicht mit beiden Augen zu; wie's dann in der Hand liegt mit seinem Gewicht sieht es fast aus wie Ruh. Damit sie nicht meinen ich hätte nicht, wohin ich mein Haupt tu.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Das Lied des Bettlers", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 2, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La chanson du mendiant", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 134.
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3. Das Lied des Blinden  [sung text not yet checked]
Ich bin blind, ihr draußen, das ist ein Fluch, ein Widerwillen, ein Widerspruch, etwas täglich Schweres. Ich leg meine Hand auf den Arm der Frau, meine graue Hand auf ihr graues Grau, und sie führt mich durch lauter Leeres. Ihr rührt euch und rückt und bildet euch ein anders zu klingen als Stein auf Stein, aber ihr irrt euch: ich allein lebe und leide und lärme. In mir ist ein endloses Schrein und ich weiß nicht, schreit mir mein Herz oder meine Gedärme. Erkennt ihr die Lieder? Ihr sanget sie nicht nicht ganz in dieser Betonung. Euch kommt jeden Morgen das neue Licht warm in die offene Wohnung. Und ihr habt ein Gefühl von Gesicht zu Gesicht und das verleitet zur Schonung.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Das Lied des Blinden", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 3, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La chanson de l'aveugle", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 135.
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4. Das Lied des Trinkers  [sung text not yet checked]
Es war nicht in mir. Es ging aus und ein. Da wollt ich es halten. Da hielt es der Wein. (Ich weiß nicht mehr was es war.) Dann hielt er mir jenes und hielt mir dies bis ich mich ganz auf ihn verließ. Ich Narr. Jetzt bin ich in seinem Spiel und er streut mich verächtlich herum und verliert mich noch heut an dieses Vieh, an den Tod. Wenn der mich, schmutzige Karte, gewinnt, so kratzt er mit mir seinen grauen Grind und wirft mich fort in den Kot.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Das Lied des Trinkers", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 4, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La chanson de l'ivrogne", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 136.
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5. Das Lied der Witwe  [sung text not yet checked]
Am Anfang war mir das Leben gut. Es hielt mich warm, es machte mir Mut Daß es das allen Jungen tut, wie konnt ich das damals wissen. Ich wußte nicht, was das Leben war -, auf einmal war es nur Jahr und Jahr, nicht mehr gut, nicht mehr neu, nicht mehr wunderbar, wie mitten entzwei gerissen. Das war nicht Seine, nicht meine Schuld; wir hatten beide nichts als Geduld, aber der Tod hat keine. Ich sah ihn kommen (wie schlecht er kam), und ich schaute ihm zu wie er nahm und nahm: es war ja gar nicht das Meine. Was war denn das Meine; meines, mein? War mir nicht selbst mein Elendsein nur vom Schicksal geliehn? Das Schicksal will nicht nur das Glück, es will die Pein und das Schrein zurück und es kauft für alt den Ruin. Das Schicksal war da und erwarb für ein Nichts jeden Ausdruck meines Gesichts bis auf die Art zu gehn. Das war ein täglicher Ausverkauf und als ich leer war, gab es mich auf und ließ mich offen stehn.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Das Lied der Witwe", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 6, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La chanson de la veuve", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 138.
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6. Das Lied der Waise,  [sung text not yet checked]
Ich bin niemand und werde auch niemand sein. Jetzt bin ich ja zum Sein noch zu klein; aber auch später. Mütter und Väter, erbarmt euch mein. Zwar es lohnt nicht des Pflegens Müh: ich werde doch gemäht. Mich kann keiner brauchen: jetzt ist es zu früh und morgen ist es zu spät. Ich habe nur dieses eine Kleid, es wird dünn und es verbleicht, aber es hält eine Ewigkeit auch noch vor Gott vielleicht. Ich habe nur dieses bißchen Haar (immer dasselbe blieb), das einmal Eines Liebstes war. Nun hat er nichts mehr lieb.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Das Lied der Waise", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 8, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La chanson de l'orpheline", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 140.
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7. Das Lied des Zwerges  [sung text not yet checked]
Meine Seele ist vielleicht grad und gut; aber mein Herz, mein verbogenes Blut, alles das, was mir wehe tut, kann sie nicht aufrecht tragen. Sie hat keinen Garten, sie hat kein Bett, sie hängt an meinem scharfen Skelett mit entsetztem Flügelschlagen. Aus meinen Händen wird auch nichts mehr. Wie verkümmert sie sind: sieh her: zähe hüpfen sie, feucht und schwer, wie kleine Kröten nach Regen. Und das andre an mir ist abgetragen und alt und trist; warum zögert Gott, auf den Mist alles das hinzulegen. Ob er mir zürnt für mein Gesicht mit dem mürrischen Munde? Es war ja so oft bereit, ganz licht und klar zu werden im Grunde; aber nichts kam ihm je so dicht wie die großen Hunde. Und die Hunde haben das nicht.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Das Lied des Zwerges", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 9, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La chanson du nain", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 141.
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8. Das Lied des Aussätzigen  [sung text not yet checked]
Sieh, ich bin einer, den alles verlassen hat. Keiner weiß in der Stadt von mir, Aussatz hat mich befallen. Und ich schlage mein Klapperwerk, klopfe mein trauriges Augenmerk in die Ohren allen, die nahe vorübergehn. Und die es hölzern hören, sehn erst gar nicht her, und was hier geschehn, wollen sie nicht erfahren. Soweit der Klang meiner Klapper reicht, bin ich zuhause; aber vielleicht machst du meine Klapper so laut, daß sich keiner in meine Ferne traut, der mir jetzt aus der Nähe weicht. So daß ich sehr lange gehen kann, ohne Mädchen, Frau oder Mann oder Kind zu entdecken. Tiere will ich nicht schrecken.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Das Lied des Aussätzigen", appears in Das Buch der Bilder, in Die Stimmen: Neun Blätter mit einem Titelblatt, no. 10, first published 1906
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La chanson du lépreux", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Das Buch der Bilder von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Iminsel-Verlag, 1920, page 142.
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