Im Jardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein.
Zehn Lieder , opus 49
by (Rudolf) Walther Hirschberg (1889 - 1960)
1. Der Panther  [sung text not yet checked]
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Der Panther", appears in Neue Gedichte, first published 1892
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La panthère", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
2. Sankt Georg  [sung text not yet checked]
Und sie hatte ihn die ganze Nacht angerufen, hingekniet, die schwache wache Jungfrau: Siehe, dieser Drache, und ich weiß es nicht, warum er wacht. Und da brach er aus dem Morgengraun auf dem Falben, strahlend Helm und Haubert, und er sah sie, traurig und verzaubert aus dem Knieen aufwärtsschaun zu dem Glanze, der er war. Und er sprengte glänzend längs der Länder abwärts mit erhobnem Doppelhänder in die offene Gefahr, viel zu furchtbar, aber doch erfleht. Und sie kniete knieender, die Hände fester faltend, daß er sie bestände; denn sie wußte nicht, daß Der besteht, den ihr Herz, ihr reines und bereites, aus dem Licht des göttlichen Geleites niederreißt. Zuseiten seines Streites stand, wie Türme stehen, ihr Gebet.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Sankt Georg", appears in Der neuen Gedichte anderer Teil, first published 1908
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3. Letzter Abend  [sung text not yet checked]
(Aus dem Besitze Frau Nonnas) Und Nacht und fernes Fahren; denn der Train des ganzen Heeres zog am Park vorüber. Er aber hob den Blick vom Clavecin und spielte noch und sah zu ihr hinüber beinah wie man in einen Spiegel schaut: so sehr erfüllt von seinen jungen Zügen und wissend, wie sie seine Trauer trügen, schön und verführender bei jedem Laut. Doch plötzlich wars, als ob sich das verwische: sie stand wie mühsam in der Fensternische und hielt des Herzens drängendes Geklopf. Sein Spiel gab nach. Von draußen wehte Frische. Und seltsam fremd stand auf dem Spiegeltische der schwarze Tschako mit dem Totenkopf.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Letzter Abend", appears in Neue Gedichte, first published 1892
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Dernier soir", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
4. Pont du Carrousel  [sung text not yet checked]
Der blinde Mann der auf der Brücke steht, grau wie ein Markstein namenloser Reiche, er ist vielleicht das Ding, das immer gleiche, um das von fern die Sternenstunde geht, und der Gestirne stiller Mittelpunkt. Denn alles um ihn irrt und rinnt und prunkt. Er ist der unbewegliche Gerechte, in viele wirre Wege hingestellt; der dunkle Eingang in die Unterwelt bei einem oberflächlichen Geschlechte.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Pont du Carrousel"
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Buch der Bilder, Leipzig: Axel Junker Verlag, 1906, p.41
5. Eine Sybille  [sung text not yet checked]
Einst, vor Zeiten, nannte man sie alt. Doch sie blieb und kam dieselbe Straße täglich. Und man änderte die Maße, und man zählte sie wie einen Wald nach Jahrhunderten. Sie aber stand jeden Abend auf derselben Stelle, schwarz wie eine alte Zitadelle, hoch und hohl und ausgebrannt; von den Worten, die sich unbewacht wider ihren Willen in ihr mehrten, immerfort umschrieen und umflogen, während die schon wieder heimgekehrten dunkel unter ihren Augenbogen saßen, fertig für die Nacht.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Eine Sibylle", appears in Der neuen Gedichte anderer Teil
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Der neuen Gedichte anderer Teil, Leipzig: Insel-Verlag, 1919, p.17
6. Ein Prophet  [sung text not yet checked]
Ausgedehnt von riesigen Gesichten, hell von schein aus dem Verlauf der Gerichte, die ihn nie vernichten, - sind die Augen, schauend unter dichten Brauen. Und in seinem Innern richten sich schon wieder Worte auf, nicht die seinen (denn was wären seine und wie schonend wären sie vertan) andre, harte : Eisenstücke, Steine, die er schmelzen muß wie ein Vulkan, um sie in dem Ausbruch seines Mundes auszuwerfen, welcher flucht und flucht ; während seine Stirne , wie des Hundes Stirne, das zu tragen sucht, was der Herr von seiner Stirne nimmt : Dieser, Dieser, den sie alle fänden, folgten sie den großen Zeigehänden, die Ihn weisen wie Er ist : ergrimmt.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Ein Prophet", appears in Der neuen Gedichte anderer Teil
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Der neuen Gedichte anderer Teil, Leipzig: Insel-Verlag, 1919, p.92
7. Venus  [sung text not yet checked]
An diesem Morgen nach der Nacht, die bang vergangen war mit Rufen , Unruh, Aufruhr, -- brach alles Meer noch einmal auf und schrie. Und als der Schrei sich langsam wieder schloß und von der Himmel blassem Tag und Anfang herabfiel in der stummen Fische Abgrund -: gebar das Meer. Von erster Sonne schimmerte der Haarschaum der weiten Wogenscham, an deren Rand das Mädchen aufstand, weiß, verwirrt und feucht. So wie ein junges grünes Blatt sich rührt, sich reckt und Eingerolltes langsam aufschlägt, entfaltete ihr Leib sich in die Kühle hinein und in den unberührten Frühwind. Wie Monde stiegen klar die Kniee auf und tauchten in der Schenkel Wolkenränder; der Waden schmaler Schatten wich zurück, die Füße spannten sich und wurden licht, und die Gelenke lebten wie die Kehlen von Trinkenden . Und in dem Kelch des Beckens lag der Leib wie eine junge Frucht in eines Kindes Hand. In seines Nabels engem Becher war das ganze Dunkel dieses hellen Lebens. Darunter hob sich licht die kleine Welle und floß beständig über nach den Lenden, wo dann und wann ein stilles Rieseln war . Durchschienen aber und noch ohne Schatten, wie ein Bestand von Birken im April, warm, leer und unverborgen lag die Scham. Jetzt stand der Schultern rege Wage schon im Gleichgewichte auf dem graden Körper, der aus dem Becken wie ein Springbrunn aufstieg und zögernd in den langen Armen abfiel und rascher in dem vollen Fall des Haars. Dann ging sehr langsam das Gesicht vorbei : aus dem verkürzten Dunkel seiner Neigung in klares, wagrechtes Erhobensein. Und hinter ihm verschloß sich steil das Kinn. Jetzt, da der Hals gestreckt war wie ein Strahl und wie ein Blumenstiel, darin der Saft steigt, streckten sich auch die Arme aus wie Hälse von Schwänen, wenn sie nach dem Ufer suchen. Dann kam in dieses Leibes dunkle Frühe wie Morgenwind der erste Atemzug. Im zartesten Geäst der Aderbäume entstand ein Flüstern, und das Blut begann zu rauschen über seinen tiefen Stellen. Und dieser Wind wuchs an : nun warf er sich mit allem Atem in die neuen Brüste und füllte sie und drückte sich in sie, - daß sie wie Segel, von der Ferne voll, das leichte Mädchen nach dem Strande drängten. So landete die Göttin . Hinter ihr, die rasch dahinschritt durch die jungen Ufer, erhoben sich den ganzen Vormittag die Blumen und die Halme, warm, verwirrt wie aus Umarmung. Und sie ging und lief. Am Mittag aber, in der schwersten Stunde, hob sich das Meer noch einmal auf und warf einen Delphin an jene selbe Stelle. Tot, rot und offen .
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Geburt der Venus", appears in Neue Gedichte
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Band 1, Leipzig: Insel-Verlag, 1922, p.97
8. Lied vom Meer  [sung text not yet checked]
Uraltes Wehn vom Meer, Meerwind bei Nacht: du kommst zu keinem her; wenn einer wacht, so muß er sehn, wie er dich übersteht: uraltes Wehn vom Meer, welches weht [nur wie für]1 Ur-Gestein, lauter Raum reißend [von]2 weit herein . . . O wie fühlt dich ein treibender Feigenbaum oben im Mondschein.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Lied vom Meer", subtitle: "Capri. Piccola Marina", appears in Der neuen Gedichte anderer Teil
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Sharon Krebs) , "Song of the Sea", subtitle: "Capri. Piccola Marina", copyright © 2018, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Rainer Maria Rilke, Die Gedichte, Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1997, pages 546-547.
1 Jarnach: "wie nur für"; Zinsstag: "nur für die"2 Apostel, Paulsen: "wie"
9. Der Tod der Geliebten  [sung text not yet checked]
Er wußte nur vom Tod was alle wissen: daß er uns nimmt und in das Stumme stößt. Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen, nein, leis aus seinen Augen ausgelöst, hinüberglitt zu unbekannten Schatten, und als er fühlte, daß sie drüben nun wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten und ihre Weise wohlzutun: da wurden ihm die Toten so bekannt, als wäre er durch sie mit einem jeden ganz nah verwandt; er ließ die andern reden und glaubte nicht und nannte jenes Land das gutgelegene, das immersüße - Und tastete es ab für ihre Füße.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Der Tod der Geliebten", appears in Der neuen Gedichte anderer Teil, first published 1908
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , "La mort de l'estimada", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Sharon Krebs) , "The death of the beloved", copyright © 2018, (re)printed on this website with kind permission
- ITA Italian (Italiano) (Ferdinando Albeggiani) , "La morte dell'amata", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Rainer Maria Rilke, Die Gedichte, Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1997, pages 507-508.
10. Aus einer Kindheit  [sung text not yet checked]
Das Dunkeln war wie Reichtum in dem Raume, darin der Knabe, sehr verheimlicht, saß. Und als die Mutter eintrat wie im Traume, erzitterte im stillen Schrank ein Glas. Sie fühlte, wie das Zimmer sie verriet, und küßte ihren Knaben : Bist du hier? ... Dann schauten beide bang nach dem Klavier, denn manchen Abend hatte sie ein Lied, darin das Kind sich seltsam tief verfing. Es sa sehr still. Sein großes Schauen hing an ihrer Hand, die ganz gebeugt vom Ringe, als ob sie schwer in Schneewehn ginge, über die weißen Tasten ging.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Aus einer Kindheit", appears in Das Buch der Bilder
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Buch der Bilder, Leipzig: Insel-Verlag, 1913, p.25