Und wie mag die Liebe dir kommen sein? Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschein, Kam sie wie ein Beten? -- Erzähle: Ein Glück löste leuchtend [aus Himmeln]1 sich los Und hing mit gefalteten Schwingen groß An meiner blühenden Seele.
Eine Rainer-Maria-Rilke-Stunde
Song Cycle by Willy Kehrer (1902 - 1976)
1. Und wie mag die Liebe dir kommen sein  [sung text not yet checked]
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, written 1896, appears in Traumgekrönt, in Lieben, no. 1
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Knut W. Barde) , "And how might Love have come to you?", copyright ©, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Jean-Pierre Granger) , "Amour", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
1 Berg: "vom Himmel"
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2. Du hast so große Augen  [sung text not yet checked]
Du hast so grosse Augen, Kind. Du siehst gewiss oft nachts Gestalten, Die, fremd und bleich, in marmorkalten Traumhänden rothe Kronen halten, Um die ein Leuchten leise rinnt. Dann ist Dein Blick am Tag wie blind, Und Deine Seele wie zerspalten, Dann bangt Dir vor dem Alltagsalten, Wenn Wünsche sich in Dir entfalten, Die Allen andern Wahnsinn sind. Dann ist die Sehnsucht Dir erwacht, Stolz zu entfliehn den eitlen Schreiern Die plump, mit Händen, blöd und bleiern, Auf Deiner Silberseele leiern Das irre Lied, das sterblich macht. Zu fliehn in eine blaue Nacht, Drin alle Wipfel lauschend feiern, Der Glieder Hymne zu entschleiern Und scheu im Schooss von weissen Weihern Zu finden ihre nackte Pracht.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Advent
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Advent, Leipzig : P. Friesenhahn, 1898, p.71
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3. Und du warst so schön  [sung text not yet checked]
Und du warst schön. In deinem Auge schien sich Nacht und Sonne sieghaft zu versöhnen. Und Hoheit hüllte wie ein Hermelin dich ein: So kam dich meine Liebe krönen. Und meine nächteblasse Sehnsucht stand, weißbindig wie der Vesta Priesterin, an deines Seelentempels Säulenrand und streute lächelnd weiße Blüten hin.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Advent, in Funde, no. 23
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Erste Gedichte, Leipzig : Insel-Verlag, 1913
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4. Wie meine Träume nach dir schreien  [sung text not yet checked]
Wie meine Träume nach dir schrein. Wir sind uns mühsam fremd geworden, jetzt will es mir die Seele morden, dies arme, bange Einsamsein. Kein Hoffen, das die Segel bauscht. Nur diese weite, weiße Stille, in die mein tatenloser Wille in atemlosem Bangen lauscht.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Advent, in Funde, no. 22
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Erste Gedichte, Leipzig : Insel-Verlag, 1913, p.137
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5. Mir war so weh  [sung text not yet checked]
Mir war so weh. Ich sah Dich blass und bang. Das war im Traum. Und Deine Seele klang. Ganz leise tönte meine Seele mit Und beide Seelen sangen sich: Ich litt. Da wurde Friede tief in mir. Ich lag Im Silberhimmel zwischen Traum und Tag.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Advent
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Advent, Leipzig : P. Friesenhahn, 1898, p.68
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6. Ich weiß nicht, wie mir geschieht  [sung text not yet checked]
Ich weiß nicht, wie mir geschieht ... Weiß nicht, was Wonne ich lausche, mein Herz ist fort wie im Rausche, und die Sehnsucht ist wie ein Lied. Und mein Mädel hat fröhliches Blut und hat das Haar voller Sonne und die Augen von der Madonne, die heute noch Wunder tut.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Traumgekrönt, in Lieben, no. 4
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Erste Gedichte, Leipzig : Insel-Verlag, 1913
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7. Das war der Tag der weißen Chrysanthemen  [sung text not yet checked]
Das war der Tag der weißen Chrysanthemen, -- mir bangte fast vor seiner Pracht... Und dann, dann kamst du mir die Seele nehmen tief in der Nacht. Mir war so bang, und du kamst lieb und leise, -- ich hatte grad im Traum an dich gedacht. Du kamst, und leis wie eine Märchenweise erklang die Nacht....
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Traumgekrönt, in Lieben, no. 2
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , "Coronat de somnis", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Emily Ezust) , "Crowned by a dream", copyright ©
- FRE French (Français) (Guy Laffaille) , copyright © 2015, (re)printed on this website with kind permission
- ITA Italian (Italiano) (Ferdinando Albeggiani) , "Coronamento del sogno", copyright © 2006, (re)printed on this website with kind permission
- POR Portuguese (Português) (Elke Beatriz Riedel) , "Coroado em sonhos", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Erste Gedichte von Rainer Maria Rilke, Leipzig, Im Insel-Verlag, 1913.
Note: some lines of this poem were used in Zanettovich's Lied (mond - nacht - liebes - traum - lied)
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
8. Wir saßen beide in Gedanken  [sung text not yet checked]
Wir saßen beide in Gedanken im Weinblattdämmer — du und ich — und über uns in duftgen Ranken versummte wo ein Hummel sich. Reflexe hielten, bunte Kreise, in deinem Haare flüchtig Rast.... Ich sagte nichts als einmal leise: "Was du für schöne Augen hast."
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Traumgekrönt, in Lieben, no. 6
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Erste Gedichte, Leipzig: Insel-Verlag, 1918
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9. Einen Maitag mit dir beisammen sein  [sung text not yet checked]
Einen Maitag mit dir beisammen sein, und selbander verloren ziehn durch der Blüten duftqualmende Flammenreihn zu der Laube von weißem Jasmin. Und von dorten hinaus in den Maiblust schaun, jeder Wunsch in der Seele so still ... Und ein Glück sich mitten in Mailust baun, ein großes, das ists, was ich will ...
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Traumgekrönt, in Lieben, no. 3
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Gedichte, Leipzig: Insel-verlag, 1927, p.141
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
10. Ernste Stunde  [sung text not yet checked]
Wer jetzt weint irgendwo in der Welt, ohne Grund weint in der Welt, weint über mich. Wer jetzt lacht irgendwo in der Nacht, ohne Grund lacht in der Nacht, lacht mich aus. Wer jetzt geht irgendwo in der Welt, ohne Grund geht in der Welt, geht zu mir. Wer jetzt stirbt irgendwo in der Welt, ohne Grund stirbt in der Welt: sieht mich an.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Ernste Stunde", appears in Das Buch der Bilder, first published 1906
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Bertram Kottmann) , "Solemn hour", copyright © 2018, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Heure grave", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
11. Wort des Engels  [sung text not yet checked]
Die Worte des Engels Du bist nicht näher an Gott als wir; wir sind ihm alle weit. Aber wunderbar sind dir die Hände benedeit. So reifen sie bei keiner Frau, so schimmernd aus dem Saum: ich bin der Tag, ich bin der Tau, du aber bist der Baum. Ich bin jetzt matt, mein Weg war weit, vergieb mir, ich vergaß, was Er, der groß in Goldgeschmeid wie in der Sonne saß, dir künden ließ, du Sinnende, (verwirrt hat mich der Raum). Sieh: ich bin das Beginnende, du aber bist der Baum. Ich spannte meine Schwingen aus und wurde seltsam weit; jetzt überfließt dein kleines Haus von meinem großen Kleid. Und dennoch bist du so allein wie nie und schaust mich kaum; das macht: ich bin ein Hauch im Hain, du aber bist der Baum. [Die Engel alle bangen so, lassen einander los: noch nie war das Verlangen so, so ungewiss und groß. Vielleicht, dass Etwas bald geschieht, das du im Traum begreifst.]1 Gegrüßt sei, meine Seele sieht: du bist bereit und reifst. Du bist ein großes, hohes Tor, und aufgehn wirst du bald. Du, meines Liedes liebstes Ohr, jetzt fühle ich: mein Wort verlor sich in dir wie im Wald. So kam ich und vollendete dir tausendeinen Traum. Gott sah mich an; er blendete... Du aber bist der Baum.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Verkündigung", written 1899
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View original text (without footnotes)1 omitted by T. Schubert.
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
12. Der Tod ist groß  [sung text not yet checked]
Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Schlußstück", appears in Das Buch der Bilder, first published 1920
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , "Conclusió", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Salvador Pila) , "Conclusion", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Mathias Rüegg) , copyright ©
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Finale", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
13. Herbst  [sung text not yet checked]
Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh die andre an: es ist in allen. Und doch ist einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Herbst", appears in Das Buch der Bilder, first published 1920
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (John H. Campbell) , no title, copyright ©, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Bertram Kottmann) , "Autumn", copyright © 2005, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Walter A. Aue) , "Fall", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Bertram Kottmann) , "Fall", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Gary Bachlund) , "Fall", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Automne", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
- ITA Italian (Italiano) (Ferdinando Albeggiani) , "Autunno", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
14. Zum Einschlafen zu singen  [sung text not yet checked]
Ich möchte jemanden einsingen, bei jemandem sitzen und sein. Ich möchte dich wiegen und kleinsingen und begleiten schlafaus und schlafein. Ich möchte der Einzige sein im Haus, der wüsste: die Nacht war kalt. Und möchte horchen herein und hinaus in dich, in die Welt, in den Wald. Die Uhren rufen sich schlagend an, und man sieht der Zeit auf den Grund. Und unten geht noch ein fremder Mann und stört einen fremden Hund. Dahinter wird Stille. Ich habe groß die Augen auf dich gelegt; und sie halten dich sanft und lassen dich los, wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Zum Einschlafen zu sagen", written 1900, appears in Das Buch der Bilder, first published 1920
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "À dire pour endormir", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
15. Von den Mädchen  [sung text not yet checked]
Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen das zu sagen, was ihr einsam seid; und sie lernen leben an euch Fernen, wie die Abende an großen Sternen sich gewöhnen an die Ewigkeit. Keine darf sich je dem Dichter schenken, wenn sein Auge auch um Frauen bat; denn er kann euch nur als Mädchen denken: das Gefühl in euren Handgelenken würde brechen von Brokat. lasst ihn einsam sein in seinem Garten, wo er euch wie Ewige empfing auf den Wegen, die er täglich ging, bei den Bänken, welche schattig warten, und im Zimmer, wo die Laute hing. Geht! ... es dunkelt. Seine Sinne suchen eure Stimme und Gestalt nicht mehr. Und die Wege liebt er lang und leer und kein Weißes unter dunklen Buchen, - und die stumme Stube liebt er sehr. ... Eure Stimmen hört er ferne gehn (unter Menschen, die er müde meidet) und: sein zärtliches Gedenken leidet im Gefühle, dass euch viele sehn.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Buch der Bilder, in Von den Mädchen, no. 2
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, rainer-maria-rilke.de/06a006vondenmaedchen.html
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
16. Mädchenmelodie  [sung text not yet checked]
Mir fällt ein junger Ritter ein fast wie ein alter Spruch. Der kam. So kommt manchmal im Hain der große Sturm und hüllt dich ein. Der ging. So läßt das Benedein der großen Glocken dich allein oft mitten im Gebet... Dann willst du in die Stille schrein, und weinst doch nur ganz leis hinein tief in dein kühles Tuch. Mir fällt ein junger Ritter ein, der weit in Waffen geht. Sein Lächeln war so weich und fein: wie Glanz auf altem Elfenbein, wie Heimweh, wie ein Weihnachtsschnein im dunkeln Dorf, wie Türkisstein um den sich lauter Perlen reihn, wie Mondenschein auf einem lieben Buch.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Mädchenmelancholie", appears in Das Buch der Bilder
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Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]17. Der Knabe  [sung text not yet checked]
Ich möchte einer werden so wie die, die durch die Nacht mit wilden Pferden fahren, mit Fackeln, die gleich aufgegangnen Haaren in ihres Jagens großem Winde wehn. Vorn möcht ich stehen wie in einem Kahne, groß und wie eine Fahne aufgerollt. Dunkel, aber mit einem Helm von Gold, der unruhig glänzt. Und hinter mir gereiht zehn Männer aus derselben Dunkelheit mit Helmen, die, wie meiner, unstät sind, bald klar wie Glas, bald dunkel, alt und blind. Und einer steht bei mir und bläst uns Raum mit der Trompete, welche blitzt und schreit, und bläst uns eine schwarze Einsamkeit, durch die wir rasen wie ein rascher Traum: Die Häuser fallen hinter uns ins Knie, die Gassen biegen sich uns schief entgegen, die Plätze weichen aus: wir fassen sie, und unsre Rosse rauschen wie ein Regen.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Der Knabe", appears in Das Buch der Bilder, first published 1920
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Sharon Krebs) , "The lad", copyright © 2024, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Le garçon", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Rainer Maria Rilke, Die Gedichte, Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1997, page 332.
Research team for this page: Emily Ezust [Administrator] , Sharon Krebs [Guest Editor]
18. Es wird nicht Ruhe in den Häusern  [sung text not yet checked]
Es wird nicht Ruhe in den Häusern, sei's dass einer stirbt und sie ihn weitertragen, sei es dass wer auf heimliches Geheiß den Pilgerstock nimmt und den Pilgerkragen, um in der Fremde nach dem Weg zu fragen, auf welchem er dich warten weiß. Die Straßen werden derer niemals leer, die zu dir wollen wie zu jener Rose, die alle tausend Jahre einmal blüht. Viel dunkles Volk und beinah Namenlose, und wenn sie dich erreichen, sind sie müd. Aber ich habe ihren Zug gesehn; und glaube seither, dass die Winde wehn aus ihren Mänteln, welche sich bewegen, und stille sind wenn sie sich niederlegen -: so groß war in den Ebenen ihr Gehn.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 2. Das Buch von der Pilgerschaft, no. 27
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Stundenbuch, Leipzig: Insel-Verlag, 1918.
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19. Lied des Pilgers  [sung text not yet checked]
Auch du wirst groß sein. Größer noch als einer, der jetzt schon leben muß, dich sagen kann. Viel ungewöhnlicher und ungemeiner und noch viel älter als ein alter Mann. Man wird dich fühlen: daß ein Duften ginge aus eines Gartens naher Gegenwart; und wie ein Kranker seine liebsten Dinge wird man dich lieben ahnungsvoll und zart. Es wird kein Beten geben, das die Leute zusammenschart. Du bist nicht im Verein; und wer dich fühlte und sich an dir freute, wird wie der Einzige auf Erden sein: ein Ausgestoßener und ein Vereinter, gesammelt und vergeudet doch zugleich; ein Lächelnder und doch ein Halbverweinter, klein wie ein Haus und mächtig wie ein Reich.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 2. Das Buch von der Pilgerschaft, no. 26
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Stundenbuch, Leipzig: Insel-Verlag, 1918, p.72
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20. Alles wird wieder groß sein und gewaltig  [sung text not yet checked]
Alles wird wieder groß sein und gewaltig. Die Lande einfach und die Wasser faltig, die Bäume riesig und sehr klein die Mauern; und in den Tälern, stark und vielgestaltig, ein Volk von Hirten und von Ackerbauern. Und keine Kirchen, welche Gott umklammern wie einen Flüchtling und ihn dann bejammern wie ein gefangenes und wundes Tier, – die Häuser gastlich allen Einlaßklopfern und ein Gefühl von unbegrenztem Opfern in allem Handeln und in dir und mir. Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben, nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn und dienend sich am Irdischen zu üben, um seinen Händen nicht mehr neu zu sein.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 2. Das Buch von der Pilgerschaft, no. 25
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Stunden-Buch, Leipzig : Insel-Verlag, 1918, p.71
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21. Ich finde dich in allen diesen Dingen  [sung text not yet checked]
Ich finde dich in allen diesen Dingen, denen ich gut und wie ein Bruder bin; als Samen sonnst du dich in den geringen und in den großen giebst du groß dich hin. Das ist das wundersame Spiel der Kräfte, dass sie so dienend durch die Dinge gehn: in Wurzeln wachsend, schwindend in die Schäfte und in den Wipfeln wie ein Auferstehn.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Ich finde dich in allen diesen Dingen", written 1899, appears in Das Stundenbuch, in 1. Das Buch vom mönchischen Leben , no. 22, first published 1905
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Je te trouve en toutes ces choses", copyright © 2012, (re)printed on this website with kind permission
22. Ich weiß, du bist der Rätselhafte  [sung text not yet checked]
Ich weiß: Du bist der Rätselhafte, um den die Zeit in Zögern stand. O wie so schön ich dich erschaffte in einer Stunde, die mich straffte, in einer Hoffart meiner Hand. Ich zeichnete viel ziere Risse, behorchte alle Hindernisse, – dann wurden mir die Pläne krank: es wirrten sich wie Dorngerank die Linien und die Ovale, bis tief in mir mit einem Male aus einem Griff ins Ungewisse die frommste aller Formen sprang. Ich kann mein Werk nicht überschaun und fühle doch: es steht vollendet. Aber, die Augen abgewendet, will ich es immer wieder baun
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Das Stundenbuch, in 1. Das Buch vom mönchischen Leben , no. 47
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Das Stundenbuch, Leipzig : Insel-Verlag, 1918, p.33
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
23. Ausklang  [sung text not yet checked]
Horch, der Schritt der Nacht erstirbt in der weiten Stille; meine Schreibtischlampe zirpt leis wie eine Grille. Goldig auf dem Bücherstand glühn der Bände Rücken: zu der Fahrt ins Feenland Pfeiler für die Brücken.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Erste Gedichte, in Larenopfer, in Vigilien, no. 3
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Erste Gedichte, Liepzig : Insel-Verlag, 1913
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
24. Advent  [sung text not yet checked]
Es treibt der Wind im Winterwalde die Flockenherde wie ein Hirt und manche Tanne ahnt, wie balde sie fromm und lichterheilig wird, und lauscht hinaus. Den weißen Wegen streckt sie die Zweige hin, bereit und wehrt dem Wind und wächst engegen der einen Nacht der Herrlichkeit.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Advent", written 1897, appears in Advent, first published 1898
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English [singable] (Bertram Kottmann) , "Advent", copyright © 2010, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Walter A. Aue) , "Advent", copyright © 2013, (re)printed on this website with kind permission
Confirmed with Rainer Maria Rilke, Advent, Leipzig: P. Friesenhahn, 1898, page 5.
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
25. Traumgekrönt. IV Laß mich bei dir  [sung text not yet checked]
Subtitle: Duett aus dem Opernfragment Die weiße Fürstin
Die Hinterbühne: Eine fürstliche Villa (gegen Ende des XVI. Jahrhunderts). Auf offener Loggia von fünf Bogen ein einfaches, geschlossenes Pilastergeschoß. Davor eine von Statuen eingefaßte Terrasse, von der sich eine Treppe mit breiten Stufen nach dem Garten niederläßt. Im Hintergrunde, hinter der Villa: der Park. Die Mittelbühne: Der Garten; Lorbeerbüsche, Maulbeerbäume und in der Mitte, auf die Treppe zu, eine Platanenallee. Vorn links: eine Steinbank mit Kissen und die Bildsäule einer vielbrüstigen Göttin. Die Vorderbühne: Steiniger Strand (mit Landungssteg) und das Meer, welches von der Seite des Zuschauers her gegen die Szene wogt, in gleichmäßig landender Bewegung. Die Villa spiegelt den Himmel und die Weite des Meeres. Figuren Die weisse Fürstin. Ihre Schwester Monna Lara. Der Haushofmeister Amadeo. Zwei Mönche in schwarzer Maske. Ein Bote. DIE WEISSE FÜRSTIN Sie lehnt vorn auf der Steinbank. Sie trägt ein weiches, weisses Gewand. In ihren Augen ist warten und lauschen. Pause. AMADEO, DER ALTE In schwarzer Haustracht, ernst. Er neigt sich tief. Der Fürst ist fort. DIE WEISSE FÜRSTIN senkt leise die Stirne Pause AMADEO, DER ALTE Und was gebietet Ihr? Pause DIE WEISSE FÜRSTIN in Gedanken Es ist zum erstenmal, daß uns der Fürst verläßt, nicht wahr? AMADEO, DER ALTE Es ist zum erstenmal seit Eurem Hochzeitsfest. DIE WEISSE FÜRSTIN Und das ist lange. AMADEO, DER ALTE Es ist das elfte Jahr, seit wir das Tor geschmückt Euch zum Empfange. Pause DIE WEISSE FÜRSTIN Man muß nicht denken, daß das viele sind. Ich war ein Kind. AMADEO, DER ALTE Ich kann mich noch entsinnen; der Kranz schien viel zu früh für Euer Haupt-- Er zögert ängstlich aber aus Kindern werden Königinnen... DIE WEISSE FÜRSTIN Ja, wenn man ihnen alle Rosen raubt und alle Mythen und mit den reifenden Orangenblüten die Stirn umlaubt, bis sie die Schatten glaubt, die kalt vom frühen Brautkranz auf sie niederrinnen: dann werden aus den Kindern - Königinnen. Pause Sie erhebt sich, lebhafter Der Fürst nahm viele Diener in den Wald? Rasch Send alle fort, mach mir die Säle leer, daß keiner mir begegne in den Gängen; denn mir soll sein, als käm ich heute her zu fingen und die Säulen zu umwinden mit Fruchtgehängen, dichtgefügt und schwer. AMADEO, DER ALTE Befehlt, ich werde einen Vorwand finden und das Gefinde in die Winde streun; ich aber darf wohl Euern Tag betreun? DIE WEISSE FÜRSTIN Nein. Geh auch du. Mir ist, du wolltest längst nach Pietrasanta, deine Enkel ſehn. Heut soll's geschehn. AMADEO, DER ALTE Ihr wiẞt so gütig meiner zu gedenken... DIE WEISSE FÜRSTIN Ich bin nicht gut. Ich kann dich nur beschenken, weil du mit gleicher Freiheit mich beschenkst. Und weil du so an Monna Lara hängst, so nimm sie mit zu deinen klugen Kleinen. AMADEO, DER ALTE Das ist ein Goldenes, das Ihr mir gönnt. DIE WEISSE FÜRSTIN Und dann vergeßt nicht: Seide nehmt und Leinen aus meinen Schränken mit, so viel Ihr könnt. AMADEO, DER ALTE Ihr macht uns reich. DIE WEISSE FÜRSTIN Könnt ich Euch forglos machen! Wer hat denn Zeit- das Leben ist so viel—, an Not zu denken, an die kleinen Sachen, da doch in uns die großen Dinge wachen. Man soll nicht weinen und man soll nicht lachen ; hingleiten soll man wie ein sanfter Nachen und horchen auf des eignen Kieles Spiel. Pause Verzeiht, ich rede aus Gedanken. Seht, die sind in mir so seltsam aufgeschichtet, so Jahr um Jahr. Wie einer, welcher dichtet und einer, der sehr alt ist, das und das in seinem Innern findet. - Aber, geht, und wenn Ihr wiederkommt, erzählt mir was, woran ein Kind sich freuen kann. Es steht Euch Freudiges bevor. Vielleicht auch mir. Wir wollen aneinander denken. AMADEO, DER ALTE verneigt sich tief. Er geht durch die Platanenallee auf das Haus zu und quer über die Terraffe Pause DIE WEISSE FÜRSTIN tritt ganz an den Rand der Küste. In ihren Augen ift das Meer. Sie hebt langfam die Arme und hält sie eine Weile weit ausgebreitet Pause MONNA LARA kommt von der Terrasse her. Sie trägt ein hängendes Kleid aus verblichenem Blau. Leife legt sie den Arm um die Fürstin. Sie schauen beide aufs Meer Pause MONNA LARA leise Laß mich bei dir. Pause DIE WEISSE FÜRSTIN Du liebst doch Kinder, nicht? MONNA LARA Ich liebe dich. Kleine Paufe DIE WEISSE FÜRSTIN Du weißt, nicht wer ich bin. MONNA LARA wendet das Haupt und sieht der Schwester ins Gesicht DIE WEISSE FÜRSTIN Du Kind... MONNA LARA Ob wir im Traum nicht manchmal älter sind? Da sah ich dich. Da warst du wie ein Baum. Du standest einsam und so jung von Grün und warst von einem Abend angeglüht, und ich ging hin und kam ganz nah und sah und sagte laut : Du hast noch nicht geblüht. Und fragte dich: Wann wirst du blühn? DIE WEISSE FÜRSTIN nimmt ihre beiden Hände leise Nun stell dir vor, der Traum sei nicht vorbei. Sei tief im Traum, du Schlafende. Es ſei dein Traum und meiner. Hast du oft geträumt, so weißt du auch, wie unberechenbar der Traum uns trägt. Er wendet sich, er bäumt sich auf, und er ist voll Gefahr. Er rennt und jagt, dann wieder steht er still und will nicht weiter; und er zittert so, wie Pferde zittern, wenn von irgendwo genau derselbe Reiter noch einmal entgegenkommt, genau dasfelbe Tier, derselbe Herr darauf, verzerrt und fahl . So, nicht wahr, ohne Abſehn träumen wir. Du weißt, im Traume kann so vielerlei geschehn, und es kann so verwandelt sein. Wie eine Blume lautlos schläfft du ein, und du erwachst vielleicht in einem Schrei ... MONNA LARA Doch Traum ist Traum. Das kommt und das vergeht. Und wenn es Morgen ist, so glänzt das Haus, und alle Träume sehen anders aus ... DIE WEISSE FÜRSTIN Und sind doch ewig in uns eingewebt. Bedenk, ist irgend Leben mehr erlebt als deiner Träume Bilder? Und mehr dein? Du schläfft, allein. Die Türe ist verriegelt. Nichts kann geschehn. Und doch, von dir gespiegelt, hängt eine fremde Welt in dich hinein. Pause So lag ich oft. Und draußen war ein Wandern, da nahte, da entfernte sich ein Schritt; mir aber war's der Herzschlag eines andern, der draußen schlug und den ich drinnen litt. Ich litt ihn, wie ein Tier den Tod erleidet, ich konnte keinem fagen, was mir war. Aber am Morgen kämmten sie mein Haar, und immer wieder ward ich angekleidet für einen Tag: —mir schien es für ein Jahr. Mir war, als ob das ganze Leben stände, solang ich wachte; alles, was geschah, fiel mir vorbei den Träumen in die Hände jetzt aber weiß ich : es ist dennoch da. Die Welt ist groß, doch in uns wird sie tief wie Meeresgrund. Es hat fast nichts zu sagen, ob einer wachte oder schlief, - --- er hat sein ganzes Leben doch getragen, ein Leid wird dennoch sein, und es verliet sein Glück sich nicht. Tief unter schwerer Ruh geschieht Notwendiges in halbem Lichte, und endlich kommt, mit strahlendem Gefichte, sein Schickfal dennoch auf ihn zu. MONNA LARA Ich weiß nicht, Schwester, was du sagst. Ich seh dich nur. Es tut mir alles weh von dir. Du bist so schwer. Und doch will ich mehr von dir wissen. Ich will eine Nacht auf deinem Kissen schlafen. Ich will am Morgen dein warmes Haar kämmen— drei Stunden- solang meines Armes Kraft ist. Ich will dir dienen. DIE WEISSE FÜRSTIN Du bist mir nie so erwachsen erschienen. MONNA LARA Ich will mit dir weinen DIE WEISSE FÜRSTIN Ich weine nicht. Ich denke an Einen MONNA LARA Denkst du ihn klar? Ich möchte so gerne an einen denken, aber ich kann mich in keinen versenken; jeder zerfließt mir so sonderbar. DIE WEISSE FÜRSTIN Ich fühle ihn klarer Jahr um Jahr. Er hat dich einmal an der Hand gehalten, (da warst du klein). Dir war er Gestalt unter großen Gestalten, mir war er nicht mein. Aber in einer Nacht, in der einen, da ich lange und ungeftillt weinte, da bildete sich sein Bild aus meinen Händen unter dem Weinen. Und seither wuchs es in mir heran wie Knaben wachsen; und ist ein Mann. MONNA LARA Das kann also sein: daß man tief vergißt, um tief zu gedenken... DIE WEISSE FÜRSTIN Wir sind des Falles entfernter Dinge dämmernder Schacht - MONNA LARA Und meine Tage? Und Nacht um Nacht? Und ich soll warten? - Gott, wie ist alles lange und langsam, was Leben ist. DIE WEISSE FÜRSTIN Du liebe kleine Schweſter, sei nicht bange; bedenke, das ist alles unser Traum ; da kann das Kurze lang sein, und das Lange ist ohne Ende. Und die Zeit ist Raum. Sie nimmt Monna Laras Haupt in ihre beiden Hände und küßt ihre Stirne mit langer milder Zärtlichkeit. Amadeo, der Alte, der seit einer Weile in der Allee gestanden hat, kommt vorsichtig näher; er verneigt sich AMADEO, DER ALTE Frau Fürstin DIE WEISSE FÜRSTIN Seid Ihr noch nicht fort? AMADEO, DER ALTE Verzeiht. Zum Aufbruch waren wir bereit, da kam ein Bote in verstaubtem Kleid mit einem Brief; jetzt wartet er im Saal. DIE WEISSE FÜRSTIN Ich will ihn sehn. Amadeo, der Alte, verneigt sich DIE WEISSE FÜRSTIN Und Monna Lara wird ein andres Mal zu Euren blonden Enkeln Euch begleiten. MONNA LARA zu Amadeo Wir wollen einmal früh hinüberreiten an einem Sommermorgen, Ihr und ich ; mein alter Freund, heut grüß ich sie vom weiten, ich bin zu traurig und zu feierlich….. AMADEO, DER ALTE verneigt sich tief. Geht in das Haus MONNA LARA nachdenklich lächelnd Zu feierlich für Kinder. Und doch Kind. Nicht wahr? Was sonft. Etwas verwandelt sich, etwas fällt ab von mir. Doch es beginnt noch nicht das Nächste. Meine Hände find Zugvögel, die zum erstenmal das Meer hinüberfliegen; da ist keine Stelle. Und sie verfuchen, die und jene Welle zu merken für den Weg der Wiederkehr ― DIE WEISSE FÜRSTIN nimmt ihre beiden Hände und betrachtet sie Sie scheinen sich allein; doch fliegen Schwärme desselben Weges zu den heißen Hügeln; der Himmel liegt auf Millionen Flügeln. Und alle kommen in die große Wärme. Indessen ist der Bote schnellen Schrittes in der Allee näher gekommen; da Monna Lara ihn gewahrt, macht sie sich frei und sieht ihm entgegen. Plötzlich, wie in Angst MONNA LARA Soll ich hineingehn? Bist du gern allein? DIE WEISSE FÜRSTIN Nein. Wenn du gehst, so gehst du nur zum Schein. Denn was bedeutet es, geht Baum nach Baum an dir vorbei. Das, was du bist, das rührt sich kaum. Du bist nicht fort und ich bin nicht allein. Der Bote geht auf die Fürstin zu und reicht ihr einen Brief. Er geht hierauf bis an den Anfang der Allee zurück. 'Die Fürstin öffnet ihn und reicht ihn, ohne zu lesen, Monna Lara; sie lächelt. DIE WEISSE FÜRSTIN Ich weiß die Botschaft. Lange. Aber lies. MONNA LARA sie liest aufmerksam, fast angestrengt Und wenn du winkest... Was bedeutet dies? DIE WEISSE FÜRSTIN Daß ich allein bin. Daß ich hier gebiete. Daß seine Barke landen kann am Strand. Und daß ich einen, welcher uns verriete, erwürgen würde: hier, mit dieser Hand. MONNA LARA staunend So soll er kommen, heute, her? Am Parke hier wird er landen, wirklich, wie ein Gast? DIE WEISSE FÜRSTIN Hast du das nicht gewußt? MONNA LARA Es war mir fast, als ginge heute etwas auf uns zu. Mit plötzlicher Bewunderung Du Liebliche, du Wundersame, Starke. DIE WEISSE FÜRSTIN in Gedanken Er schickt noch einen Brief, das große Kind. Er muß noch schreiben, dieser liebe Knabe: «Schau her, ich komme» .. Ist mein Blut denn blind? Und noch ein Bote. Hundert Boten habe ich heute schon empfangen. Duft und Wind, Gesang und Stille, fernes Wagenrollen, ein Vogelruf, und du, dein Bleibenwollen --- was war nicht Bote? Wieviel Boten stehn vor meinem Herzen, — gehn mir im Gehöre und drängen sich in meine Adern - ach! Und er besorgt noch, daß ich ihn verlöre. MONNA LARA Ich kann verstehen, daß er tausendfach sich sichern will. Wenn etwas noch geschähe, wenn ein Geschick sich wendete und drohte, o welche Angst ist diese große Nähe von Kommendem... DIE WEISSE FÜRSTIN Der Bote. Er wartet noch, und wir vergessen ihn. Sie winkt. Der Bote tritt herzu und verneigt sich Ihr sollt Euch stärken, Freund. Die Sonne schien auf Euern Brief. Der Weg war weit und heiß. Ihr seid aus Lucca? DER BOTE Wie Ihr sagt. DIE WEISSE FÜRSTIN Ich weiß. Wie steht es in der Stadt? DER BOTE Erlauchte Frau, grau ist die Stadt. Wie dieser Staub so grau. Sie steht, als stünde Frohes nicht bevor. Sie war ganz ohne Stimme, nur am Tor, da rauften sich die Wachen, da ich ging, und schrien mich an und fielen nach mir aus. Ich dankte Gott, daß ich mich nicht verfing in dieses Hauen. Heil kam ich heraus DIE WEISSE FÜRSTIN läßt sich vorn auf der Bank nieder; während des folgenden hört sie immer weniger auf die Worte des Boten und versinkt in sich selbst, mit weiten Augen hinausfchauend aufs Meer Und wandertet, vermut ich, voller Mut und heil des Weges? War der Weg denn gut? DER BOTE Der Weg war gut, erlauchte Frau. Er bot zwar wenig Schatten. Aber das war besser, als durch die Dörfer kommen. Wie durch Messer, so ging man durch den Ausschrei ihrer Not. Da ist der Tod, erlauchte Frau, der Tod. Ich sah ein Haus, in seiner Türe schrie ein schwangres Weib und riẞ sich an den Haaren. Und viele Frauen, die nicht schwanger waren das macht die Angst, so denk ich — schrien wie sie. Und da und dort ging einer mir vorbei und griff auf einmal so ins Ungewisse und biß die Luft, und plötzlich durch die Bisse des blauen Mundes drängte sich ein Schrei. Ein Schrei, das sagt man so, wer läßt sich stören? Ich habe viele Männer schreien hören, und es kam vor, ich habe selbst geschrien; doch niemals hört ich einen schrein wie ihn. Ja, es gibt Dinge, die man nicht vergißt: - da war die Angst, die in den Tieren ist, die Angst von Weibern, wenn sie irre kreißen, die Angst von kleinen Kindern war darin, — und das ergriff ihn, und das warf ihn hin, und das war so, als müßt es ihn zerreißen. MONNA LARA, die den Boten starr ansieht, tritt scheu an die Bank zurück. Sie zwingt sich zu sagen War das in San Terenzo, was ihr saht? DER BOTE Nein, edles Fräulein. In Vezzano war es. In San Terenzo war es still. Ich trat in eine Kirche ein und bat im Lichte eines einzigen Altares um gute Reife. Ich war ganz allein. Doch in Sarzana, in der Kathedrale, da sangen sie. Was sag ich, singen? Nein, auch das war Schreien: wie mit einemmale an Siebenhundert und die Orgel schrien. Sie knieten, Fräulein. Ihre Hälfe waren wie Stengel vom Rhabarber, stimmenstrotzend. Die Augen waren bei den Männern glotzend, wie Munde offen, bei den Frauen zu. Sogar die Kinder hatten keine Ruh: wie lange Hälse streckten sie die Arme und hielten sie wie einen zweiten Mund aus dem Gedränge, aus dem warmen Schwarme; erbarme! brüllten sie, erbarme! Und: erbarme ! donnerte im Hintergrund der breite Bischof vor dem Hochaltare das Tabernakel an, so daß die klare Monstranz erzitterte und schien, als sende sie Blicke aus. Sie aber schrien, es war als zöge Gott sie an dem obern Ende der langen Stimmen wie an langem Haar. Und als ich mich zwischen die andern schob, empfand ich (noch empfind ich's an den Sohlen) , daß sich die ganze Kathedrale hobund wieder senkte, wie ein Atemholen. - Das war ein Wunder. Wunder tun uns not. Ihr habt das nicht gesehen, wie der Tod da kommt und geht, ganz wie im eignen Haus; und ist nicht unser Tod, ein fremder, aus ... aus irgendeiner grundverhurten Stadt, kein Tod von Gott befoldet ... DIE WEISSE FÜRSTIN sieht plötzlich auf Tod? Was hat er da gesagt? MONNA LARA Ich bitte dich, befiehl ihm, daß er ginge. Mir graut vor ihm, er redet solche Dinge — DER BOTE Ein fremder Tod sag ich, den keiner kennt, er aber ist bekannt mit einem jeden... DIE WEISSE FÜRSTIN sieht Monna Laras Angst Verzeih, ich ließ ihn immer weiter reden, mir klang's von ferne wie ein Instrument. Sie gewahrt, daß Monna Lara in ihrer Erregung den Brief, der sie immer noch hielt, ganz zerrissen hat. Lächelnd Und sieh, mein Brief ... Monna Lara erschrickt DIE WEISSE FÜRSTIN ohne Vorwurf So leben deine Hände für sich allein zum Boten Mein guter Freund, es wohnt im Meierhofe mancher Mann; der stände Euch besser zu Gehör, daß es sich lohnt. Hier find nur Frauen und find ungewohnt so ernsthaften Gespräches. Ihr verschont uns sicher gern, vor allem dieses Kind DER BOTE tritt zurück und verneigt sich Verzeiht, erlauchte Frau, ich war wie blind, daß ich nicht sah, wie es dem Fräulein schadet. Es riẞ mich mit, wie schon die Worte sind. Doch wenn Ihr mich zu einem noch begnadet, so laßt mich's fagen. DIEWEISSE FÜRSTIN Wenn es mild ist, sprecht. DER BOTE Ihr seid so unbewacht. Das ist nicht recht. Der Park ist offen wie des Herrgotts Land und hier am Strande kann ein jeder gehen. Da denk ich mir, verzeiht, es kann geschehen, daß diese Hunde kommen; nah von hier gehn sie schon um. Da sah ich ihrer vier raubvogelhaft vor einem Haus gespenstern; sie warten überall und dauern aus, und winkt man ihnen furchtsam aus den Fenstern, so kommen sie und holen aus dem Haus was Totes da ist: Kinder, Männer, Frauen, — sie nehmen alles, ohne Unterschied. Man sagt, daß sie auch nach den Kranken schauen ; doch wie sie schauen? Ja, weiß Gott, man sieht nicht ihr Gesicht. Es geht ein kaltes Grauen von ihnen aus. Ich könnte keinem trauen. Das was sie tun mag ja barmherzig sein und christlich gut: sie sorgen für die Toten und tragen sie hinaus, so ist's geboten, was aber tragen sie ins Haus hinein? Und wenn sie draußen stehn im Feuerschein und wenn von ihren hohen Leichenhaufen aus Rauch und Schauder sich die Flamme hebt, dann gehn sie in dem Feuer aus und ein. Es ist als hätte, wer noch lebt, die Pflicht, sich von den Brüdern freizukaufen ... DIE WEISSE FÜRSTIN Das müßt Ihr tun, mein Freund; das Lösegeld will ich Euch morgen senden. Bleibt zur Nacht im Meierhofe, dort seid Ihr bewacht und könnt geruhig schlafen und der Welt erhalten bleiben. Geht in Gottes Namen. DER BOTE Dank und Vergebung, sehr erlauchte Damen, für meine läftige Beredsamkeit. Es tut in dieser wunderlichen Zeit so gut, zu sprechen von der Dinge Lauf. Dank, und vergeßt nicht, stellet Wachen auf, besser ist besser; sie sind wie die Kletten und hängen sich an einen an und betten den Scheiterhaufen auf, so daß man denkt, es bliebe einem selber nicht geschenkt darauf zu schlafen. DIE WEISSE FÜRSTIN Nun, für diesmal mag Euch noch ein andres Bette wärmen. So. Nun, hoff ich, seid Ihr auch getrost und froh, und schlaft Euch Mut zu einem Heimkehrtag. DER BOTE verneigt sich tief und geht durch die Allee ab MONNA LARA die ganz reglos dagestanden hatte, bricht plötzlich in Weinen aus. Die Fürstin zieht sie neben sich auf die Bank, und sie legt ihr weinendes Haupt in den Arm ihrer Schwester DIE WEISSE FÜRSTIN Mein liebes Kind, bist du erregt? Du mußt nicht bange sein; das ist Geschwätz, geschart um feige Furcht, geringe Redensart — MONNA LARA Ich habe alles dieses nicht gewußt... Nun kommt auf einmal alles über mich, nun bricht es über mich herein, und ich, ich ahne jetzt erst, daß das Leben droht. Daß das nicht Leben war das sanfte Sein, das sich mir bot, — wer lebt, ist traurig, hilflos und allein mit sich, mit Sorge, Angst, Gefahr und Tod. DIE WEISSE FÜRSTIN Und wenn er's wäre, meine Freundin, sieh, — wenn er es ist, wie ich es bin seit Jahren, glaubst du, die Tage, welche trostlos waren, dürften mir fehlen in der Melodie der großen Freude, die ich heute trage? - Sie sagen: Tod, doch hör, wenn ich es sage: Tod -ist es dann nicht wie aus anderm Klang? Nur ausgelöst, vereinzelt macht es bang. Nimm sie im ganzen -alle, als das Deine die vielen Worte, nimm sie in Gebrauch : - nur wo sie alle bis ins Ungemeine und Große wachsen, wächst das eine auch. MONNA LARA Doch nicht um Worte handelt sich's: sie sterben. Sie sterben, Viele. Jetzt und jetzt und jetzt. Sie ringen noch, sie hoffen bis zuletzt ; noch wenn der Tod den Finger angesetzt, um sie zu würgen, hoffen sie, gehetzt von ihrer Angst. Monna Lara sieht ratlos um sich. Es entsteht eine Stille; die Fürstin schüttelt leise das Haupt. MONNA LARA horchend Und jetzt! Sie wirft sich der Fürstin zu Füßen, flehend mit ringenden Händen O laß uns helfen! Laß uns weiches Linnen aus deinen Schränken nehmen für die Betten, und was bereit war für die Wöchnerinnen an Binden, Hemden, Salben, Amuletten. Die dichten Tropfen und die leisen Öle, die Elixiere für das trübe Blut--- o irgend etwas, das in ihrer Höhle noch niemals war und das ein Wunder tut. Warum geschieht kein Wunder? Daß ich wüßte mit welchem Wort ich Dich erreichen kann: Maria! Warum rührst Du sie nicht an? Wo ist Dein Mund, der Jesu Wunden küßte? Ekelt es Dich? Und willst Du nicht geruhn ein Wunder an den Stinkenden zu tun, - fo tu's an mir: Gib Milch in meine Brüste, daß ich sie tränke ... Monna Lara hat sich knieend zurückgeworfen und hält mit beiden Händen ihre Brüste hin, als wartete sie, daß sie sich füllen sollten. So bleibt sie eine Weile, ihre Spannung steigert sich, bricht ab, und sie fällt vornüber der Fürstin in den Schoß. DIE WEISSE FÜRSTIN sie streicht der Knieenden sanft, beruhigend über das Haar und spricht, über sie geneigt, leise, eindringlich Wir wollen das Unfrige zu dem Ihren tun. Wir wollen die Falten in ihren weichen Lagern glätten, so daß sie es hätten wie die Kinder der Reichen. Wir wollen ihnen zureden wie Tieren, daß sie sich nicht scheuen, und selbst alle Scheu verlieren ihret wegen. Ich will mich zu denen legen, die frieren. Ich will die Stirnen der Sterbenden halten. Ich will die Alten reinigen, und ihnen die Bärte über die Decken breiten. Heiter will ich zu den Kindern hinüberschauen und die Frauen erleichtern, und ihre blauen Nägel und ihr Eiter soll mich nicht schrekken. Und ich will für die Toten sorgen --- Pause Monna Lara hebt das Haupt. Sie ist ganz ruhig, fast nüchtern. DIE WEISSE FÜRSTIN über sie fortschauend, zögernd Von morgen an wird das mein Tagwerk sein und meiner langen Nächte Werk. MONNA LARA Von morgen? DIE WEISSE FÜRSTIN Von morgen, Schwester. Heute bin ich sein, des Kommenden. Wie seiner Väter Erbschaft ihm zugefallen, reich für ihn allein. Selbst mein Gemahl hat mich für ihn bewahrt; mit seiner Wildheit übergroßem Jähzorn, dem keiner wehren könnte wenn er tobt, hielt er in Bann der Andern Wort und Art: der Edelleute, Dichter und des Herzogs. Pause So blieb ich Braut. Dem Weitesten verlobt. Monna Lara hat aich während der letzten Worte erhoben; sie steht steif und hilflos, fast puppenhaft vor der Fürstin und spricht mit seltsam tonloser Stimme MONNA LARA Und dein Gemahl, der Fürst, lag nie bei dir? Pause. Die Fürstin aufs Meer hinausblickend DIE WEISSE FÜRSTIN Er lag bei mir. Sie erhebt sich; Monna Lara tritt scheu vor ihr zurück Wenn abends die Musik ihn sänftigte, so daß er nichts verlangte, so bot ich ihm mein Bett. Sein Auge dankte mir lange. Seine harte Lippe schwieg. So schlief er ein. Und mir war gar nicht bange. Nachts saß ich manchmal auf und sah ihn an, die scharfe Falte zwischen seinen Brauen, und sah: jetzt träumte er von den andern Frauen (vielleicht von jener blonden Loredan, die ihn so liebte) —träumte nicht von mir. Da war ich frei. Da sah ich stundenlang fort über ihn durch hohe Fensterbogen: das Meer, wie Himmel, weit und ohne Wogen, und etwas Klares, welches langsam sank; was keiner sieht und sagt: Monduntergang. Dann kam ein frühes Fischerboot gezogen im Raum und lautlos wie der Mond. Das Ziehn von diesen beiden schien mir so verwandt. Mit einem senkte sich der Himmel näher und durch das andre ward die Weite weit. Und ich war wach und frei und ohne Späher und eingeweiht in diese Einsamkeit. Mir war als ginge dieses von mir aus, was sich so traumhaft durch den Raum bewegte. Ich streckte mich, und wenn mein Leib sich regte, entstand ein Duft und duftete hinaus. Und wie sich Blumen geben an dem Raum, daß jeder Lufthauch mit Geruch beladen von ihnen fortgeht, — gab ich mich in Gnaden meinem Geliebten in den Traum. Mit diesen Stunden hielt ich ihn. Pause Es gab auch andre Stunden, da ich ihn verlor. Wenn ich drin wachte und er ſtand davor, vielleicht bereit, die Türe einzudrücken, - dann war ich Grab: Stein unter meinem Rücken und selber hart wie eine Steinfigur. Wenn meine Züge einen Ausdruck hatten, so war das nur der Ampel Schein und Schatten auf einer inhaltlosen Meißelspur. So lag ich, Bild von einer welche war, auf meines Lagers breitem Sarkophage, und die Sekunden gingen: Jahr und Jahr. Und unter mir und in derselben Lage lag meine Leiche welk in ihrem Haar. Pause. Monna Lara tritt zur Fürstin und umfaßt sie leise. DIE WEISSE FÜRSTIN Sieh, so ist Tod im Leben. Beides läuft so durcheinander, wie in einem Teppich die Fäden laufen; und daraus entsteht für einen, der vorübergeht, ein Bild. Wenn jemand stirbt, das nicht allein ist Tod. Tod ist, wenn einer lebt und es nicht weiß. Tod ist, wenn einer gar nicht sterben kann. Vieles ist Tod; man kann es nicht begraben. In uns ist täglich Sterben und Geburt, und wir sind rücksichtslos wie die Natur, die über beiden dauert, trauerlos und ohne Anteil. Leid und Freude find nur Farben für den Fremden, der uns schaut. Darum bedeutet es für uns so viel, den Schauenden zu finden, ihn, der sieht, der uns zusammenfaßt in seinem Schauen und einfach sagt: ich sehe das und das, wo andere nur raten oder lügen. MONNA LARA Ja, ja, das ist's. Ein solcher muß es sein, sonst wird das namenlose Bild zu schwer. Kleine Pause Dir kommt er heut ... Kleine Pause Wie aber konntest du's so lange tragen? Ich vermag's kaum mehr. Wenn ich mir denke, daß ich noch ein Jahr herumgehn soll mit unerklärtem Blut, unausgeruht, — von meinem eignen Haar hochmütig übersehen wie ein Kind, allein und blind inmitten meiner Brände, sogar den Hunden neu und wie versagt, mir selbst so fremd, daß mich die eignen Hände anrühren wie die Hände einer Magd ...: wenn ich ein Jahr noch also leben soll, so werf ich mich nach diesem einen Jahr einem Bedienten in den Weg wie toll und fleh ihn an, daß er mir das erspare. Wie trugst du das? DIE WEISSE FÜRSTIN Mein Blut war übervoll. Oft rief es laut, daß ich davon erwachte, mich weinend fand und in die Stille lachte und in mein Kissen biß, bis es zerriß. In einer solchen Nacht- ich weiß noch - schmolz von seines Kreuzes Ebenholz mein Christus los ; so groß war meine Glut: ... die Arme offen lag er über mir. MONNA LARA Und dennoch war so tiefe Kraft in dir. DIE WEISSE FÜRSTIN Das war nicht Kraft. Geiz war es, Habsucht war es, womit ich alle Gluten jedes Jahres aufsparte für den späten Hochzeitstag. Nun ist er da. Mit tausendfachem Schlag schlägt mir das Herz. Der Wurzeln letzte Süße ist in mich eingegangen; ich bin reif. Mein Haupt ist schön, und unter meine leichten Füße schiebt sich die Erde wie ein Wolkenstreif. Und morgen darf ich altern . MONNA LARA Du bist jung DIE WEISSE FÜRSTIN zärtlich lächelnd Jugend ist nur Erinnerung an einen, der noch nicht kam. Sie faßt die Schwester mit beiden Händen an den Schultern Auch du wirst sparen für den Bräutigam. Denn deine Ungeduld ist Übergang. Lang ist das Leben. Pause MONNA LARA bewundernd Glanz geht von dir aus und eine Stärke wie von Königinnen. DIE WEISSE FÜRSTIN sieht aufgerichtet zurück nach dem Palast Die Sonne sinkt und spiegelt sich im Haus. Nun will ich warten, und dann will ich winken. MONNA LARA Winktest du nicht? DIE WEISSE FÜRSTIN So hieße das: uns droht Gefahr. MONNA LARA mit geschloffenen Augen, traumhaft schmerzlich Er führe wie das frühe Fischerboot vorüber von dem rechten Rand zum linken. Sie reißt wie in Angst die Augen auf Aber du winkst?! DIE WEISSE FÜRSTIN glücklich Wenn dort das Meer verloht, so wink ich aufrecht in das Abendrot. Das Haus ist leer --- MONNA LARA Still! Waren das nicht Schritte? DIE WEISSE FÜRSTIN horcht einen Augenblick Nein; komm zur Terrasse. Man sieht von der Mitte so weit ins Meer. Sie gehen, sich umsaßt haltend, langsam durch die Platanen Allee. Das Meer atmet langsamer und schwerer. Als die Fürstin einmal stehen bleibt und zurücksieht, sagt MONNA LARA wie einen Kindervers Nun kannst du nicht gehen und Linnen verschenken und Öl und Salbe und Spezerei, mußt an dein eigenes Bette denken, daß es bereit und selig sei. DIE WEISSE FÜRSTIN nickt ernsthaft im Weitergehen.--- Ein Stück weiter faßt Monna Lara die Fürstin an der Hand. Sie bleiben beide stehen, die Fürstin sieht wieder nach dem Meer MONNA LARA Glaubst du, kann ich dir dein Lager rüsten und das Becken in das du dein Antlitz tauchst? Mir ist als ob meine Hände wüßten Alles was du heute brauchst. Die Fürstin nickt und sie gehen wieder ein Stück weiter; so kommen sie auf die Stufen der Terrasse und bleiben wieder stehen MONNA LARA kniet plötzlich nieder Ich will dich betten. Ich will dir dienen. Alles Meine ist zu dir treu Die weiße Fürstin hebt sie leise empor, faßt ihr Gesicht mit beiden Händen und sieht hinein DIE WEISSE FÜRSTIN Deine Augen sind tief und neu. Ich sehe mein ganzes Glück in ihnen. Sie küẞt sie auf den Mund. Monna Lara macht sich schnell los und eilt ins Haus hinein. Die Fürstin schreitet jetzt die letzten Stufen empor, wendet sich und sieht in großem Erwarten auf das Meer hinaus. Nach einer Weile erscheint Monna Lara, einen silbernen Spiegel tragend, den sie, indem sie niederkniet, der Fürstin vorhält. Langsam ordnet die Fürstin ihr schweres Haar. MONNA LARA unter dem Spiegel, leise Jetzt ist er mir wiedergekommen. Er hat mich einmal an der Hand genommen. Jetzt fühl ich es wieder in meiner Hand. Sieh, so hab ich ihn doch gekannt ... Die Fürstin lächelt in den Spiegel hinein, zerstreut hinhörend. Gleich darauf richtet sie sich, ausblickend, auf MONNA LARA Jetzt geht die Sonne ins Meer. Sie eilt ins Haus zurück. Pause. Die weiße Fürstin steht jetzt allein, aufrecht und in gespanntem Schauen, auf der Terrasse. Die Villa hinter ihr wird immer strahlender (als leuchte ein großes Fest darin) vom Widerschein der sinkenden Sonne. Da erkennt die Fürstin, nach rechts blickend, etwas Fernes. Sie langt einmal flüchtig nach der Gürteltasche, wie um zum Winken bereit zu ſein. Dann wartet sie. Endlich hört man Ruderschläge, die näher kommen. Während die Fürstin der Bewegung draußen in ihrem ganzen Wesen folgt, ist den Strand entlang von rechts (vom Zuschauer aus gemeint) ein Frater der Misericordia, die schwarze Maske vor dem Geficht, aufgetreten und bis an den Anfang der Allee gegangen. Ihm folgt ein zweiter. Sie sehen beide nach dem Haus und flüstern miteinander. Jetzt, da die Fürstin mit einer schnellen Gebärde nach ihrem Tuche greift, rühren sich beide, und der erste Mönch macht einige rasche Schritte vorwärts. Dann zögert er, wendet sich nach seinem Gefährten zurück, steht still. Die weiße Fürstin hat ihn bemerkt. Von diesem Augenblick an sieht sie nur ihn; ihre Gestalt erstarrt in Schrecken, sie verliert das Meer aus den Augen, aus dem Bewußtsein, während jetzt ganz laut die Ruderschläge von dort, langsam, zögernd, vernehmbar sind. Die Fürstin macht eine große Anstrengung, den entsetzlichen Bann zu brechen und dennoch zu winken. Eine Weile dauert dieser Kampf. Bei einer ihrer schweren, mühsamen Bewegungen macht der zweite Bruder ein paar Schritte, so daß er jetzt fast neben dem ersten in der Allee steht. Die Fürstin rührt sich nicht mehr. Die Fronte der Villa beginnt zu verlöschen. Das Boot muß vorbeigefahren sein; leiser, ferner und ferner verliert sich der Ruderſchlag in dem achweren Branden des fast nächtlichen Meeres. Da, als man ihn eben noch unterscheiden kann, wird oben im Haus der Vorhang von einem der hohen Bogenfenster fortgerissen und etwas Helles, Schlankes erscheint, fast wie die Figur eines Kindes, und winkt. Winkterst rufend; hält einen Augenblick ein und winkt dann anders: schwer und langsam, in zögernden Zügen, wie manzum Abschied winkt.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), "Die Weisse Fürstin", appears in Die Weisse Fürstin
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Die Weisse Fürstin; eine Szene am Meer, Berlin : Verlag E.W. Tieffenbach, 1920
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