Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung! O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr. Und alles schwieg. Doch selbst in der verschweigung ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor. Tiere aus Stille drangen aus dem klaren gelösten wald von Lager und Genist; und da ergab sich, daß sie nicht aus List und nicht aus Angst in sich so leise waren, sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr schien klein in ihren Herzen. Und wo eben kaum eine Hütte war, dies zu empfangen, ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, -- da schufst du ihnen Tempel im Gehör.
Sonette an Orpheus
Song Cycle by Robert Edler (1912 - 1986)
1. Sonett 1 (Chor)
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 1
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , copyright © 2010, (re)printed on this website with kind permission
2. Sonett 2 (Sprecher)  [sung text not yet checked]
Und fast ein Mädchen wars und ging hervor aus diesem einigen Glück von Sang und Leier und glänzte klar durch ihre Frühlingsschleier und machte sich ein Bett in meinem Ohr. [Und schlief in mir.]1 Und alles war ihr Schlaf. Die Bäume, die ich je bewundert, diese fühlbare Ferne, die gefühlte Wiese und jedes Staunen, das mich selbst betraf. Sie schlief die Welt. Singender Gott, wie hast du sie vollendet, daß sie nicht begehrte erst wach zu sein? Sieh, sie erstand und schlief. Wo ist ihr Tod? O, wirst du dies Motiv erfinden noch, eh sich dein Lied verzehrte? -- Wo sinkt sie hin aus mir? ... Ein Mädchen fast...
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 2
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- ENG English (Knut W. Barde) , "Sonnet to Orpheus", copyright ©, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , copyright © 2010, (re)printed on this website with kind permission
1 omitted by Birtwistle.
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]
3. Sonett 3 (Chor und Solo)  [sung text not yet checked]
Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier? Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier Herzwege steht kein Tempel für Apoll. Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr, nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes; Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes. Wann aber sind wir? Und wann wendet er an unser Sein die Erde und die Sterne? Dies ists nicht, Jüngling, Daß du liebst, wenn auch die Stimme dann den Mund dir aufstößt, - lerne vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt. In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch. Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 3
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , copyright © 2010, (re)printed on this website with kind permission
4. Sonett 7 (Solo mit Männer‑Sprechchor)  [sung text not yet checked]
Rühmen, das ists! Ein zum Rühmen Bestellter, [ging er hervor wie das]1 Erz aus des Steins Schweigen. [Sein Herz, o vergängliche Kelter]1 eines den Menschen unendlichen Weins. Nie versagt ihm die Stimme am Staube, wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift. Alles wird Weinberg, alles wird Traube, in seinem fühlenden Süden gereift. Nicht in den Grüften der Könige Moder straft ihm die Rühmung lügen, oder daß von den Göttern ein Schatten fällt. Er ist einer der bleibenden Boten, der noch weit in die Türen der Toten Schalen mit rühmlichen Früchten hält.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 7
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View original text (without footnotes)Confirmed with Rainer Maria Rilke, Die Sonette an Orpheus, Leipzig: Insel-Verlag, 1923.
1 omitted by Birtwistle.Research team for this page: Emily Ezust [Administrator] , Malcolm Wren [Guest Editor]
5. Sonett 12 (Chor)  [sung text not yet checked]
Heil dem Geist, der uns verbinden mag; denn wir leben wahrhaft in Figuren. Und mit kleinen Schritten gehn die Uhren neben unserm eigentlichen Tag. Ohne unsern wahren Platz zu kennen, handeln wir aus wirklichem Bezug. Die Antennen fühlen die Antennen, und die leere Ferne trug... Reine Spannung. O Musik der Kräfte! Ist nicht durch die läßlichen Geschäfte jede Störung von dir abgelenkt? Selbst wenn sich der Bauer sorgt und handelt, wo die Saat in Sommer sich verwandelt, reicht er niemals hin. Die Erde schenkt.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 12
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]6. Sonett 13 (Sprecher)  [sung text not yet checked]
Voller Apfel, Birne und Banane, Stachelbeere ... Alles dieses spricht Tod und Leben in den Mund ... Ich ahne ... Lest es einem Kind vom Angesicht, wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit. Wird euch langsam namenlos im Munde? Wo sonst Worte waren fließen Funde, aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit. Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt. Diese Süße, die sich erst verdichtet, um, im Schmecken leise aufgerichtet, klar zu werden, wach und transparent, doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig —: O Erfahrung, Fühlung, Freude — riesig!
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 13
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]7. Sonett 14 (Chor)  [sung text not yet checked]
Wir gehen um mit Blume, Weinblatt, Frucht. Sie sprechen nicht die Sprache nur des Jahres. Aus Dunkel steigt ein buntes Offenbares und hat vielleicht den Glanz der Eifersucht der Toten an sich, die die Erde stärken. Was wissen wir von ihrem Teil an dem? Es ist seit langem ihre Art, den Lehm mit ihrem freien Marke zu durchmärken. Nun fragt sich nur: tun sie es gern? ... Drängt diese Frucht, ein Werk von schweren Sklaven, geballt zu uns empor, zu ihren Herrn? Sind sie die Herrn, die bei den Wurzeln schlafen, und gönnen uns aus ihren Überflüssen dies Zwischending aus stummer Kraft und Küssen?
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 14
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]8. Sonett 18 (Chor)  [sung text not yet checked]
Hörst du das Neue, Herr, dröhnen und beben? Kommen Verkündiger, die es erheben. Zwar ist kein Hören heil in dem Durchtobtsein, doch der Maschinenteil will jetzt gelobt sein. Sieh, die Maschine: wie sie sich wälzt und rächt und uns entstellt und schwächt. Hat sie aus uns auch Kraft, sie, ohne Leidenschaft, treibe und diene.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 1, no. 18
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]9. Sonett 10 b (Solo und Chor)  [sung text not yet checked]
Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein. Dass nicht der herrlichen Hand schöneres Zögern mehr prange, zu dem entschlossenem Bau schneidet sie steifer den Stein. Nirgends bleibt sie zurück, dass wir ihr ein Mal entrönnen und sie in stiller Fabrik ölend sich selber gehört. Sie ist das Leben, — sie meint es am besten zu können, die mit dem gleichen Entschluss ordnet und schafft und zerstört. Aber noch ist uns das Dasein verzaubert; an hundert Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert. Worte gehen noch zart am Unsäglichen aus ... Und die Musik, immer neu, aus den bebendsten Steinen, baut im unbrauchbaren Raum ihr vergöttlichtes Haus.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 10
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]10. Sonett 12 b (Sprecher)  [sung text not yet checked]
Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert, [drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;]1 jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert, liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt. Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte; [wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau's? Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte. Wehe -: abwesender Hammer holt aus! ]1 Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung; und sie fuhrt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne, das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt. Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung, den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 12
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English [singable] (T. P. (Peter) Perrin) , copyright © 2009, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Guy Laffaille) , "Désire la transformation", copyright © 2014, (re)printed on this website with kind permission
1 omitted by Janson.
Researcher for this page: Ferdinando Albeggiani
11. Sonett 17 b (Solo und Chor)  [sung text not yet checked]
Wo, in welchen immer selig bewässerten Gärten, an welchen Bäumen, aus welchen zärtlich entblätterten Blüten-Kelchen reifen die fremdartigen Früchte der Tröstung? Diese köstlichen, deren du eine vielleicht in der zertretenen Wiese deiner Armut findest. Von einem zum anderen Male wunderst du dich über die Größe der Frucht, über ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale, und daß sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht unten des Wurms. Giebt es denn Bäume, von Engeln beflogen, und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen, daß sie uns tragen, ohne uns zu gehören? Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen, durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 17
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]12. Sonett 19 b (Solo und Chor)  [sung text not yet checked]
Irgendwo wohnt das Gold in der verwöhnenden Bank und mit Tausenden tut es vertraulich. Doch jener Blinde, der Bettler, ist selbst dem kupfernen Zehner wie ein verlorener Ort, wie das staubige Eck unterm Schrank. In den Geschäften entlang ist das Geld wie zuhause und verkleidet sich scheinbar in Seide, Nelken und Pelz. Er, der Schweigende, steht in der Atempause alles des wach oder schlafend atmenden Gelds. O wie mag sie sich schließen bei Nacht, diese immer offene Hand. Morgen holt sie das Schicksal wieder, und täglich hält es sie hin: hell, elend, unendlich zerstörbar. Dass doch einer, ein Schauender, endlich ihren langen Bestand staunend begriffe und rühmte. Nur dem Aufsingenden säglich. Nur dem Göttlichen hörbar.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 19
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]13. Sonett 20 b (Sprecher)  [sung text not yet checked]
Zwischen den Sternen, wie weit; und doch, um wievieles noch weiter, was man am Hiesigen lernt. Einer, zum Beispiel, ein Kind ... und ein Nächster, ein Zweiter —, o wie unfaßlich entfernt. Schicksal, es mißt uns vielleicht mit des Seienden Spanne, daß es uns fremd erscheint; denk, wieviel Spannen allein vom Mädchen zum Manne, wenn es ihn meidet und meint. Alles ist weit —, und nirgends schließt sich der Kreis. Sieh in der Schüssel auf heiter bereitetem Tische, seltsam der Fische Gesicht. Fische sind stumm ..., meinte man einmal. Wer weiß? Aber ist nicht am Ende ein Ort, wo man das, was der Fische Sprache wäre, ohne sie spricht?
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 20
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]14. Sonett 26 b (Sprecher, Solo und Chor)  [sung text not yet checked]
Wie ergreift uns der Vogelschrei.... Irgendein einmal erschaffenes Schreien. Aber die Kinder schon, spielend im Freien, schreien an veirklichen Schreien vorbei. Schreien den Zufall. In Zwischenräume dieses, des Weltraums, (in welchen der heile Vogelschrei eingeht, wie Menschen in Träume —) treiben sie ihre, des Kreischens, Keile. Wehe, wo sind wir? Immer noch freier, wie die losgerissenen Drachen jagen wir halbhoch, mit Rändern von Lachen, [windig zerfetzten. —]1 Ordne die Schreier, singender Gott! [dass sie rauschend erwachen,]1 tragend als Strömung das Haupt und die Leier.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 26
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View original text (without footnotes)Confirmed with Rainer Maria Rilke, Die Sonette an Orpheus, Leipzig: Insel-Verlag, 1923
1 omitted by Birtwistle.Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
15. Sonett 27 b (gemischter Sprechchor)  [sung text not yet checked]
Gibt es wirklich die Zeit, die zerstörende? Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg? Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende, wann vergewaltigt's der Demiurg? Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche, wie das Schicksal uns wahr machen will? Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche in den Wurzeln—später—still? Ach, das Gespenst des Vergänglichen, durch den arglos Empfänglichen geht es, als wär es ein Rauch. Als die, die wir sind, als die Treibenden, gelten wir doch bei bleibenden Kräften als göttlicher Brauch.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 27
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Confirmed with Rainer Maria Rilke, Die Sonette an Orpheus, Leipzig: Insel-Verlag, 1923
Researcher for this page: Joost van der Linden [Guest Editor]
16. Sonett 29 b (Sprecher, Solo und Chor)  [sung text not yet checked]
Stiller Freund der vielen Fernen, fühle, wie dein Atem noch den Raum vermehrt. Im Gebälk der finsteren Glockenstühle laß dich läuten. [Das, was an dir zehrt,]1 wird ein Starkes über dieser Nahrung. Geh in der Verwandlung aus und ein. Was ist deine leidendste Erfahrung? Ist dir Trinken bitter, werde Wein. Sei in dieser Nacht aus Übermaß Zauberkraft am Kreuzweg Deiner Sinne, ihrer seltsamen Begegnung Sinn. Und wenn dich das Irdische vergaß, zu der stillen Erde sag: Ich rinne. Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.
Text Authorship:
- by Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), no title, appears in Die Sonette an Orpheus 2, no. 29
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Guy Laffaille) , no title, copyright © 2014, (re)printed on this website with kind permission
1 omitted by Birtwistle.
Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]